Börsen-Empfehlungen Aktien im strengen Qualitäts-Check

Bevor eine Aktie den Weg ins Depot findet, sollte sie sorgfältig analysiert und bewertet werden. Wie suchen wir bei der WirtschaftsWoche eine Empfehlung aus? David Sauer beschreibt den Prozess.

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Für die Auswahl der besten Aktien ist ein Echtzeitterminal wie hier von Bloomberg unerlässlich Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Gut 50 Schritte sind es vom Parkplatz bis zur Klippe. Am Ende des schmalen Schotterweges geht es abrupt bergab. Am Rand des Tagebaus Garzweiler öffnet sich der Blick auf ein gewaltiges Loch. Darin fressen Stahlkolosse Tonne für Tonne mit jeder Umdrehung ihrer Schaufelräder Braunkohle aus der Erde. Kohle, das ist Vergangenheit und Gegenwart. Gegenwart und Zukunft sehe ich am Rand des gigantischen Erdlochs. Dort rotieren die Flügel einiger Windräder.

Kohle, so viel ist spätestens seit der Pleite des weltgrößten privaten Förderers Peabody Anfang April klar, ist für Anleger keine strategische Investition mehr. Bei meiner Suche nach einer möglichst langfristigen Aktienanlage wecken vielmehr die rotierenden Flügel mein Interesse.

Wer baut diese Anlagen? Und lohnt ein Einstieg bei einem der Produzenten?

Dafür schaue ich mir erst einmal die Spieler am Markt an. Im vergangenen Jahr stellte niemand mehr Windräder her als das Unternehmen Goldwind aus China. Die agieren aber fast nur am Heimatmarkt. Das ist mir zu intransparent. Mit Siemens und General Electric sind auch zwei alte Industriegiganten im Markt vertreten. In deren Windkraftsparten lässt sich aber nicht direkt investieren, sie sind nicht börsennotiert; der Anteil am Gesamtgeschäft der beiden ist mir mit sieben Prozent Umsatzanteil bei Siemens zum Beispiel zu gering.

Sorgfältig auswählen und Branchen kennen

Größter europäischer Hersteller ist Vestas aus Dänemark. Das Unternehmen ist gesund, die Geschäfte laufen gut. Ich durchforste Branchenreports. Die deuten darauf hin, dass Anleger nicht zu hohe Erwartungen an Vestas haben sollten, das Potenzial für positive Überraschungen sei gering. Zudem ist mir die Aktie zu teuer, sie kostet beispielsweise den 1,5-fachen Jahresumsatz 2015. Interessant dagegen könnte die deutsche Nordex sein: Sie kostet weniger als einen Jahreserlös, sie hat volle Auftragsbücher, ein gutes Management, und sie ist auf Expansionskurs. Nach der Übernahme eines spanischen Rivalen soll nun der Anschluss zur Weltspitze gelingen.

Der Kurs der Nordex-Aktie

Einfach ist der Markt für erneuerbare Energien aber nicht, sondern seit Jahren hart umkämpft. Viele derer, die zunächst als Gewinner des Booms galten, sind heute verschwunden. Insbesondere Solarstromunternehmen erlebten turbulente Zeiten. Der Hype brachte enorme Investitionen, und allzu großzügige Subventionen stimulierten die Nachfrage zusätzlich. Die Abhängigkeit vom Wohlwollen der Politik ist noch immer gewaltig, der Preiskampf mit der Konkurrenz aus Fernost erodiert die Margen. Auch die Windenergiebranche hatte tiefe Täler zu durchschreiten. Nach einer Phase der Konsolidierung mit vielen Pleiten teilen sich heute aber nur noch wenige globale Spieler den Markt auf.

Die Branche hat einen neuen Riesen

Nordex gehört dazu. Das Hamburger TecDax-Unternehmen entwickelt, produziert, installiert und wartet Windkraftanlagen. Außerdem fertig das Unternehmen Rotorblätter und programmiert Steuerungssoftware für die Turbinen. Größe am Markt zählt. Nordex hat das erkannt. Im Herbst vergangenen Jahres gab die Konzernführung bekannt, die Windkraftsparte AWP des spanischen Mischkonzerns Acciona für 785 Millionen Euro zu übernehmen. Seit der kartellrechtlichen Freigabe Anfang April ist das Geschäft in trockenen Tüchern, und die Branche hat einen neuen Riesen.

Wachstumswert
Die wichtigsten Kennzahlen von Nordex
ISIN DE000A0D6554
Kurs23,64 Euro
Stoppkurs19,60 Euro
Marktkapitalisierung2,3 Milliarden Euro
Unternehmenswert¹2,0 Milliarden Euro
Umsatz (2015/2016/2017)²2,4/3,4/3,7 Milliarden Euro
Gewinn pro Aktie (2015/2016/2017)²0,65/1,04/1,39 Euro
Kurs-Gewinn-Verhältnis (2015/2016/2017)²36/23/17
Freier Mittelzufluss (2015/2016/2017)²89/minus 185/143 Millionen Euro
Kurs zu freiem Mittelzufluss (Free Cash Flow)26/negativ/16
Kurs-Buchwert-Verhältnis (2015/2016/2017)²4,2/2,7/2,4
Eigenkapitalquote (31. Dezember 2015)31,2 Prozent
Größte Aktionäre (in Prozent)Acciona (29,9), Skion Momentum Capital (5,7)

