Verkehrte (Finanz)welt
Mit der Abzinsungsformel lässt sich leicht berechnen, ob sich eine Investition lohnt. Quelle: imago images

Geldanlage: Der Blick in die Glaskugel – so kalkulieren Profis

Wie viel Geld muss heute investiert werden, um eine bestimmte Summe in der Zukunft zu erhalten? Bei der sogenannten Abzinsungsformel geht es um den aktuellen Wert künftiger Zahlungen. Eine Kolumne.

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Die Finanzmärkte sind komplex und die sie bestimmenden Logiken oftmals nicht leicht zu verstehen. Dennoch: Die meisten Überlegungen und Berechnungen, die tagtäglich von professionellen Investoren angestrengt werden, gehen auf eine Formel zurück: PV = CF/(1+r)^t.

Klingt kompliziert? Ist es aber nicht. Die sogenannte Abzinsungsformel beschreibt, dass der heutige Wert (PV oder „Present Value“) von einer Zahlung in der Zukunft (CF oder „Cash Flow“), einer erwarteten beziehungsweise angenommenen Rendite (r) und der Zeit, bis die Zahlung stattfindet (t oder „Time“), abhängt.

Beispiel Anleihen

Habe ich eine Anleihe (ohne Kupon), die in zehn Jahren den Nennbetrag von 100.000 Euro zahlt und beobachte ich am Markt einen üblichen Zins von 2 Prozent, dann sollte ich heute nicht mehr als 82.035 Euro für dieses Rentenpapier zahlen (100.000/1,02^10). Notiert dieselbe Anleihe günstiger, also zum Beispiel nur bei 77.000 Euro, dann bietet sie dem Investor eine Rendite von 2,65 Prozent (100.000/77.000)^1/10).

Zur Person

Beispiel Konsum

Interessieren Sie sich dafür, wie viel Mehrkonsum Ihnen der Verzicht auf einen heutigen Autokauf (angenommener PKW-Kaufpreis: 50.000 Euro) 25 Jahre später während der Rente ermöglicht? Nehmen wir an, Sie hätten das Kapital stattdessen in den Aktienmarkt (erwartete Rendite: 8 Prozent) investiert. Dann lautet die Formel: 50.000*1,08^25. Sie kommen auf einen Betrag von mehr als 342.000 Euro.

Umgekehrt lässt sich relativ genau bestimmen, wie viel Geld heute gespart werden muss, um in der Zukunft beispielsweise eine berufliche Auszeit oder einen Hauskauf zu finanzieren.

Beispiel Aktienmarkt

Auch am Aktienmarkt verlässt man sich auf die Abzinsungsformel. Investoren kaufen Aktien, um an künftigen Gewinnen zu partizipieren. Diese werden in Form von Dividenden an sie ausgeschüttet. Verspricht ein Unternehmen in einem Jahr eine Dividende in Höhe von 1 Euro je Aktie, so geht diese künftige Zahlung in den heutigen Wert der Aktie ein (man spricht hier vom Barwert). Da ich als Aktieninvestor für das eingegangene Risiko in der Regel mit einer Rendite von 8 bis 10 Prozent vergütet werden möchte, muss ich diesen Prozentsatz bei der Abzinsung ansetzen: 1/1,08≈0,93.

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Natürlich erwirtschaften die meisten Unternehmen nicht nur in einem Jahr Gewinne, es bleibt also nicht bei einer einmaligen Dividendenzahlung. Für den Wert einer Aktie ist daher die Summe aller Dividenden-Barwerte zu bilden. Ich addiere also die erwarteten Dividenden (angenommen: 5 Euro) des zweiten (1/1,08^2≈0,86), dritten (5/1,08^3≈3,97) und aller anderen Jahre hinzu. Die Finanzmathematik hilft hier mit der Rentenbarwertformel und dem sogenannten Gordon-Growth-Model. Diese sind aber eigentlich alle Variationen der Abzinsungsformel.

Beispiel Volatilität

Sogar die Einflussfaktoren der Schwankungen an den Aktienmärkten können mithilfe der Abzinsung erklärt werden. Steht ein Unternehmen (oder die Volkswirtschaft) vor einer Krise, so sinkt die Gewinnerwartung. Zur Ausbruchszeit der Corona-Pandemie konnten Hotels beispielsweise keine Gäste beherbergen. Damit lagen ihre Umsatzaussichten bei null. Gleichzeitig hatten sie Mitarbeiter zu bezahlen, Gebäude und Computersysteme zu unterhalten und so weiter. Dadurch häuften sie Verluste an. In ihren Aktienpreisen fehlten also die stark ins Gewicht fallenden Gewinne der nächsten Jahre.

Neben sich sehr dynamisch entwickelnden Gewinnerwartungen erklärt aber auch eine andere Logik stark schwankende Aktienpreise: Der Abzinsungsfaktor kann in einer Krise nicht länger beim langfristigen Durchschnitt liegen. Warum ist dies so? Sind wirtschaftliche Aussichten düster, so bedroht dies die Existenz mancher Unternehmen. Um das Risiko eines Investments einzugehen, erwarten Aktionäre in dieser Situation eine besonders hohe Rendite. Zinst man den Wert der Dividendenzahlungen (angenommen: 5 Euro) in drei Jahren aber mit 30 Prozent ab, ergibt sich ein Wert von nur noch 2,28 Euro statt 3,97 Euro. Daraus lässt sich ableiten, warum der Börsenwert eines Unternehmens teils drastisch fallen kann.

Fazit und Ausblick

Stark schwankende Wertpapierkurse sind nicht die Ergebnisse schwarzer Magie, sondern haben sehr rationale Gründe: Es geht immer um den heutigen Wert künftiger Zahlungen, die sich mit mathematischen Grundkenntnissen nachvollziehen lassen. Zuletzt haben wir dies in diesem und letzten Jahr erfahren, als große Veränderungen des Zinsniveaus historisch bisher einmalige Verluste bei Anleihenkursen verursacht haben.

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Die Abzinsungsformel kann außerdem bei der persönlichen Investitionsrechnung zum Einsatz kommen. Sie hilft Anlegern dabei, die Preisbildung an den Wertpapiermärkten nachzuvollziehen und künftige Entwicklungen besser einzuschätzen. Damit ist sie ein echter Alleskönner.

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