Rohstoffhändler Giganten in Öl

Fünf milliardenschwere Konzerne steuern aus der Schweiz die Erdöl-Ströme der Welt. Sie handeln mit Ölmultis, arabischen Potentaten und russischen Oligarchen – meist im Verborgenen. Der Einflussreichste der "Big Five", Glencore, will an die Börse.

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Glencore Quelle: Bernd Auers für WirtschaftsWoche

Wie reich sie sind, wissen sie selbst nicht. Dass aber der Rohstoffboom sie immer reicher gemacht hat, dürfte den rund 500 Rohstoffhändlern und Managern, denen Glencore gehört, klar sein. Der Handelsriese aus dem schweizerischen Baar liebäugelt mit einem Börsengang, an den Weltbörsen wird ein Unternehmenswert von bis zu 60 Milliarden Dollar herumgereicht. Pro Partner wären das 120 Millionen. Vor 15 Monaten, als Glencore erstmals Investoren mit ins Boot nahm, wurde die Firma mit 35 Milliarden Dollar bewertet, Ende 2005 schätzten die Berater von McKinsey deren Wert noch auf 15 Milliarden.

Warum also nicht aussteigen, wenn es am schönsten ist?

Glencores Geschäft ist vor allem der Handel mit Erdöl, Kohle, Metallen, Getreide und anderen Rohstoffen. Und der floriert wie selten zuvor. 2010 trieben die Händler vom Zuger See, die täglich nach Feierabend in nagelneuen Vans von ihrer unscheinbaren Zentrale zum Zuger Bahnhof gekarrt werden, ihren Umsatz um gut ein Drittel auf 145 Milliarden Dollar, der Nettogewinn stieg auf 3,8 Milliarden Dollar. Damit hat Glencore doppelt so viel verdient wie der Dax-Konzern Bayer.

Zusammen kommen die fünf führenden, alle aus der Schweiz operierenden Öl-Handelshäuser Glencore, Vitol, Trafigura, Gunvor, und Mercuria auf mehr als eine halbe Billion Dollar Umsatz – etwa so viel wie das Sozialprodukt der Schweiz. Durch die Hände der großen fünf geht geschätzt ein Drittel des Rohöls, das von den Erzeugerländern auf den Weltmarkt gebracht wird. Wohl keine legale Branche weltweit gibt so wenig über sich preis. Wem die Unternehmen genau gehören, mit wem sie Handel treiben, wie hoch ihre Gewinne sind, darüber reden die Ölhändler nicht.

Ebenso wie die Öffentlichkeit scheuen sie das Finanzamt. Damit die Steuerlast möglichst gering gehalten wird, haben die Firmen meist eine komplizierte Konstruktion: Die Mutter sitzt meist in den Niederlanden, wo Holdings maßvoll besteuert werden. Für das operative Geschäft ist eine Tochter in der Schweiz verantwortlich – Unternehmen in ausländischem Besitz werden vom Schweizer Fiskus schonend behandelt, auch die persönlichen Steuersätze der Händler sind lachhaft niedrig.

Mach’s wie Goldman

Sollte er an die Börse gehen, müsste sich Glencore-Chef Ivan Glasenberg, ein Südafrikaner, von der lange geübten Verschwiegenheit verabschieden. Anleger wollen Zahlen sehen. Der Börsengang dürfte auch mehr Licht auf die vier Konkurrenten von Glencore lenken, die ihre Geschäfte noch lieber im Dunkeln betreiben. Trafigura etwa denkt darüber nach, sein Lager- und Verladegeschäft an die Börse zu bringen.

Den Vorreiter aber macht Glencore.

"Das Unternehmen arbeitet intensiv an der Vorbereitung des Börsengangs", berichten Insider. Vielerorts wird spekuliert, dass die 500 Partner sich auszahlen lassen wollen. Sie haben durch über Jahre aufgelaufene Gewinnbeteiligungen Vermögensansprüche von rund 20 Milliarden Dollar angesammelt, die derzeit von einem Fonds gehalten werden. Der Verdacht, dass sie jetzt, da die Kurse der Rohstoffaktien noch oben sind, Kasse machen wollen, liegt nahe.

Vorbild könnte der Börsengang von Goldman Sachs 1999 an der Wall Street sein, bei dem jedem Partner im Schnitt Aktien für 60 Millionen Dollar zugeteilt wurden, die sie aber erst nach drei Jahren verkaufen durften. "Die Partner werden nicht Kasse machen", heißt es dann auch aus dem Umfeld von Glencore. Das Geld der Investoren solle ganz überwiegend in das Unternehmen selbst fließen. "Mit der Ausgabe von Aktien schafft Glencore eine Währung, um mögliche Fusionen und Übernahmen zu finanzieren", sagt ein Kenner des Unternehmens.

