Verkehrte (Finanz)welt
Die inhaltliche Analyse und das stetige Hinterfragen von Investments sind erfolgskritisch. Quelle: imago images

„Buyer Beware“ – 6 Tipps zur Achtsamkeit beim Investieren

Viele Signale deuten auf eine Überbewertung am Aktienmarkt hin. Doch können Privatanleger diese tatsächlich erkennen? Welche Möglichkeiten gibt es, um hinter die Kulissen zu schauen?

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Die derzeitige Situation ist für Privatanleger keineswegs einfach: Aktien- und Immobilienmärkte sind auf Allzeithochs. Damit sind diese Assets durchweg eines: nämlich teuer. Bei verzinslichen Papieren ziehen zwar die Renditen von Staatsanleihen langsam an, diese sind aber noch immer historisch niedrig. Stattdessen droht die Belastung von Bankguthaben mit Negativzinsen. Anleger könnten daher leicht in eine Phase der Nachlässigkeit oder in eine Art Starre verfallen – obwohl die inhaltliche Analyse und das stetige Hinterfragen von Investments erfolgskritisch sind.

Hinzu kommt die Herausforderung, dass Anleger sich leider auch proaktiv vor betrügerischen Aktivitäten schützen müssen – wie zuletzt das Beispiel Wirecard AG gezeigt hat.

Für das Erkennen von Warnzeichen ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Investment notwendig. Großinvestoren beziehungsweise deren Berater betreiben dafür einen nicht unerheblichen Aufwand („Due Diligence“). Doch auch aufmerksamen Privatanlegern bieten sich – in Anlehnung an die Arbeit des forensischen Experten Howard Schilit – einige erste Anhaltspunkte. Diese sind so strukturiert, dass zunächst allgemeine, dann sehr spezifische finanzielle Aspekte behandelt werden:

1. Unternehmenshistorie und Auffälligkeiten

Ein Blick in die Vergangenheit von Unternehmen offenbart zumeist bereits Erkenntnisse. Zunächst sollte recherchiert werden, ob Auffälligkeiten vorgekommen sind, wie zum Beispiel verspätete Veröffentlichungen von Jahresabschlüssen, Rechtsstreitigkeiten oder sogar Delikte beziehungsweise Straftaten von Verantwortlichen im Unternehmen.

2. Philosophie und Transparenz

Die unternehmerische Kultur und die Art und Weise, wie sie durch Führungskräfte verkörpert wird, erlaubt ebenfalls Rückschlüsse. Wie gibt sich das Unternehmen nach außen? Werden kritische Themen transparent behandelt? Wenn ein Unternehmen beispielsweise Druck auf vernünftigen Journalismus ausübt, um potenziell negative Schlagzeilen zu verbergen, ist dies ein eindeutiges Warnzeichen, das zu mehr Vorsicht und Recherche anregen sollte.

3. Leerverkäufe

Was sagen die Short-Seller? Ein hohes Interesse von Leerverkäufern, die auf fallende Marktpreise oder Firmeninsolvenzen setzen, sollte Privatanleger misstrauisch machen. Da sich solche professionellen Investoren ihren Lebensunterhalt mit diesen Investmentstrategien verdienen, lohnt es sich, die Argumentation für den Leerverkauf und die Relevanz für die eigene Anlageentscheidung zu überprüfen.

4. Realistische Umsätze

Der Erfolg des Top-Managements wird in der Regel anhand des Umsatzwachstums gemessen. Dementsprechend besteht ein Anreiz möglichst viel Umsatz zu deklarieren, um einen hohen Jahresüberschuss zu erzielen. Als Kleinanleger sollte man darauf achten, ob sich ein relativ hohes Wachstum im Branchenvergleich auch durch neue Produkte oder Dienstleistungen erklären lässt. Nachdenklich stimmen sollte, wenn Forderungen aus Lieferungen und Leistungen im Vergleich zu den ausgewiesenen Umsatzerlösen über mehrere Jahre überproportional steigen – dies weist auf verfrühte Erlösbuchungen oder sogar fiktive Umsatzerlöse hin. Ein genauer Blick in die Gewinn- und Verlustrechnung ist empfehlenswert.

