Versicherungschefs im Gespräch "Seit Jahrzehnten falsch versichert"

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Also Geld, wenn ein Vertreter Kunden hält. Diese Bestandsprovisionen machen aber nur einen kleinen Teil des Vertretereinkommens aus.

Durstin: Sie müssen zwischen verschiedenen Policen unterscheiden: Bei Hausrat- oder Gebäudeversicherungen sind die Bestandsprovisionen das übliche Vergütungssystem. Insbesondere bei den kapitalbildenden Lebensversicherungen und den Krankenversicherungen sind es die Abschlussprovisionen.

Oletzky: Kein Versicherungsunternehmen will, dass Kunden ihre Verträge schnell wieder kündigen. Deswegen ist es selbstverständlich ein Bestandteil der Anreizsysteme für unsere Vertriebe, dass die Stornoquoten reduziert werden. Vermittler, die geringe Stornoquoten haben und deren Kunden lange bei Ihnen bleiben, verdienen bei uns besser.

Meister: Unsere Mitarbeiter haben ein hohes Eigeninteresse an einer langfristigen Kundenbindung. Alles andere wäre auch absurd, denn sonst würden sie ja einen Teil ihrer Provisionen verlieren. Den Effekt können Sie sich ausrechnen: Das ist ein starker Anreiz, die Kunden wirklich bedarfsgerecht zu beraten.

Oletzky: Entscheidend ist doch, wo der Vertreter einen Arbeitsaufwand hat. Bei einer Kfz-Versicherung ergeben sich häufiger Vertragsänderungen und werden Schäden bearbeitet, es entsteht also ein regelmäßiger Aufwand; daher sind hier Bestandsprovisionen selbstverständlich. Bei einer Lebensversicherung ist die Beratungsphase bis zum Vertragsabschluss häufig sehr aufwändig, dass muss sich auch in der Vergütung widerspiegeln. Folglich bekommen die Vertreter hier einen größeren Teil der Vergütung zu Beginn...

...den die Kunden nun auf Heller und Pfennig sehen. Sind die Verbraucher verunsichert, wenn der Vertreter möglicherweise mehrere tausend Euro für einen Abschluss bekommt?

Meister: Nein, unsere Kunden sind nicht verunsichert. Bei uns laufen die Geschäfte normal. Die Kunden sehen die Transparenz durchaus positiv – viele fragen sich nur, warum andere Branchen nicht ebenfalls so transparent verfahren.

Haas: Die neuen Vorschriften frustrieren vor allem die Vertreter. Denn damit ist ein enorm hoher Aufwand verbunden.

Castelló: Die Kosten stehen ja auch erst auf Seite 19 des Vertrages, das lesen die Kunden in der Regel nicht. Uns erleichtern die neuen Regelungen die Beratung allerdings sehr. Jetzt können wir den Kunden schnell klarmachen, dass die Beratung beim Vertreter nicht umsonst ist. Die bisherige Geheimnistuerei um die Abschlusskosten hat dazu geführt, dass keiner deren Höhe genau wusste. Die Kunden sind aus allen Wolken gefallen, wenn sie das mal schwarz auf weiß gesehen haben.

Von welchen Beträgen reden wir denn da?

Durstin: In der Krankenversicherung sind sechs bis zwölf Monatsbeiträge die übliche Abschlussprovision. Da geht also bis zu einem Jahresbeitrag der Krankenversicherung für Provision drauf. Bei den Lebensversicherungen bekommt ein kleinerer Vertreter zwei Prozent der gesamten Beitragssumme. Das ist die Unterkante. Einige Gesellschaften zahlen aber auch bis zu fünf oder sechs Prozent der Summe aller Beiträge für die gesamte Laufzeit. Und zwar unabhängig davon, ob der Vertrag auch tatsächlich bis zum Ende besteht.

Die Kenntnis dieser Kosten muss doch bei den Kunden etwas bewirken.

Haas: Selbstverständlich. Die Kunden werden zunächst überrascht sein über die Summen, die für den Abschluss des Vertrages fällig werden. Allerdings muss der Vertreter klar machen, dass er für dieses Geld einiges leistet. Er hat hohe Ausgaben, muss sich mit den Produkten auskennen, um fairen Rat geben zu können. Und er muss den Kunden über die Restlaufzeit der Police begleiten. Dafür bekommt er auch diese Provision.

Meister: Ich sehe das grundsätzlich positiv: Endlich wird deutlich, welchen Wert eine Beratung hat. Eingehende Beratung ist eine wichtige Dienstleistung – und Dienstleistungen kosten nun mal etwas. In anderen Bereichen gibt es diese Transparenz nicht, denken Sie zum Beispiel an den Bankberater oder den Autoverkäufer.