Im Investmentbanking ist Goldman das Maß aller Dinge. Im Rohstoffhandel ist es Glencore. Der Konzern agiert wie eine Krake, die mit ihren Tentakeln den ganzen Erdball umspannt. Niemand kennt das internationale Rohstoffgeschäft besser als die Händler, die in 50 über den ganzen Erdball verteilten Büros ihre Deals abschließen – von Calgary bis Johannesburg, von Mumbay bis Brisbane.

Das Unternehmen handelt mit den mächtigsten Konzernen der Welt, mit BP, Exxon und Shell, mit Rohstoffgiganten wie Rio Tinto, mit Stahlkonzernen und Agrarriesen. Es schließt Allianzen mit jedem, der ihm von Nutzen sein kann – seien es russische Oligarchen wie Oleg Deripaska, an dessen Rusal Glencore beteiligt ist, seien es Despoten rohstoffreicher Länder in Afrika.

Glencore kauft von Erzeugern und Ölkonzernen Rohöl, Benzin, Diesel, Heizöl und Kohle und verkauft mit Aufschlag weiter. Bei Metallen sind die Schweizer mit Aluminium, Blei, Kupfer, Nickel und Zink gut im Geschäft – sowohl zugekauft als auch in den eigenen Minen produziert. Laut Insidern hat Glencore 2010 mit Metallen mehr Geld verdient als mit Öl. Auch bei Mais, Reis, Weizen, Gerste oder Speiseöl gehört der Konzern zu Europas führenden Anbietern. In Australien, Paraguay, Russland, der Ukraine und Kasachstan beackert Glencore 270.000 Hektar eigenes und gepachtetes Farmland – eine Fläche deutlich größer als das Saarland.

Vom "King of oil" gelernt

Viele Ölhändler, bei Glencore und den anderen Firmen, haben ihr Handwerk bei Marc Rich gelernt. Der "King of Oil", wie sein Biograf Daniel Ammann ihn nennt, hatte in den Siebzigerjahren beinah im Alleingang den Spotmarkt für Öl geschaffen, an dem Öl nicht zu einem in Monaten fällig werdenden Preis, sondern zum Tagespreis gehandelt wird. Rich sei reich geworden, weil er "ohne ethische oder moralische Hemmungen" Geschäfte gemacht habe, heißt es in einem Bericht des US-Repräsentantenhauses, den die Schweizer "Weltwoche" zitiert. Er belieferte das Apartheid-Regime Südafrikas mit Öl aus Nigeria; er unterlief die internationalen Sanktionen gegen den Iran; er handelte mit dem kommunistischen Kuba ebenso wie mit dem faschistischen Spanien.

In den USA wurde er wegen Steuerhinterziehung, Manipulation des Ölmarkts und "Handel mit dem Feind" gesucht, das FBI führte ihn auf der Liste der meistgesuchten Personen. 2001 begnadigte ihn Präsident Bill Clinton. Weil Richs Ex-Frau zu den großzügigsten Spendern der Demokraten zählte, wurde Clinton dafür heftig kritisiert.

Rich war bereits sieben Jahre zuvor aus seiner Firma ausgeschieden und hatte seine Anteile an der Marc Rich & Co AG an das Management unter Führung des Westfalen Willy Strothotte verkauft. Offenbar hatte es davor heftigen Streit wegen geschäftlicher Fehlentscheidungen gegeben. "Ich war schwach. Die anderen bemerkten das und nutzten es aus. Sie hielten mir das Messer an den Hals", sagte Rich.

"Marc Rich? Mein Arbeitgeber von 1978 bis 1992", war der einzige Kommentar, den sich Strothotte in einem seiner seltenen Interviews – 2002 mit der Schweizer "Handelszeitung" – zu Rich entlocken ließ. Heute ist Strotthotte Präsident des Verwaltungsrats, vergleichbar einem Aufsichtsratschef. Die Marc Rich & Co AG firmiert längst als Glencore; auf der Web-Site des Konzerns findet sich kein Hinweis mehr auf Rich.

Doch heftig kritisiert wird die Firma nach wie vor. Umweltverschmutzung, Ausbeutung von Arbeitern, Zerstörung ganzer Dörfer – immer wieder sieht sich Glencore mit Vorwürfen von Naturschützern und Menschenrechtlern konfrontiert.