¹Unternehmenswert = Marktkapitalisierung plus/minus Nettoverschuldung/Nettoliquidität,
² von 2016 an Schätzungen;
Quelle: Bloomberg; Zahlen gerundet; Stand: 27. April 2016

Über das Onlineportal Statista verschaffe ich mir nach der positiven Ersteinschätzung einen weiteren Überblick. Hier finde ich Daten von Markt- und Meinungsforschungsinstituten. Allein im vergangenen Jahr wurden weltweit mehr als 60 Gigawatt Windkraftleistung installiert. Das entspricht dem Potenzial von etwa 60 Kernreaktoren. Die Wachstumsaussichten für Deutschland sind aber nicht mehr so rosig. Die Energiewende kommt nicht so rasch voran wie geplant, und auch der Netzausbau kommt nur noch zäh voran. International wird der Bedarf an Windturbinen aber weiter steigen. Wer mitmischen will, der braucht Kapital. Wie steht also der Nordex-Konzern finanziell da?

Informationen aus vielen Quellen

Über die Pressestelle stelle ich Kontakt zum Unternehmen her. Mir gelingt es, einen Gesprächstermin mit Finanzvorstand Bernard Schäferbarthold zu vereinbaren. Zunächst interessiert mich, wie die Integration des größten Zukaufs in der Unternehmensgeschichte gelingt. Für die kommenden Jahre veranschlagt der Vorstand einmalige Integrationskosten in Höhe von etwa 25 Millionen Euro. Vor allem die Abstimmung der Computersysteme sei sehr aufwendig. „Demgegenüber sehen wir bis 2019 aber etwa 100 Millionen an Einsparpotenzial“, sagt Schäferbarthold. Bis dahin soll die Integration von AWP abgeschlossen sein.

Die Übernahme der Spanier zahlten die Hamburger etwa zur Hälfte in bar, den Rest mit eigenen Aktien. BMW-Erben-Familie Klatten, lange Zeit größte Anteilseigner an Nordex, hat ihren Anteil im Zuge der Fusion drastisch reduziert, auf noch 5,7 Prozent. Ihre Anteile gingen an den spanischen Mutterkonzern Acciona, der dadurch mit 29,9 Prozent größter Einzelaktionär wurde. Innerhalb der nächsten drei Jahre besteht eine Lock-up-Frist, in der die Spanier ihren Anteil nicht erhöhen dürfen. Verkaufen aber könnten sie, das würde den Kurs natürlich belasten.

Finanzvorstand Schäferbarthold begrüßt die Position von Acciona aber. Es sei gut, einen Ankeraktionär zu haben, der die Branche kennt. Seine Prognose für das laufende Geschäftsjahr ist optimistisch. Dieses Jahr sei ein moderates zweistelliges Umsatzwachstum der Nordex angepeilt, verrät mir Schäferbarthold. Genaue Zahlen folgen auf der Hauptversammlung am 10. Mai.

Fundamentalanalyse unerlässlich

Die Prognose also stimmt; doch passt auch die Basis? An unserem Bloomberg-Terminal habe ich Zugriff auf alle wichtigen Informationen zur Finanzlage. Diese Computer nutzen auch die Börsenprofis. Kurse, Nachrichten und alle Kennzahlen lassen sich dort in Echtzeit verfolgen – unverzichtbar für eine Fundamentalanalyse der Aktie und um die Zukunftsaussichten zu beurteilen. Theoretisch sind alle im Markt verfügbaren Informationen im Kurs abgebildet, praktisch gräbt sich nicht jeder tief in die Unternehmen ein. Oder: Trotz derselben Datenlage ziehen Käufer und Verkäufer einer Aktie einen anderen Schluss.

Ein Anteil an Nordex kostet derzeit 23,49 Euro. Die Basisdaten gefallen mir gut. Die Eigenkapitalquote von 31 Prozent verschafft Unabhängigkeit von Gläubigern und könnte auch durch eine schwierige Integrationsphase helfen. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern lag im vergangenen Jahr bei 126 Millionen Euro, für das laufende Jahr könnte er 200 Millionen übersteigen. Die Ertragskraft steigt also. Greifen die erhofften Synergieeffekte durch den Zusammenschluss, sind auch mehr als 300 Millionen Euro in Reichweite.

Auch Analysen genau betrachten

Analyst Sven Diermeier von Independent Research bremst meinen Optimismus ein wenig. Zwar sieht auch er noch Luft nach oben und gibt ein Kursziel von 27 Euro aus. Abschreibungsrisiken trüben seiner Meinung nach aber die Aussichten. „Nordex hat kaum Erfahrungen mit Übernahmen. Bei der Integration von AWP könnten noch Überraschungen drohen.“ Mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes könnte zudem regulatorischer Gegenwind drohen und das Marktumfeld in Deutschland schwieriger werden. „Bis andere europäische Länder nachziehen, dauert es dann oft nicht lange, und Europa wird auch in Zukunft ein wichtiger Absatzmarkt bleiben“, sagt Diermeier.

Diese Risiken sind aber meiner Meinung im Kurs schon drin: Seit Jahresbeginn hat die Aktie immerhin gut 30 Prozent verloren. Jetzt einzusteigen halte ich unter der Abwägung aller Chancen und Risiken für vertretbar. Wie immer setzen wir dabei einen Stoppkurs, sodass Fehleinschätzungen nicht allzu wehtun.

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