Verkehrte (Finanz)welt
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7 Tipps, um Bilanzen in Krisen- und Inflationszeiten richtig zu lesen

Privatanleger betrachten die Bilanzen und Jahresabschlüsse ihrer Portfoliowerte oftmals erst dann genauer, wenn sich Probleme ankündigen. Was können Kleinanleger von Profi-Investoren abschauen? Sieben Empfehlungen. Eine Kolumne.

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Die Herausforderungen der aktuellen Marktphase mit erhöhter Inflation und gestiegener ökonomischer Unsicherheit treffen nicht nur viele Privatanleger, sondern auch institutionelle Investoren. Diese prüfen Bilanzrisiken daher sehr genau und nutzen in der laufenden Bilanzsaison proaktiv die zur Verfügung stehenden Rechenwerke. Was können sich Kleinanleger also von den Großinvestoren abschauen? Nachstehend skizzieren wir sieben Empfehlungen.

Tipp 1: Die Vorräte unter die Lupe nehmen

Unternehmen müssen bei der Bewertung von Vorräten (also etwa Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe) Annahmen bezüglich der „Verbrauchsfolge“ treffen: Verlassen eher die ältesten oder eher die jüngst hinzugekommenen Vorräte als erstes das Unternehmen? Vorsicht: Umso länger die Vorräte in Zeiten von Inflation annahmegemäß im Unternehmen liegen, umso „günstiger“ fließen sie als Aufwand in die Gewinn- und Verlustrechnung ein und umso höher fallen die ausgewiesenen Gewinnmargen aus. Achten Sie besonders auf Unternehmen, die nach der sogenannten FIFO-Methode (First-In-First-Out) bilanzieren. Deren Gewinne sehen in Inflationszeiten meist deutlich besser aus als in normalen Zeiten.

Tipp 2: Abschreibungen bei kapitalintensiven Unternehmen verstehen

Ähnlich verhält es sich bei kapitalintensiven Unternehmen. Firmen, bei denen Abschreibungen einen großen Teil des Gesamtaufwands ausmachen, erscheinen bei anziehender Inflation profitabler als sie in Wahrheit sind. Warum? Auch die Abschreibungen beziehen sich auf historische Anschaffungs- und Herstellungskosten, die in inflationären Zeiten weit unter den Wiederbeschaffungswerten liegen werden. In der Realität heißt dies dann häufig: Der Gewinn steigt, er reicht aber nicht aus, um die inflationierten Wiederbeschaffungspreise der Maschinen zu begleichen.

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Tipp 3: Neues Finanzierungsumfeld berücksichtigen

Es gibt immer noch reichlich Unternehmen, die von guten Finanzierungskonditionen zehren, da sie einen Großteil ihres Fremdkapitals in den Niedrigzinszeiten vor 2022 emittiert haben. Früher oder später steht jedoch die Refinanzierung an – und diese kann teuer werden. Achten Sie deshalb auf die Rückzahlungszeitpunkte der großen Kredit- oder Anleihepositionen des Unternehmens. Im Jahr der Rückzahlung werden die Zinsbelastungen sicher nach oben gehen.

Tipp 4: Details zum Thema Factoring in der Bilanz erkennen

Fremdkapital wird in sehr unterschiedlichen Formen genutzt. Insbesondere Unternehmen mit hohen Kundenforderungen greifen gern zu sogenannten Factoring-Lösungen. Dabei kauft eine Bank oder ein anderer Factoring-Dienstleister Rechnungen mit Abschlag vom Unternehmen an und stellt sofort Liquidität bereit. Bei solchen Transaktionen handelt es sich aber im Kern um eine Finanzierung, wobei der Abschlag als Zins gesehen werden kann. In Krisen- und Inflationszeiten steigt der Abschlag zum Nachteil des Unternehmens. Zieht sich die Bank komplett aus dem Geschäft zurück, beispielsweise weil ihnen die Forderungen in der Krise nicht werthaltig genug erscheinen, droht eine Liquiditätslücke im Unternehmen. Das Gute: Wenn auch oft kleingedruckt, Anleger finden Details zum bestehenden Factoring im Anhang der Bilanz.

Tipp 5: Cash ist nicht gleich Cash

In Zeiten niedriger Zinsen haben sich Unternehmen bei der Geldanlage mit festverzinslichen Anlagen mit längeren Laufzeiten arrangiert. In der Bilanzierung nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) müssen diese zum Marktwert angesetzt werden, sofern die Unternehmen weiterhin liquide bleiben wollen („Available-for-Sale“-Ansatz). Nun, da die Zinsen gestiegen sind, drohen dem Halter dieser Papiere teilweise erhebliche Marktwertverluste. Tipp: In Krisenzeiten sollte das Thema Liquidität in jedem Fall einer genaueren Analyse unterzogen werden.

Tipp 6: Vorsicht bei Beteiligungsbewertungen

Auf die Ergebnisse der nach IFRS vorzunehmenden Werthaltigkeitsprüfung der Firmenwerte bei Unternehmensbeteiligungen (sogenannte „Impairment Tests“) sollten Sie sich nicht allzu sehr verlassen. Wenn Unternehmen bisher keine großen außerplanmäßigen Abschreibungen vorgenommen haben, dann heißt das nämlich noch lange nicht, dass bei den Beteiligungen alles in Ordnung ist. Abschreibungen auf Firmenwerte kommen regelmäßig zu spät, und wenn sie kommen, dann meist nicht in ausreichender Höhe. Häufig ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, wenn sich die Buchwerte bewegen.

Tipp 7: Buchwerte auch bei Immobilien kritisch prüfen

Ähnliches gilt für Objektbewertungen in den IFRS-Bilanzen der Immobilienunternehmen. Auch hier laufen die Buchwerte, die häufig aus Vergleichstransaktionen abgeleitet werden, regelmäßig den Marktbewertungen hinterher. Für Wohnimmobilien ist zwar meist noch eine ausreichende Menge an liquiden Vergleichstransaktionen verfügbar. Bei hochindividuellen Gewerbeimmobilien sieht das allerdings anders aus. Wo kein Vergleichsmarkt ist, da lassen sich auch keine guten Analogien bilden.

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Mit diesen Empfehlungen sollten Sie in der Lage sein, sich etwaig aufkommenden Bilanzstürmen etwas sicherer entgegenzustellen. Doch hören Sie hier nicht auf, Rechenwerke zu hinterfragen. Graben Sie weiter in den Tiefen der Jahresabschlüsse, um ein ganzheitliches Bild des Unternehmens zu bekommen. Denn es gilt noch immer der alte Grundsatz: „Gute Bilanzen sind in Wirklichkeit noch besser, schlechte Bilanzen noch schlechter“.

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Die Kolumne „Verkehrte Finanzwelt“ entsteht in Zusammenarbeit mit der CFA Society Germany.

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