Erst Ende Januar richteten die Grünen im Bundestag eine Anfrage an die Bundesregierung, in der sie unter anderem wissen wollten, welche deutschen Unternehmen Kohle von Glencore beziehen. Gestützt auf Berichte von Menschenrechtsorganisationen, heißt es darin, es komme beim Kohleabbau in Kolumbien regelmäßig zu schweren Menschenrechtsverletzungen und gravierender Umweltzerstörung: "Armee und Paramilitärs ,säubern‘ das Land, wenn Bergbauunternehmen auf neu ausgewiesene Abbaugebiete zugreifen wollen", es komme "zu massenhaften Vertreibungen und Gewaltakten gegen die Zivilbevölkerung", Ermordung von Aktivisten und Enteignungen.

In den Minen würden Arbeitsschutzrichtlinien nicht eingehalten, darüber hinaus werde die Gründung von Gewerkschaften von Konzernen aktiv behindert. Die Umweltfolgen seien verheerend: "Der Steinkohleabbau in Kolumbien geht mit einer massiven Abholzung ökologisch wertvoller Waldgebiete und einer Belastung von Böden und Gewässern einher."

Die Bundesregierung antwortete am 17. Februar, der Abbau in den Provinzen César und La Guajira – wo Glencore mehrere Minen betreibt – werde „durch internationale Firmen durchgeführt, die mit hohem technischem Aufwand und nach Auskunft der kolumbianischen Regierung unter Einhaltung der internationalen Umwelt-standards arbeiten“. Es seien die kleinen, illegalen Minen, die Schäden anrichteten.

Für einen Börsenkandidaten sind solche Anfragen höchst unangenehm. Investoren achten zunehmend darauf, dass Unternehmen ökologische und ethische Standards einhalten. Um kritische Anleger zu gewinnen, muss Glencore beweisen, dass dies der Fall ist.

Die "Rich Boys" von Trafigura

Zu den Lehrlingen des King of Oil, den sogenannten "Rich Boys", gehören Claude Dauphin und Eric de Turckheim; sie hoben 1993 ihr eigenes Handelshaus aus der Taufe, die Trafigura Beheer. Mit 79 Milliarden Dollar ist sie die Nummer drei der Branche, nach Vitol und Glencore. Trafigura ist heute mit 67 Büros in allen wichtigen Ölförder- und Verbrauchsländern aktiv. Globale Präsenz ergibt sich zwingend aus dem Geschäftsmodell der Ölhändler – sie betreiben systematisch Arbitrage. Unablässig fahnden die Experten nach Gelegenheiten, Öl möglichst günstig einzukaufen und es etwas teurer wieder zu verkaufen. Dies können sie nur vor Ort.

Derzeit sind vor allem die Horchposten im Nahen Osten und in Nordafrika gefragt. Wie viel Öl wird derzeit in den Ländern gefördert, die von Unruhen erschüttert werden? Arbeitet ein Verladeterminal in Libyen noch? Ist die Pipeline am Suezkanal sicher? Wie viele Demonstranten gehen in Bahrain auf die Straße? Jede Nachricht kann heftige Preisschwankungen auslösen.

Spekulationen auf steigende Ölpreise betreibt Trafigura angeblich nicht. Wie die anderen Big Five auch, ist das Unternehmen überwiegend im physischen Handel aktiv. Sobald ein Liefervertrag abgeschlossen ist, wird die eingekaufte Menge mit Terminkontrakten an den Rohstoffbörsen abgesichert. "Das Handelsvolumen wird zum allergrößten Teil gehedgt. Wir wetten nicht auf steigende oder fallende Ölpreise", sagt Trafigura-Geschäftsführer Jeremy Weir.

Ähnlich wie bei Glencore denken auch die Partner von Trafigura über einen Börsengang nach. Der würde aber nur einen Teil der Firma umfassen: Wie die anderen Ölhändler betreibt Trafigura in Häfen Tanks und Terminals. "Diese industriellen Aktivitäten könnten wir in ein separates Unternehmen auslagern, das wir dann an die Börse bringen", sagt Weir. Konkrete Pläne gebe es noch nicht.

Für Handelshäuser ist ein Börsengang nicht zwingend erforderlich – Banken finanzieren ihnen ihre Aktivitäten liebend gern. Dabei geht es oft um gewaltige Summen. Selbst die Genfer Mercuria, die kleinste der Big Five, benötigt für ihre Geschäfte Kreditlinien von mehr als 15 Milliarden Dollar; die Finanzierung teilen sich 40 internationale Banken.

