Als Margaret Thatcher am 22. November 1990 in einer Sitzung des Unterhauses von einem Abgeordneten der oppositionellen Labour Party gefragt wurde, ob sie beabsichtige, auch nach dem Ausscheiden aus Ihrem Amt ihren eigenen, persönlichen Kampf gegen eine europäische Gemeinschaftswährung und eine unabhängige Notenbank fortzusetzen, da sorgte ein Hinterbänkler mit einem Zwischenruf für ausgelassene Heiterkeit. "Nein, sie wird der Präsident!", rief der in den Raum und hatte die Lacher auf seiner Seite.
Sogar die "Eiserne Lady" amüsierte sich über den ungewöhnlichen Vorschlag, eines Tages die Führung der Europäischen Zentralbank zu übernehmen und kommentierte den Zwischenruf mit den Worten: "What a good idea!" Allerdings nicht, ohne sogleich eine einschränkende Bedingung hinzuzufügen. Wäre sie Präsidentin der Europäischen Zentralbank, dann gäbe es keine Notenbank, die niemandem verantwortlich sei, am wenigsten den nationalen Parlamenten, erklärte Thatcher mit erhobenem Zeigefinger, und erntete dafür viel Applaus.
Europa-Kritikerin
Margaret Thatcher hat aus ihrer kritischen Haltung gegenüber Europa nie einen Hehl gemacht. Schon im Jahre 1984 setzte sie ein deutliches Zeichen, als sie den sogenannten "Britenrabatt" aushandelte. Mit der Begründung, die britische Landwirtschaft sei kleiner als die der anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft (EG), weshalb Großbritannien nicht in gleichem Umfang von Agrarsubventionen profitiere, forderte Thatcher damals einen Nachlass auf den britischen Nettobeitrag zum Haushalt der EG. Und bekam ihn! Thatchers entschlossenes Vorgehen sparte der britischen Staatskasse bis heute Milliarden. Und wurde zugleich Beleg für die Abneigung, die man in Großbritannien gegenüber Europa hegt. Eine gemeinsame Währung? Eine Notenbank, die niemandem Rechenschaft ablegen muss? Für die konservative Baroness Thatcher ein Gräuel! Und auch für viele ihrer Landsleute. Kein Wunder also, dass man sich in London später dazu entschied, dem Euro nicht beizutreten, sondern die eigene Währung samt Notenbank zu behalten und so einen vom Rest Europas unabhängigen Weg zu beschreiten. Die Haltung der früheren britischen Premierministerin, sich dem damals herrschenden politischen Mainstream so entschieden zu widersetzen, verdient Respekt. So mancher hierzulande wünschte sich inzwischen wohl, Helmut Kohl wäre ein ebenso entschiedener Gegner der europäischen Währungsunion gewesen.
Das Pfund hätte sie niemals geopfert
Mit ihrer kritischen Haltung gegenüber Europa und einer Gemeinschaftswährung stand Margaret Thatcher in starkem Kontrast zu dem früheren deutschen Bundeskanzler. Helmut Kohl sieht in der Einführung des Euro noch heute eine der größten Errungenschaften seiner Regierungszeit - nach der deutschen Wiedervereinigung. Und auf deren Altar hat er - glaubt man den Geschichtsbüchern - die D-Mark geopfert. Dass der Euro ohne eine europaweit einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik der an der Gemeinschaftswährung beteiligten Staaten über kurz oder lang in Probleme geraten könnte, interessierte 1992 keinen der politisch Verantwortlichen - weder in Bonn noch andernorts. Bis auf Margaret Thatcher. Allerdings zog die aus jener Erkenntnis einen anderen Schluss. Für sie bedeutete die Einführung des Euro nichts anderes, als die Etablierung eines föderalen, europäischen Bundesstaates durch die Hintertür. Und einen solchen lehnte die "Eiserne Lady" entschieden ab. "Downing Street 10" durch eine im fernen Brüssel sitzende Regierung ersetzen zu lassen, wäre für Margaret Thatcher niemals in Frage gekommen. Sich dem Euro entgegenzustellen, war für Thatcher also nicht nur eine Frage des Geldes, bei dem die Freundschaft bekanntermaßen sowieso aufhört, sondern vor allem eine Frage der politischen Unabhängigkeit.
Schulden mit mehr Schulden bekämpfen?
Auch wenn die Frage einer gemeinsamen europäischen Währung für Margaret Thatcher in aller erster Linie eine der politischen Unabhängigkeit Großbritanniens war, so hat ihr die Geschichte in Bezug auf den Euro schon vor ihrem Tod Recht gegeben. Denn der Euro steckt 14 Jahre nach seiner Einführung in erheblichen Schwierigkeiten. Zahlreiche Staaten der Euro-Zone sind mittlerweile auf die Unterstützung anderer Länder angewiesen, die Wirtschaft in diesen Staaten schrumpft zum Teil dramatisch und die Zustimmung zur Gemeinschaftswährung sinkt sowohl in den Geber- wie auch in den Nehmerländern. Auch die Vorstellung, von einer europäischen Regierung in Brüssel regiert zu werden und selbst auf wesentliche Angelegenheiten des eigenen Staatswesens keinerlei Einfluss mehr zu haben, erscheint vielen Bürgern in Europa als fragwürdig - denen in Staaten wie Griechenland und Portugal ebenso wie denen in Deutschland. Auch wird erst die Geschichte weisen, ob die große Wette, man könne Schulden mit immer mehr Schulden bekämpfen, aufgeht.
Keine Garantie über 100.000 Euro
Derweil verstärken die in Europa politisch Verantwortlichen die Ressentiments der Bürger noch, indem sie ihnen den reinen Wein immer nur schluckweise einschenken, bisweilen sogar erst das Gegenteil von dem behaupten, was anschließend beschlossen werden soll. Ein schönes Beispiel hierzu liefert die aktuelle Diskussion um die Beteiligung von Sparern an der Sanierung maroder Staaten und Kreditinstitute. So erklärte der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, am 4. April, das Vorgehen im Falle Zyperns sei keine Blaupause für die Verfahrensweise in anderen Staaten der Euro-Zone.
Nur zwei Wochen später ist diese Äußerung bereits Makulatur. Denn wie am Wochenende bekannt wurde, planen EU-Kommission und Europäische Zentralbank genau das. So präsentierte EU-Binnenkommissar Michel Barnier Vorschläge zur Bankenabwicklung, in denen die Beteiligung vermögender Kontoinhaber an der Sanierung eines maroden Kreditinstituts festgeschrieben ist - also genau die Maßnahme, die man auf Zypern so erfolgreich erprobt hat. Wer also auf einem Bankkonto mehr als 100.000 Euro zu liegen hat, sollte sich jetzt schon einmal überlegen, ob sein Kreditinstitut solvent ist und wie er gegebenenfalls sein Risiko verringern kann.
Die Baroness Thatcher indes kümmert all das wenig. Sie schwebt auf einer Wolke über Großbritannien und wird vielen ihrer Landsleute wie allen Freunden klarer Sprache und ehrlicher Politik immer in bester Erinnerung bleiben.
Hinweis: Herr Engelmann ist Mitarbeiter der Citigroup in Deutschland. Der von ihm verfasste Text gibt allein seine persönliche Meinung wieder und ist keine Analyse, Beratung oder Empfehlung der Citigroup.