Börse Bauern zocken mit Termingeschäften

Statt gegen Spekulanten zu wettern, sichern sich Bauern auf Terminmärkten kalkulierbare Erlöse. Eine Landpartie.

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Bauern können ihre Ernte auf Terminmärkten als Geldanlage nutzen. Quelle: dpa

Wären da nicht die Fingerkuppen, würde Christian Miesen als Junior-Geschäftsführer eines Mittelständlers durchgehen. Der 26-Jährige spricht über betriebliche Kennzahlen und Maschineneffizienz, analysiert Trends an den Börsen und schwärmt vom Trainee-Programm, das er nach dem Bachelor-Studium durchlaufen hat. „Es ist wichtig, seinen Beruf auch aus einer anderen Perspektive erlebt zu haben“, sagt er.

Sein Beruf? „Landwirt“, sagt er, und streckt dabei leicht die kräftigen Finger, die von der Arbeit auf dem Feld erzählen.

Im Sommer hat er von seinem Vater den Hof mit rund 80 Hektar Anbaufläche im Bergischen Land bei Düsseldorf übernommen. Auf dem schweren Lößlehm-Boden wachsen Raps, Weizen, Gerste und Kartoffeln. Letztere kann man direkt auf seinem Hof kaufen. „Wir versorgen die Bevölkerung seit fünf Generationen mit Lebensmitteln aus der Region“, sagt Miesen und wuchtet einem älteren Kunden einen 25-Kilo-Sack in den Kofferraum.

Internationale Konkurrenz

Das Gros der Getreideernte geht an Genossenschaftslager und Mühlen in der Gegend. Selten liefert er an den Duisburger Hafen, „weil die hohen Transportkosten die Marge komplett auffressen“.

Die Margen sind knapp, aktuelle Preise wichtig. Die checkt er täglich, an den Rohstoffbörsen in Chicago und Paris. Was aber hat ein mittelgroßer Bauernhof aus Mettmann an internationalen Rohstoffbörsen zu suchen? „Wir leben in globalisierten Märkten“, antwortet Miesen, „und konkurrieren mit Erzeugern in den USA, Frankreich oder der Ukraine. Seitdem die staatliche Marktintervention zurückgenommen wurde, richten sich unsere Preise nach dem Weltmarkt.“

Während Bauern bis in die Neunzigerjahre durch von der EU gestützte Preise bis auf wenige Pfennige wussten, wie viel sie im Herbst pro Tonne Weizen verdienen würden, muss ein Betrieb heute die Preisentwicklung täglich im Auge behalten.

Das richtige Timing bei Einkauf und Verkauf macht für einen Hof in dieser Größe den Unterschied zwischen Gewinn und Verlust. „Innerhalb von ein paar Wochen kann der Preis um 10 bis 20 Prozent schwanken“, erklärt Miesen, „und die verschiedenen Rohstoffe korrelieren miteinander. Wird das Rohöl teurer, steigen auch die Düngerpreise, und der Rapspreis zieht bald nach.“

Finanzierungslücken vermeiden

Landwirt Miesen Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Das ganze Jahr über bekommt Miesen deshalb täglich E-Mails mit jeweils aktuellen Preisdaten, die er auf dem PC prüft. Warum kein mobiles Internet? „Eine Woche lang Kartoffelstaub überlebt kein Smartphone.“

In diesem Jahr hat Miesen bisher alles richtig gemacht. „Als im Frühjahr die Preise noch mal anzogen, habe ich im Mai einen Teil der Weizenernte durch einen Vorkontrakt zum September bereits verkauft“, sagt er. Im Sommer fiel der Preis für eine Tonne Weizen von 220 auf 185 Euro. Wer zum falschen Termin verkauft – oder verkaufen muss – steht schnell vor einer Finanzierungslücke für das nächste Jahr.