Gunvors Russland-Connection

Weil Ölhändler gute Kunden der Kreditinstitute sind, schauen diese zuweilen nicht ganz genau hin, mit wem sie da eigentlich Geschäfte machen. Zu den Handelshäusern mit einem eher undurchsichtigen Hintergrund gehört die Gunvor Group, die ihren Umsatz 2010 um knapp ein Viertel auf 65 Milliarden Dollar anheben konnte. Die Gesellschaft, die vor allem Rohöl aus Russland vertreibt, hat sich an einer der feinsten Adressen Genfs niedergelassen – am Quai du Général Guisan, unmittelbar am Genfer See.

Gegründet wurde das Unternehmen 1997 von dem schwedischen Ölhändler Torbjörn Törnqvist und dem gebürtigen Russen Gennadi Timtschenko, der heute finnischer Staatsbürger ist.

Immer wieder blühen Gerüchte auf, dass Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin indirekt an Gunvor beteiligt sei. So berichtete John Beyrle, US-Botschafter in Moskau, im November 2008 in einem Kabel nach Washington, staatliche Ölexporte hätten favorisierten Händlern Milliardenprofite gebracht, allen voran Gunvor, die gerüchteweise eine der Quellen von Putins geheimem Reichtum seien.

Das alles wird von Gunvor heftig dementiert. "Es ist schlicht falsch, zu behaupten, dass Ministerpräsident Putin irgendeinen Anteil oder irgendein finanzielles Interesse an Gunvor hat", stellt ein Firmensprecher fest. Dies sei auch in der Vergangenheit nie der Fall gewesen. Die beiden Hauptaktionäre seien vielmehr Timtschenko und Törnqvist. Allerdings bestreitet der Gunvor-Sprecher nicht, dass Putin und Timtschenko sich aus früheren Tagen ganz gut kennen.

Vitol, der stille Marktführer

Anders als Gunvor ist es Vitol gelungen, sich weitgehend aus den Schlagzeilen herauszuhalten. Das 1966 gegründete Unternehmen ist – noch vor Glencore – der größte unabhängige Ölhändler der Welt. Darauf deutet freilich wenig hin am Firmensitz in Genf, 28, Boulevard du Pont d’Arve. Im Erdgeschoss des Gebäudes befinden sich eine Diskothek und ein Fitnessstudio. Im fünften Stock schicken die Vitol-Händler Öltanker auf die Reise – von Abu Dhabi nach China oder von Lagos nach Wilhelmshaven. Von der Hektik, die an den Rohstoffbörsen von Chicago herrscht, ist in dem Handelssaal nichts zu spüren. Mit ruhiger, eher gedämpfter Stimme verhandeln die Trader am Telefon; leise klackern Computertastaturen. Viele Experten sind auf Reisen. Der Transport riesiger Ölmengen will organisiert sein; Schiffe müssen gechartert und Tanks reserviert werden. Ohnehin ist es hilfreich, persönliche Kontakte zu den Geschäftspartnern zu pflegen und Informationen aus erster Hand zu bekommen.

Vergangenes Jahr konnte Vitol die Umsätze um 36 Prozent auf 195 Milliarden Dollar steigern. Vitols enormes Wachstum ist zu einem Großteil auf die gestiegenen Ölpreise zurückzuführen. Doch auch die umgeschlagenen Volumina an Rohöl, Ölprodukten und Flüssiggas stiegen um 25 Prozent auf 394 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Der gesamte Ölverbrauch Deutschlands beträgt pro Jahr etwa 105 Millionen Tonnen.

Trotz der Absatzrekorde ist Vitol-Chef Ian Taylor offenbar nicht ganz zufrieden – die Gewinne (die nicht bekannt gegeben werden), haben sich vermutlich nicht ebenso erfreulich entwickelt wie die Umsätze. "2010 war ein solides Jahr, 2009 hingegen ein gutes", sagt Vitol-Manager Mark Ware mit Sinn für feine Unterscheidungen. Der Ölhandel ist ein vertracktes Geschäft: Höhere Preise bringen nicht zwingend höhere Gewinne. Arbitrage-Händler können nur gut verdienen, wenn die Notierungen heftig schwanken. 2010 aber war die Volatilität der Ölpreise, im Unterschied zum Vorjahr, relativ gering.

Überdies nehme die Konkurrenz zu, sagt Vitol-Manager Ware. Die Gewinne, die Zwischenhändler lange ungestört erzielen konnten, wollen die Ölproduzenten nun selbst einstreichen. Vor allem russische Ölkonzerne gründen zunehmend eigene Vertriebsgesellschaften. Lukoil ist bereits in der Schweiz präsent. Jetzt folgen Rosneft, TNK BP und vielleicht auch Gazprom. Dem Vernehmen nach denkt Saudi Aramco ebenfalls daran, eine Marketing-Tochter in der Schweiz zu gründen.

