Rohstoffhandel Vom Ölhändler zum Staatsfeind

Buchautor Daniel Ammann über Marc Rich, den Gründer des Rohstoffgiganten Glencore, der den Ölmarkt revolutionierte und den die US-Justiz 17 Jahre lang gnadenlos verfolgte.

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king of oil

Sein Start war bescheiden: Marc Rich und vier junge Händler bezogen im Frühling 1974 eine kleine Wohnung im schweizerischen Städtchen Zug. Nicht einmal ein Telex konnten sie sich leisten – wollten sie ein Geschäft abschließen, mussten sie über die Straße zum lokalen Postamt laufen.

Nichts deutete darauf hin, dass die Truppe den globalen Ölhandel revolutionieren sollte, und dass aus der Firma einmal Glencore hervorgehen würde – heute mit 106,4 Milliarden Dollar Jahresumsatz der wohl weltgrößte Rohstoffhändler.

Rich und seine Kollegen starteten zu einem idealen Zeitpunkt. Bis Anfang der Siebzigerjahre hatten die sieben Ölgiganten BP, Chevron, Esso, Gulf, Mobil, Shell und Texaco den Ölhandel beherrscht – auf allen Stufen, von der Quelle bis zur Tankstelle. Doch mehr und mehr Staaten nahmen jetzt die Ausbeutung ihrer Quellen selbst in die Hand – und brauchten dafür eine Logistik. Rich bot sie ihnen. Er schuf an den Multis vorbei ein unabhängiges Vertriebssystem – und erfand so den Spotmarkt. Das war völlig neu: An ihm konnten Unternehmen Öl zu Tagespreisen kaufen, ohne langfristige Verpflichtungen mit Konzernen oder Ölscheichs eingehen zu müssen. Rich hatte geschafft, was Rohstoffhändler am meisten bewundern: Er hatte sich seinen eigenen Markt geschaffen, einen Markt für ein Produkt, das zuvor kaum gehandelt wurde.

Zehn Jahre später beherrschte Rich die Branche. Aus eigener Kraft war er zu einem der „reichsten und mächtigsten Rohstoffhändler aller Zeiten“ aufgestiegen, wie die „Financial Times“ nahezu ehrfürchtig schrieb. Zu seinen besten Zeiten verkaufte der „King of Oil“ täglich mehr Erdöl, als Kuwait förderte.

Geheime Pipeline

„Gelegenheiten zu sehen ist der wichtigste Erfolgsfaktor für einen Trader“, sagt Rich. „Und harte Arbeit. Natürlich hilft auch ein bisschen Glück.“

Rich, 1934 in Antwerpen als Marcell David Reich geboren, war Sohn deutschsprachiger Juden. 1940, zwei Tage vor dem Einmarsch der Deutschen in Belgien, konnte seine Familie über Frankreich und Marokko auf einem Frachtschiff vor den Nazis fliehen – nahezu ohne Geld und ohne Englischkenntnisse. Erst ein Jahr später kam die Familie in den USA an. Mit 19 fing Rich bei einem Rohstoffhandelshaus in Manhattan an. Er schaffte es vor allem dank einer geheimen israelisch-iranischen Pipeline, sehr schnell zur Größe im Ölhandel zu werden. Diese Pipeline, die im Dezember 1969 in Betrieb genommen wurde, führte von Eilat am Roten Meer nach Ashkelon am Mittelmeer. Sie war ein Joint Venture zwischen Israel und dem Schah von Persien, Reza Pahlevi, der sein Land zur dominierenden Ölmacht der Region machen wollte. Die persische Beteiligung musste auf Geheiß des Schahs geheimgehalten werden. Offiziell würde seine Haltung immer die gleiche sein: „Wir verkaufen Israel kein Öl.“

Herkunft verschleiern

Diese heikle Konstellation war für Rich die goldene Gelegenheit, mit dem Schah ins Geschäft zu kommen. Er suchte Kunden für das iranische Öl, das durch Israel floss. „Die Leute zögerten, weil das Erdöl durch Israel transportiert wurde“, erinnert sich Rich. Wer mit dem jüdischen Staat Geschäfte machte, ging das Risiko ein, von den arabischen Ländern auf die schwarze Liste gesetzt zu werden.

Richs Vorteil war, dass er nun Öl zu besseren Preisen anbieten konnte als seine Konkurrenz. Zu jener Zeit, kurz nach dem Yom-Kippur-Krieg im Herbst 1973, hielt Ägypten den Suez-Kanal geschlossen. „Wir hatten einen großen Preisvorteil“, sagt Rich. „Es war bedeutend billiger, das iranische Erdöl durch die Pipeline fließen zu lassen, als es um ganz Afrika herumzuschiffen.“

Das durch Israel geflossene Öl lieferte Rich heimlich vor allem nach Spanien. Um die Herkunft ihrer Ladung zu verschleiern, machten die Tanker mitunter zuerst in Rumänien halt – das faschistische Spanien hatte Israel nie anerkannt und wollte die engen Geschäftsbeziehungen verheimlichen.

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