Generell sieht Miesen den Einfluss der Börse eher positiv: „Es gibt nur wenige Abnehmer, an die ein Betrieb verkaufen kann. Da hat man als kleiner Anbieter immer einen Nachteil. Orientiere ich mich am Börsenpreis, kann ich das wieder ein bisschen ausgleichen, auch wenn wir dadurch mit dem Weltmarkt konkurrieren und nicht mehr mit dem Hof nebenan.“

Dank Futures 14 statt 7 Euro

Nebenan, eine Autostunde weiter südlich, bewirtschaftet Eberhard Peill sein Gut Ollesheim. Der 55-jährige Landwirt aus Nörvenich in der Nordeifel schließt nicht nur Terminkontrakte mit Händlern ab, er sichert sich direkt mit Futures auf Kartoffeln an der Börse ab. Sein Hof ist deutlich größer als der von Bauer Miesen. Für Peill lohnt sich der Gang an die Terminbörsen, weil er die entsprechenden Mindestmengen für Kontrakte aufbringen kann.

„Ohne Terminhandel würden mir die Marktschwankungen das Betriebsergebnis verhageln“, sagt Peill. Für die auf Gut Ollesheim bei Nörvenich gezogenen Kartoffeln hätte er im vergangenen Jahr bis zu 27 Euro je Doppelzentner (100 Kilogramm) bekommen. Seit Juli dieses Jahres sei der Preis bis auf sieben Euro eingebrochen. Zu diesem Preis hätte Peill Verlust gemacht. Gut, dass er einen Großteil seiner Ernte zuvor über Futures zu 14 Euro je Doppelzentner abgesichert hatte.

Peill sichert etwa die Hälfte der Ernte über Terminkontrakte mit einem Händler oder Futures an der Börse ab. 50 Prozent lässt er ohne Sicherheitsnetz, weil die Termingeschäfte sonst zu einem finanziellen Risiko werden könnten. Landwirte, die über die Börse Termingeschäfte betreiben, müssen dafür Sicherheiten bei der Bank hinterlegen. „Steigen die Preise, muss ich auch als Landwirt ständig Geld nachschießen“, sagt Peill.

Wettkampf auf dem Weltmarkt

Moderne Technik in der Landwirtschaft. Quelle: dapd

Wie kann sich ein – verglichen mit einer australischen Weizenfarm – winziger deutscher Hof im Weltmarkt behaupten? „Effizienz, Know-how, Qualität“, sagt Miesen, „und natürlich Herzblut. Sie müssen das Land schon lieben.“

Die Effizienz bringt modernste Technik. Zum Beispiel im Trecker: Christian Miesen fährt zwar einen 27 Jahre alten John Deere 4350 – optisch und technisch bestens in Schuss – hat aber in ein modernes GPS-Gerät investiert, mit dessen Hilfe vom Führerhaus satellitengestützt alle Bewegungen des Traktors zentimetergenau überwacht und gesteuert werden.

Der Traktor zieht einen neuen Ausleger, dessen zwei Teleskoparme eine Spannweite von 27 Metern haben. Über einen 3000-Liter-Tank können Pflanzenschutzmittel mit reichlich Wasser verdünnt zielgerichtet ausgebracht werden. „Bei modernen Mitteln genügt teilweise ein Schnapsglas pro Hektar“, sagt Miesen.

Das GPS hilft, die geringe Menge zuverlässig zu verteilen. Die Software überwacht, welche Stellen eines Feldes abgefahren wurden und verhindert, dass Flächen doppelt besprüht werden.

Teure Pacht

Nicht kontrollieren kann Miesen, wie viel Ackerland Agrarkonzerne, beispielsweise KTG Agrar, aufkaufen. Je mehr die Investoren bezahlen, desto teurer wird die Pacht für alle Landwirte. Für kleinere Betriebe, die auf zusätzliche Flächen angewiesen sind, bleibt nach Abzug von Pacht und Produktionskosten kaum noch Gewinn.

Wer pro Hektar 1000 Euro Umsatz erwirtschaftet bei 700 Euro Produktionskosten und 200 Euro Pacht je Hektar, dem bleiben unter dem Strich noch 100 Euro Gewinn. Steigt die Pacht auf 300 Euro, lohnt sich der Anbau nicht. Da hilft dann auch keine Börse mehr.

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