Profitable Neue Geschäfte

Noch aber verfügen die unabhängigen Ölhändler über einen unschätzbaren Vorteil: Niemand kennt das internationale Energiegeschäft so gut wie die mit allen Wassern gewaschenen Trader. Diesen Vorsprung wollen die Ölhändler nun dazu nutzen, ihre Aktivitäten breiter zu streuen. Auf breiter Front treiben sie die Diversifizierung voran, um vom derzeit relativ margenschwachen Stammgeschäft Ölhandel unabhängiger zu werden.

So tummelt sich Vitol nun auch im Endkundengeschäft. Das Unternehmen baut das neue Geschäftsfeld "Aviation" auf – die Belieferung von Fluglinien mit Kerosin. "Zu unseren Pilotkunden gehört die Lufthansa", berichtet Vitol-Manager Ware. Überdies hat das Unternehmen gemeinsam mit einem Finanzinvestor für eine Milliarde Dollar das Raffinerie- und Verkaufsgeschäft von Shell in 14 afrikanischen Ländern gekauft. Dazu gehören vor allem Tankstellennetze, die Vitol auch künftig unter der Marke Shell betreibt.

Neuerdings erkundet und fördert Vitol auch neue Ölvorkommen im Golf von Guinea vor der westafrikanischen Küste; Partner ist dabei unter anderem der italienische Ölkonzern Eni. "Hinter diesen Projekten steckt kein strategischer Masterplan", sagt Vitol-Manager Ware: "Als Händler suchen wir einfach opportunistisch nach Chancen, unsere Aktivitäten zu erweitern." Solche Gelegenheiten schaffen vor allem Ölkonzerne wie BP und Shell, die ihre Portfolios systematisch bereinigen und Konzernteile abstoßen.

Auch bei erneuerbaren Energien sind die Ölhändler aktiv. Mercuria investiert in Deutschland und den Niederlanden in Anlagen zur Produktion von Biokraftstoffen. Gunvor stieg in den Handel mit Erdgas, Flüssiggas und Strom ein. Stolz berichtete das Unternehmen vor einem Jahr, dass es Zugang zu den Stromnetzen der Energiekonzerne EnBW, E.On, RWE und Vattenfall habe. Freilich ist die Konkurrenz groß: Vor wenigen Tagen hat Gunvor die Aktivitäten im Stromhandel bis auf Weiteres gestoppt.

Einen ganz anderen Kurs der Diversifizierung hat Trafigura eingeschlagen. Der Ölhändler gründete eine Finanztochter, die Vermögensverwaltung Galena Asset Management.

Sie arbeitet mit mehreren Hedgefonds zusammen und verwertet dabei die Expertise und die Marktkenntnisse der Ölhändler für die Vermögensanlage in Rohstoffen. Eine solche Nutzung von nicht-öffentlichen Informationen wäre in den USA möglicherweise kritisch. Trafigura sieht jedoch keine rechtlichen Probleme. "Galena unterliegt der Kontrolle durch die britische Finanzaufsicht FSA", sagt Trafigura-Geschäftsführer Weir, der zugleich Chef von Galena Asset Management ist.

Besonders verheißungsvolle Chancen für die Expansion sehen Vitol & Co. im Handel mit CO2-Emissionen. Industriebetriebe, die nicht genügend Rechte zum Ausstoß von Kohlendioxid besitzen, müssen die fehlenden Mengen über Zertifikate an der Börse zukaufen. Dieses aufblühende Geschäft haben die Ölhändler weitgehend an sich gerissen. Gunvor und Mercuria sind bereits seit mehreren Jahren im Geschäft mit CO2-Verschmutzungsrechten tätig.

Besonders aggressiv tritt Vitol auf. "Wir haben in der EU einen Marktanteil von 10 bis 15 Prozent am Emissionshandel", sagt Manager Ware.

Laut einer Erhebung der Nachrichtenagentur Bloomberg war Vitol 2010 der weltweit größte Emittent von neuen Rechten zur CO2-Emission, vor Adressen wie der New Yorker Großbank JP Morgan und der britischen Barclays Bank. "Die großen Ölhändler werden immer mächtiger", sagt der Rohstoffexperte einer Frankfurter Großbank. Mit Namen zitieren lassen will er sich nicht – auch sein Institut macht mit Glencore & Co. gute Geschäfte. 

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