Versicherungsvertreter Mehmet Göker im NDR "Das Geld kommt zu mir, auf welchem Weg ist doch egal"

Der Versicherungsmakler Mehmet Göker legte einst eine der größten Pleiten des deutschen Versicherungswesens hin. Vor einem deutschen Haftbefehl floh er in die Türkei. Ein NDR-Film zeigt am Montagabend: Von dort aus arbeitet er weiter für deutsche Versicherungen.

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Mehmet E. Göker war der beste Vertriebler der Krankenversicherer und wurde zum Millionär. Nach Insolvenz und Anklage floh er in die Türkei. Quelle: dpa

Es braucht wenige Sekunden und die Stimme des Mannes überschlägt sich schon wieder: „Worauf wartet ihr?“, brüllt er in die Bosporus-schwarze Nacht. „Das Geschäft liegt da, man muss nur loslegen“, ruft er. „Das erzählt ihr mir seit acht Wochen und nichts tut sich.“

So ist sie, die Welt des Mehmet E. Göker. Grundsätzlich geht es darum, dass sich Göker mit Ignoranten herumschlagen muss, die einfach nicht begreifen, welches Geschäftspotenzial sie da gerade verschenken. Und so ruft er auch dieses Mal etwas, was sich an dieser Stelle nicht zitieren lässt, und beendet das Gespräch. Was wiederum ein Auftakt ist, der belegt: Er ist wieder da.

Es gibt eine Viertelmillion Versicherungsvertreter in Deutschland. Schlechte, gute, sehr gute. Und es gibt Mehmet E. Göker. Der Mann, der sie alle getoppt hat. Mit 23 fing er an, private Krankenversicherungen zu vermitteln; mit 25 hatte er seine erste Million zusammen, am Ende beschäftigte er 1400 Mitarbeiter - und sah seine Geschichte auf der Kinoleinwand verewigt.

Mehmet Göker: So wird man Millionär

Was folgte, war dann nicht mehr so glamourös: Staatsanwälte, Insolvenzverwalter, Richter und jede Menge Feinde in der Versicherungsbranche, die sich um einen zweistelligen Millionenbetrag von Göker geprellt sahen. Am Ende flüchtete Göker in die Türkei, dort lebt er bis heute.

Hinein ins Refugium des Größenwahns

Immerhin: Am Montagabend kehrt ein wenig Glamour zurück ins Leben von Göker. Zumindest für 75 Minuten. So lange geht der dann im Fernsehen erstausgestrahlte NDR-Film „Versicherungsvertreter 2. Mehmet Göker macht weiter“ des Kasseler Dokumentarfilmers Klaus Stern, der auch schon den ersten Kinoerfolg über Göker gedreht hat. Während der einstige Vorbildvertreter sich in dem Rest-Ruhm sonnen kann, verspricht der Film für einige Vertreter des deutschen Versicherungsgewerbes eher nicht so glamourös zu werden: Der Film legt nahe, dass sie trotz aller Skandale weiter mit Göker zusammenarbeiten.

Der Lamborghini dröhnt durch das Städtchen Izmir, hält vor einem tristen Gebäudekomplex, der offenbar mal ein Hotel beherbergen sollte, die Kamera schneidet mitten rein in das Refugium des Größenwahns, das Göker sich hier geschaffen hat.

Gökers Welt: Politiker und Sportler

Der Mit-Dreißiger steht in einem Raum, der ihm als Büro dient, und schreit – Göker schreit immer, wo andere sprechen würden – typische Göker-Sätze: „Einmal im Monat kommen meine Freunde aus Las Vegas und entrichten ihren Tribut.“ Oder: „Nichts riecht so gut wie US-Dollar.“ Oder: „Das Geschäft mit der Privaten Krankenversicherung läuft noch immer.“

Das wäre insofern bemerkenswert, als dass die deutschen Versicherungskonzerne nach Gökers Pleite insgesamt 38,7 Millionen Euro Forderungen beim Insolvenzverwalter geltend machten. Und alle Versicherungen sich gar nicht schnell genug von Göker distanzieren konnten. Erst Anfang des Jahres gab die Allianz bekannt, man werde Göker nun mit allen Mitteln verfolgen.

Gökers Größenwahn und Unverfrorenheit


Alles andere wäre auch nicht opportun. Die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt noch immer gegen den Mann, unter anderem wegen Insolvenzverschleppung, aber auch einiger anderer unappetitlicher Geschichten. Und einen europaweiten Haftbefehl gibt es ebenfalls. Gute Geschäftspartner sehen anders aus.

Der Gescholtene selbst aber brüstet sich in dem NDR-Film mit Großem: Axa, Hallesche, Hanse-Merkur – er mache mit vielen Versicherern Geschäfte. „Das Geld kommt zu mir, auf welchem Weg ist doch egal.“ Tatsächlich gehen Branchenbeobachter davon aus, dass Vertriebsgenie Göker im Auftrag anderer Makler indirekt für große Versicherungen arbeitet.

