Verkehrte (Finanz)welt Künstliche Intelligenz: Die nächste Aktienblase?

Quelle: dpa

Für viele Privatanleger mag es verlockend sein, in Titel zu investieren, die im vermeintlichen Zentrum einer Innovation stehen. Teilbereiche des Aktienmarktes können jedoch zu Übertreibungen neigen. Kenntnisse der typischen Zyklen von Innovationen, deren Phasen und Muster sind von Vorteil. Eine Kolumne.

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Künstliche Intelligenz (KI) und das mögliche langfristige Potenzial für Wirtschaft und Gesellschaft sind in aller Munde. Besonders die Einführung von ChatGPT, die erste beeindruckende Anwendung von KI für den Konsumenten, führte zu einem großen öffentlichen Interesse für KI-Innovationen. An der Börse, wo bekannterweise die Zukunft eine große Rolle spielt, schlägt sich das KI-Narrativ bereits in den Erwartungen der Anleger und in den Unternehmensbewertungen wider – insbesondere bei den vermeintlich innovativen Vorreitern. Doch einige Marktteilnehmer warnen auch vor verfrühter und geschönter Utopie.

Typische Innovationszyklen

Um die Geschehnisse einzuordnen, lohnt sich ein Blick auf vergangene Innovationszyklen. Grundsätzlich kommt es bei Innovationen häufig in Teilbereichen eines Aktienmarktes zu einer Blase, also einer extremen Übertreibung, bei der sich der Aktienkurs vollständig von den operativen Kennzahlen eines Unternehmens abkoppelt.

Einer Studie der Historiker E. Chancellor und C. Kramer zufolge, in welcher Einführungen neuer Technologien über die letzten 200 Jahre analysiert wurde, konnte in 73% aller Fälle eine Aktienblase festgestellt werden. Dafür wurden von der Verbreitung der Eisenbahn in den 1840er Jahren über Radios in den 1920ern bis hin zur Dotcom-Blase Ende der 1990er eine Vielzahl von Erfindungen berücksichtigt.

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Der Lebenszyklus einer Innovation besitzt einige wiederkehrende Muster, die gemäß James Utterback, Professor für Management und Innovation an der Sloan School of Management des MIT, in vier Stufen klassifiziert werden können:

  1. Pionier-Phase:
    Neben der Grundlagenforschung experimentieren erste Unternehmen mit Design und Geschäftsmodellen, unter hoher Unsicherheit und mit hohem Misserfolg.
  2. Übergangs-Phase:
    Gewisse Methoden etablieren sich langsam. Unternehmen versuchen, sich als führende Spieler zu etablieren bei gleichzeitig intensiver Wettbewerbssituation.
  3. Optimierungs-Phase:
    Produkt-Gestaltung und Methoden sind klar definiert. Der Fokus liegt auf Effizienzsteigerungen, Optimierung und Spezialisierung der Produkte. Die Marktstruktur konsolidiert sich, Nischenmärkte entstehen und einige Unternehmen werden aus dem Markt gedrängt.
  4. Dominante-Phase:
    Der Markt ist reif und gesättigt. Eine stabile Marktstruktur mit klaren Marktführern und Methoden ist etabliert. Es findet nur noch begrenzt Innovation statt, um Produkte zu verbessern und Marktanteile zu gewinnen.

Wann entstehen Aktienblasen?

Eine Aktienblase entsteht meistens aufgrund hoher Unsicherheiten und volatiler Marktstrukturen in der ersten und/oder zweiten Phase des Zyklus. Der vereinfachte Verlauf am Kapitalmarkt ist typischerweise wie folgt: Anfänglich ist die hohe Aktienrendite und Bewertungsausdehnung meist noch durch realistische Wachstumserwartungen gerechtfertigt. Diese positiven Renditen und Aussichten ziehen natürlich eine Menge Geld an und viele neue Unternehmen betreten den kompetitiven Markt. Euphorie baut sich auf und lässt Bewertungen durch Spekulationen und überschüssigen Kapitalfluss auf ein unrealistisches Niveau ansteigen. In dieser Situation reicht ein Nadelstich und die Blase platzt wie ein Luftballon. Viele Anbieter verschwinden vom Markt und ein paar dominante Unternehmen kristallisieren sich heraus. Dies ist oftmals der Übergang zu der dritten Phase, in der die Innovation immer stärker ihre Wirkung in der gesamten Wirtschaft entfaltet. Mit Blick auf den aktuellen KI-Zyklus spricht einiges dafür, dass wir uns in der zweiten Hälfte von Phase 2 befinden.

Jede Innovation hat allerdings auch ihre Eigenheiten, etwa die Dauer der einzelnen Phasen oder die Geschwindigkeit, mit der eine neue Technologie angenommen wird. Letztere hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich beschleunigt. Eine wichtige Besonderheit in dem aktuellen Zyklus ist, dass die innovativen KI-Vorreiter, anders als beispielsweise in den 90er Jahren, bereits sehr rentable Geschäftsmodelle besitzen, mit denen sie ihre Aktivitäten finanzieren können.

In der Vergangenheit haben radikale Innovationen häufig eine neue Welle an „Superstar“-Unternehmen mit Geschäftsmodellen und Lösungen hervorgebracht, die vorher noch undenkbar waren. Oftmals findet die größte ökonomische Disruption dort statt, wo neue Methoden eingesetzt werden, um traditionelle Industrien nachhaltig zu verändern. Ein klassisches Beispiel ist der Online-Handel, der mithilfe des Internets den traditionellen stationären Handel nachhaltig aufgebrochen hat.

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Ausblick

Wir sind inmitten des wohl signifikantesten Innovationszyklus des 21. Jahrhunderts, der vermutlich kaum eine Industrie unberührt lässt. Ein Blick in die Vergangenheit hilft Anlegern dabei, den Umbruch einzuordnen und mögliche Konsequenzen für den Kapitalmarkt abzuleiten. Während eine Aktienblase historisch eher die Regel als die Ausnahme darstellt, bleibt abzuwarten, ob auch diese Innovation zu Exzessen am Kapitalmarkt führen wird. Langfristig werden KI-Profiteure sicherlich in einer Vielzahl von Industrien erkennbar sein und die Produktivität der gesamten Wirtschaft erhöhen.

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Die Kolumne „Verkehrte Finanzwelt“ entsteht in Zusammenarbeit mit der CFA Society Germany.

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