Aktionärsrechte Die Causa Leoni: Anatomie eines juristischen Präzedenzfalls

Österreichischer Unternehmer Stefan Pierer übernimmt Leoni. Quelle: imago images

Die Aktie des Autozulieferers ist vom Handel ausgesetzt, der Unternehmer Stefan Pierer neuer Alleineigentümer. Nun ziehen die ehemaligen Minderheitsaktionäre vors Bundesverfassungsgericht.

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Auf den ersten Blick muss man wohl sagen: Das Ding ist durch. Die einstigen Minderheitsaktionäre von Leoni haben den Kampf gegen Stefan Pierer verloren. Nach einem radikalen Kapitalschnitt und einer Kapitalspritze von Pierer über 150 Millionen Euro wurde der österreichische Unternehmer am Freitag als neuer Alleineigentümer von Leoni ins Handelsregister eingetragen. Die Leoni-Aktie ist seitdem nicht mehr handelbar. Wer sie bei einem Broker kaufen will, bekommt den Hinweis angezeigt: „Das Wertpapier ist aktuell vom Handel ausgesetzt.“

Die Wahrscheinlichkeit, dass das auch so bleibt, ist hoch. Aber: Aufgeben ist für die ehemaligen Minderheitsaktionäre des Unternehmens offenbar keine Option. Sie haben Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht – in der Hoffnung, ihre Enteignung doch noch abzuwenden.

Die Vorgeschichte: Pierer war im Jahr 2020 bei Leoni eingestiegen und hatte seinen Anteil an dem Unternehmen sukzessive auf 20 Prozent ausgebaut. Auf sein Betreiben hin flüchtete sich der angeschlagene Autozulieferer dieses Jahr in ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren. Möglich machte das ein noch junges Gesetz zur Restrukturierung von Krisenunternehmen, kurz: StaRUG. Der Wert der Leoni-Aktien wurde im Zuge dessen auf null gesetzt. Pierer allein zeichnete eine Kapitalerhöhung, sicherte sich so alle neuen Aktien und ist seit Freitag alleiniger Besitzer des Unternehmens.

Betroffene Anleger haben im Fall eines StaRUG-Verfahrens nur wenige Möglichkeiten, sich zu wehren. Über den Restrukturierungsplan entscheidet nicht die Hauptversammlung, sondern ein Gericht. Anleger können binnen zwei Wochen nach Verkündung des Gerichtsbeschlusses Beschwerde einlegen. Voraussetzung dafür ist, dass sie dem Restrukturierungsplan im Abstimmungsverfahren widersprochen und dagegen gestimmt haben. Darüber hinaus müssen sie glaubhaft machen, dass sie mit einer Restrukturierung nach StaRUG schlechter gestellt sind als ohne.

Die Beschwerde der Leoni-Aktionäre beim Amtsgericht Nürnberg im Juli blieb ohne Erfolg. Der Rechtsweg war damit erschöpft, wie es in Juristendeutsch heißt. Das bedeutet allerdings auch: Der Weg war frei für den Gang zum Bundesverfassungsgericht. Den haben rund 40 Betroffene nun angetreten.

Langer Marsch durch die Instanzen

Die ehemaligen Leoni-Minderheitsaktionäre haben Verfassungsbeschwerde eingereicht. Sie wollen erreichen, dass sie Anteilseigner des Unternehmens bleiben dürfen und dass das Delisting der Aktie, also das Aussetzen vom regulierten Handel, zurückgenommen wird. Sie werfen der Leoni-Führung vor, gegen das Grundrecht auf Eigentum verstoßen zu haben. Durch den Kapitalschnitt im Rahmen des StaRUG-Verfahrens gingen sie nämlich komplett leer aus. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass dies bei einer Planinsolvenz ebenfalls der Fall gewesen wäre.

Die ehemaligen Aktionäre argumentieren außerdem: Der Autozulieferer habe gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Hintergrund: Das StaRUG teilt die von einem Restrukturierungsplan Betroffenen in Gruppen auf. Diese müssen dem Plan mehrheitlich zustimmen. Bei Leoni gab es drei Gruppen: Gläubiger, Aktionäre – und Pierer. Der war zwar ein Aktionär wie alle anderen, nur mit größerem Anteil. Eine von Pierer kontrollierte Beteiligungsgesellschaft bildete dennoch eine eigene Gruppe. Der Vorwurf der anderen Aktionäre: Damit habe der Autozulieferer die Abstimmung über den StaRUG-Plan in eine ihm genehme Richtung lenken wollen.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht der einzige Pfeil, den die ehemaligen Minderheitsaktionäre und ihre Anwälte noch im Köcher haben. Sie haben darüber hinaus eine Anhörungsrüge beim Amtsgericht Nürnberg eingereicht. Sie werfen dem Gericht vor, die Akte Leoni an die nächsthöhere Instanz, das Landgericht, weitergereicht zu haben, noch ehe sie ihre Beschwerde gegen den StaRUG-Plan schriftlich begründen hatten. Das deute darauf hin, dass der Richter befangen gewesen sei. 

Pfeil Nummer drei: ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Bundesverfassungsgericht. Damit soll der Vollzug des StaRUG-Plans vorerst ausgesetzt werden. Pfeil Nummer vier: ein Antrag an das Registergericht, den Eintrag von Pierer als neuem Alleineigentümer zu löschen, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Bei Leoni will man sich zu den laufenden Verfahren nicht äußern.

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Wie aussichtsreich all diese Versuche sind, lässt sich kaum sagen. Gerade das macht die Sache allerdings interessant: Leoni dürfte der erste StaRUG-Fall sein, in dem die Betroffenen durch alle Instanzen gehen und sämtliche Rechtsmittel ausschöpfen. Haben sie Erfolg, könnte das ein Signal für andere Unternehmen sein, die erwägen, sich ebenfalls unter den Schirm des StaRUG zu flüchten. Kandidaten gibt es derzeit einige.

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