Es ist die alte Mischung aus Größenwahn und Unverfrorenheit Gökers, die auch diesen Film wieder faszinierend macht. Zwei Jahre lang hat Filmemacher Klaus Stern Mehmet Göker immer wieder in der Türkei begleitet, stößt mit der Kamera auch in intimste Lebensbereiche des Pleitiers vor. Auch wenn nicht immer ganz klar ist, was Realität und was für den Film sorgsam gewählte Inszenierung ist. Immerhin lässt Göker in den nächsten Tagen auch eine Biographie seiner selbst veröffentlichen, geschrieben vom Boris-Becker-Biographen, und legt es erkennbar auf öffentliche Inszenierung an.

Dafür verprassen Deutsche ihre Lebensversicherung
Platz 10: Hobbys (1,7 Prozent)Rund 40 Milliarden Euro zahlen deutsche Versicherer jährlich für auslaufende Lebensversicherungen aus. Das stecken nur 1,7 Prozent der Empfänger in ihre eigenen Hobbys. Die Zahlen stammen von der Gothaer Versicherung. Diese hat die Gesellschaft für Konsumforschung GfK beauftragt, über 1.000 Deutsche zu ihren "Zahltag-Wünschen" zu befragen, wenn die Lebensversicherung fällig ist. Quelle: dpa
Platz 9: Zweit-Wohnsitz im Ausland (2,7 Prozent)Ein Domizil an der Sonne gilt als klassische Ausgabe für Senioren. Dabei wollen nur 2,7 Prozent der Befragten ihre Lebensversicherung für eine Immobilie auf Mallorca und Co. verprassen. Quelle: dpa
Platz 8: Erfüllung von Kauf-Wünschen (3 Prozent)Deutschlands Senioren geben sich bescheiden. Auch dem Klischee des Rentners, der sich endlich ein Cabrio leisten kann, wollen sie nicht folgen. Nur drei Prozent wollen sich solche teuren Wünsche erfüllen, wenn die Lebensversicherung fällig ist. Quelle: dpa
Platz 7: Wohnung oder Haus kaufen (7,7 Prozent)Deutlich mehr Befragte wollen im Alter eine Immobilie kaufen: 7,7 Prozent planen ihre Lebensversicherung dafür einzusetzen. Die Rekord-Preise zahlreicher Immobilien in München, Düsseldorf oder Frankfurt können sich ohnehin nur noch junge Glücksritter oder eben "Best-Ager" leisten. Der Deutschen Bank zufolge stiegen die Immobilienpreise in Großstädten seit 2008 jährlich um sieben Prozent. Quelle: dpa
Platz 6: Anlage für Kinder oder Enkelkinder (9,3 Prozent)Viele Deutsche geben sich bei der Lebensversicherung uneigennützig: 9,3 Prozent nutzen die Auszahlung, um sie wieder für ihre Kinder oder Enkelkinder anzulegen. Quelle: obs
Platz 5: Renovierungen (10,7 Prozent)Im Alter haben sich viele Deutsche oft schon Haus und Grund zugelegt - und bringen mit ihrer Lebensversicherung Haus und Wohnung wieder in Schuss. 10,7 Prozent der Befragten haben Renovierungen als "Zahltag-Wunsch" angegeben. Quelle: dpa
Platz 4: Weitersparen (11,8 Prozent)Kaum ist das ersparte Geld da, soll es wieder reinvestiert werden: 11,8 Prozent wollen nach der Auszahlung ihrer Lebensversicherung weiter sparen. Quelle: dpa


Und doch legt der Film mehr offen, als er verklärt. Etwa als er Szenen zeigt, wie hochrangige Versicherungsmanager sich bei Göker anbiedern. Oder wie Göker sein Unternehmen mit seinen meist jungen Mitarbeitern führt. „Cem, es ist wie fast immer bei dir“, brüllt er einen jungen Mann nach einem Arbeitstag an. „Es ist konstant Sch...“. Und doch lieben ihn die meisten der jungen Männer, die er um sich schart, um sie nach seinem Vorbild zu formen.

Junge Männer bewundern Göker als Wegbereiter

Meist junge Männer mit schlechter Ausbildung aus deutschen Migranten-Familien, die in Göker den Wegbereiter für eine Zukunft sehen, an die sie lange nicht geglaubt haben – und deswegen den Bootcamp-artigen Alltag in Gökers türkischer Wohn- und Büro-Anlage hinnehmen.

Bei aller Großmäuligkeit aber kann der kamerafreudige Göker, der auch in der Türkei lebt, um sich einem EU-weiten Haftbefehl zu entziehen, den wahren Zustand von Befindlichkeit und Geschäft nicht wirklich vertuschen.

Es sind die eher leisen Zwischentöne des Films, die das ganze Breitbeintum Gökers entlarven: Dass er etwa in der ersten Hälfte Lamborghini fährt, in der zweiten eine gebrauchte Mercedes E-Klasse. Dass ihm ab Oktober 2014 die liquiden Mittel ausgehen und der sonst so abgebrühte Göker vor laufender Kamera panisch wird.

Es sind Szenen wie diese, die den Film zu einem Festspiel für kapitalistische Voyeure machen. Und zeigen, dass auch in diesem Fall dem Kasseler Regisseur Stern, wie in vielen Filmen zuvor, ein weiteres Mal gelungen ist, die Schwächen des Kapitalismus' und seiner Protagonisten aufs feinste zu sezieren.

Ausstrahlung "Versicherungsvertreter 2. Mehmet Göker macht weiter": Montag, 7. September, 23.15 Uhr, NDR

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