Der frühere Wirtschaftsweise Professor Rolf Peffekoven hat 2010 in einem Gutachten für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) vorgeschlagen, die Vergünstigungen in der Mehrwertsteuer zu streichen: Außer Mieten und Pachten sollen alle Güter und Dienstleistungen mit einem einheitlichen Satz von 16 Prozent besteuert werden.
Seine Begründung: Das heutige System weicht vom ursprünglichen Modell der Konsumbesteuerung ab. Die vielen Ausnahmen führen zu Wettbewerbsverzerrungen, da einzelne Güter, Branchen oder Rechts- und Organisationsformen subventioniert werden. Die Mehrwertsteuer ist über die Jahre zu einem Einfallstor zur Bedienung von Sonderinteressen geworden.
So benachteiligt die völlige Befreiung der Deutschen Post von der Mehrwertsteuer im Briefverkehr die Konkurrenz.
Die Privilegierung der nur mit sieben Prozent Mehrwertsteuer belegten über 50 Warengruppen, die den Wettbewerb verzerren, ist in den meisten Fällen unsinnig und nicht nachvollziehbar. Warum sind auf Langusten und Schnecken, abgepacktes Trinkwasser sowie Frucht- und Gemüsesäfte 19 Prozent Mehrwertsteuer zu zahlen, für die meisten Lebensmittel aber nur sieben Prozent – zum Beispiel bei Fisch und Shrimps, Hausschwein und Kartoffel. Beim Wildschwein und der Süßkartoffel sind es 19 Prozent. Warum fallen bei der Taxifahrt sieben Prozent Mehrwertsteuer an, beim Mietwagen 19 Prozent?
Zudem führt weder die völlige Befreiung von der Mehrwertsteuer noch der ermäßigte Satz zu einem zielgerichteten sozialen Ausgleich, wie gern behauptet wird. Denn die Vergünstigungen werden häufig nicht oder nur teilweise an die Konsumenten weitergegeben.
Dann aber handelt es sich lediglich um Unternehmenssubventionen. Und da, wo die Vergünstigungen an die Konsumenten weitergereicht werden, haben alle und nicht nur die sozial Schwächsten etwas davon, sondern auch die Bezieher hoher Einkommen. Anstatt über die Mehrwertsteuer sollte der soziale Ausgleich über die Einkommensteuer oder Transfers zielgerichtet erfolgen – Subjekt- statt Objektförderung.
Peffekovens Rechnung
Peffekovens Rechnung: Der weitgehende Wegfall der Mehrwertsteuerbefreiung würde 15 Milliarden Euro Mehreinnahmen bringen, der Wegfall des ermäßigten Satzes 20 Milliarden. Dadurch wäre eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 16 Prozent problemlos finanzierbar.
Monatliche Zusatzbelastung der Haushalte in Euro durch eine einheitliche Mehrwertsteuer von 16 Prozent | ||
Familien | Mittleres Einkommen | 22,51 Euro |
Niedriges Einkommen | 20,43 Euro | |
Arbeitslosengeld I | 22,85 Euro | |
Arbeitslosengeld II | 17,99 Euro | |
Rentner | 1 Person, mittleres Einkommen | 10,56 Euro |
1 Person, niedriges Einkommen | 8,92 Euro | |
2 Personen, mittleres Einkommen | 13,97 Euro | |
2 Personen, niedriges Einkommen | 16,04 Euro | |
Singles | Mittleres Einkommen | 5,00 Euro |
Niedriges Einkommen | 6,51 Euro | |
Arbeitslosengeld I | 5,48 Euro | |
Arbeitslosengeld II | 4,92 Euro |
Da die Bezieher sehr niedriger Einkommen dabei per saldo stärker belastet würden, müsste die Reform begleitet werden von einer Neuberechnung des Existenzminimums und – daraus folgend – der Erhöhung des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer sowie der Anhebung von Transferzahlungen, vor allem des Hartz-IV-Leistungen, des Kindergelds, des Wohngelds und der Bafög-Sätze.
Familien zahlen mehr
Im Auftrag der INSM hat das Consultingunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW econ, im April 2013 die Belastung durch einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz von 16 Prozent für unterschiedliche Haushaltstypen für das Jahr 2012 berechnet. Danach hätten Familien die höchste monatliche Mehrbelastung in Höhe von rund 20 Euro und Singles mit ungefähr fünf Euro die niedrigste (siehe Tabelle). Bei Rentnern liegt sie, je nach Einkommen und Personenzahl im Haushalt, zwischen 9 und 16 Euro.
Die Umverteilungswirkung hält sich also in Grenzen. „Zwar werden einkommensärmere Haushalte tendenziell stärker belastet als einkommensreiche, die Unterschiede fallen jedoch gering aus“, lautet das Fazit der Studie. Das liegt vor allem daran, dass die Ärmeren einen größeren Teil ihrer Ausgaben für Mieten ausgeben, die mehrwertsteuerfrei bleiben. Zudem zahlen sie derzeit schon für einen beachtlichen Teil ihrer Ausgaben den vollen Satz, während auch die Wohlhabenderen von der aktuellen Steuerermäßigung zum Beispiel bei Theaterbesuchen profitieren.