Castelló: Das ist albern. Das können Sie nun wirklich nicht vergleichen. Das Beispiel mit dem Auto kann ich nicht mehr hören…

Meister: Warum ist das nicht vergleichbar? Für eine Familie zum Beispiel ist ein Autokauf ein eben so hoher Aufwand wie die Investition in die eigene Altersvorsorge – die Summen sind durchaus vergleichbar. Den Autoverkäufer fragt aber niemand, was er an einem 40.000 Euro teuren Wagen verdient.

Auch bei den Maklern gibt es viel Unzufriedenheit. Immer mehr wollen unabhängig beraten und nicht länger über die Courtagen des Versicherers bezahlt werden, sondern vom Kunden. Diese Makler haben sich in der Initiative „Versicherungsmakler 2008“ zusammengeschlossen. Kennen Sie die Initiative, Herr Meister?

Meister: Ich kann bei den Maklern, mit denen wir zusammenarbeiten, keine Unzufriedenheit feststellen. Dabei führen wir gerade zwei große Maklervertriebe zusammen und das Geschäft funktioniert sehr gut.

Durstin: Ich kenne die Initiative. Und ich kenne noch eine andere vermeintliche Minderheitengruppe, wie solche Vertreter gern genannt werden, die sich artikuliert hat: Die EU-Kommission. Sie hat in einer Untersuchung im Herbst letzten Jahres die Intransparenz und das Vergütungssystem der Versicherungsmakler kritisiert. In manchen europäischen Ländern verbietet der Gesetzgeber, dass Makler von den Versicherern finanziert werden. Dort wird sogar verlangt, dass der Kunde die Makler-Courtage bezahlt. Soweit wird es in Deutschland aber vermutlich nie kommen.

Oletzky: Keiner in unserer Branche will sich Neugeschäftspotenziale entgehen lassen. Wenn es bei den Kunden eine starke Nachfrage nach Honorarberatung gäbe, dann könnten viele Berater davon leben und viele Versicherer würden entsprechende Policen anbieten, bei denen der Kunde die Courtage bezahlt. All das können wir aber nicht beobachten. Also müssen wir unterstellen, dass die Nachfrage nach Honorarberatung nicht so stark ist. Wenn die Verbraucher es wollten, dann müsste niemand nach dem Staat rufen, der Markt würde das dann schon regeln.

Zunehmend gibt es Policen im Kaufhaus und Supermarkt. Wann werden wir Policen aus Ihren Häusern bei Aldi sehen?

Haas: Das ist für uns kein Thema.

Meister: Auch für uns nicht. Vielleicht mag es die eine oder andere Sachversicherung geben, die wir über solche Kanäle anbieten. Aber sicher nicht im Bereich der privaten Alters- oder Gesundheitsvorsorge, denn hier ist eine intensive und vor allem individuelle Beratung nötig. Das können sie im Supermarkt nicht leisten.

Oletzky: Woran spart man denn, wenn man über diesen Vertriebsweg geht? An der Beratung. Ich glaube nicht, dass weniger Beratung zu einem besseren Ergebnis führt. Es mag den Kunden geben, der wirklich alle Versicherungsbedürfnisse versteht. Der kann seine Versicherung bei einem Direktversicherer abschließen.

Castelló: Bei einer vergleichsweise unkomplizierten Versicherung wie der Haftpflichtversicherung hätte ich überhaupt nichts dagegen, sie bei Aldi zu kaufen. Da gibt es doch nicht viel zu beraten.

Meister: Aber ein Discounter wird keine zehn verschiedenen Versicherungen aufnehmen, sondern nur ein Produkt anbieten, alles andere wäre zu kompliziert. Es kann doch nicht in Ihrem Sinne als Verbraucherschützerin sein, dass der Kunde hier nicht zwischen verschiedenen Versicherungen wählen kann.

Castelló: Es ist doch egal, welcher Versicherer das ist, wenn er gute Preise und vernünftige Bedingungen hat. Anders ist es natürlich bei Policen, die wir per se kritisieren. Wenn die Kunden so etwas wie die das Altersvorsorgeprodukt „Deutschland-Rente“ im Supermarkt mitnehmen, ist das natürlich eine Katastrophe.

Meister: Und wie soll ein Kunde beim Discounter erkennen, ob er einen guten Preis und vernünftige Bedingungen bekommt? Damit wir uns nicht missverstehen: Ich habe nicht gesagt, dass ich den Vertrieb über den Supermarkt besonders schrecklich finde. Ich sehe dafür nur keine große Zukunft. Riesige Marktanteile wird ein Vertrieb über Discounter niemals haben – jedenfalls nicht in Deutschland.

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