5. (Außerordentliche) Aufwände

Was genau verbirgt sich hinter bestimmten Aufwandspositionen? Ein starker Rückgang operativer Ausgaben kann bei genauer Betrachtung sogar das Gegenteil nachhaltig-bewusster Sparmaßnahmen sein. Nämlich dann, wenn diese als Investitionen ins Anlagevermögen in die Bilanz aufgenommen werden. Diese sogenannten „Capital Expenditures“ sind vor allem dann als Warnzeichen zu werten, wenn sie unerwartet, in großer Höhe und entgegen ursprünglicher Guidance erfolgen beziehungsweise der aktuellen Markt- oder Nachfragesituation widersprechen. Ein weiteres Beispiel sind außerordentliche Aufwände: Treten solche Positionen immer wieder auf, so sind diese als wiederkehrend zu betrachten und der Gewinn entsprechend zu korrigieren. Es lohnt ein Vergleich der Angaben im Anhang der Geschäftsberichte mehrerer Geschäftsjahre.

6. Cashflow geschönt?

Grundsätzlich sind Manipulationen an der Kapitalflussrechnung eines Unternehmens schwieriger zu bewerkstelligen als bei der Gewinn- und Verlustrechnung (vgl. Nummer 4 „realistische Umsätze“). Aber auch hier sollten Anleger genauer hinschauen: Häufig wird der operative Cashflow geschönt, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Kerngeschäfts besser dastehen zu lassen. Zum einen geschieht dies durch die Zuordnung eigentlich nicht-operativer oder einmaliger Zuflüsse (positive Cashflows) zum operativen Cashflow.Beispiel: Verkauf von Forderungen an Banken oder Factoring-Anbieter. Diese Transaktionen sind legitim, jedoch nicht als wiederkehrend zu betrachten. Bleibt das Kreditrisiko für die abverkauften Forderungen beim Verkäufer, darf der Zufluss an Geldmitteln nicht als operativer Cashflow ausgewiesen werden.



Ebenfalls nicht selten wird der operative Cashflow durch Umklassifizierung von eigentlich operativen Abflüssen (negativen Cashflows) zu Lasten des Cashflows aus Investitionstätigkeit geschönt. Beispielsweise wurde der Einkauf von DVDs im Rahmen des ehemaligen DVD-Verleihgeschäfts von Netflix nicht als operativer, sondern als investiver Mittelabfluss ausgewiesen. Dies hatte einen vermeintlich besseren operativen Cashflow im Vergleich zur Konkurrenz zur Folge.

Fazit und Ausblick: Bleiben Sie wachsam

Beispiele aus der Vergangenheit haben immer wieder gezeigt, dass sich Überbewertungen am Kapitalmarkt über viele Jahre halten können. Um damit verbundene Vermögensschäden zu vermeiden, sollten Anleger vor einer Investitionsentscheidung gewissenhaft hinter die Kulissen schauen.

Damit Marktpreise vernünftige Bewertungen von Finanzinstrumenten widerspiegeln und sich so weniger „Preisblasen“ an den Kapitalmärkten bilden, dafür gibt es sehr viele Einflussgrößen: Zum Beispiel beeinflussen Notenbanken durch das Zinsniveau die Attraktivität von Risiko-Anlagen, die öffentliche Hand beeinflusst das Marktgeschehen durch gesetzliche Änderungen und professionelle Investoren geben durch fundierte Recherche und große Transaktionsvolumina Markttrends vor.

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Auch Privatanleger können mit ihren eigenen Analysen und damit besser informierten Anlageentscheidungen zu ihrem eigenen Wohl, aber auch übergeordnet einen wichtigen Beitrag leisten.

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