Forscher stellt düstere Prognose CDU droht ihn Bremen nächstes Debakel

Hamburg hat die Union wieder mit dem Problem konfrontiert, dass sie in großen Städten kaum noch Bürgermeister mehr stellen kann. Aus Sicht des Bremer Parteienforschers Probst kein gutes Omen für die nächste Wahl.

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Im Bund stabil erfolgreich, in größeren Städten in schwerer Schieflage: Auch in Bremen könnte die CDU eine saftige Niederlage kassieren. Quelle: dapd

Berlin Der historische Tiefstand in Hamburg mit 15,9 Prozent hat in der Union trotz der geringen Erwartungen die Alarmglocken schrillen lassen. Zum einen zeigte sich erneut die Großstadtschwäche der Union. Zum anderen werden mangelnde Koalitionspartner zur größten Gefahr für die Machtansprüche. In Bremen, wo am 10. Mai ebenfalls Bürgerschaftswahlen anstehen, könnte die CDU einmal mehr diese Erfahrung machen.

„Für Bremen, wo die CDU schon das letzte Mal hinter den Grünen lag mit knapp über 20 Prozent, ist die Hamburg-Wahl ein Menetekel“, sagte der Parteienforscher von der Universität Bremen, Lothar Probst, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Die Union muss sich in Bremen mächtig ins Zeug legen, wenn sie ein Desaster wie in Hamburg vermeiden will.“

In Bremen gehe die CDU mit der Bundestagsabgeordneten Elisabeth Motschmann zwar mit einer Kandidatin ins Rennen, die dort bekannter sei als Dietrich Wersich in Hamburg, „aber gleichwohl gegenüber Jens Böhrnsen von der SPD weit zurückfällt in den Umfragen und nicht annähernd an dessen Popularität anknüpfen kann“, sagte der Experte weiter. „Auch zum Regieren wird die CDU in Bremen nicht gebraucht, da eine erneute Mehrheit von Rot-Grün so gut wie sicher ist.“ Hinzu komme die Konkurrenz zur Alternative für Deutschland (AfD). „Es ist zwar nicht ausgemacht, ob die AfD in Bremen ebenfalls den Sprung in die Bürgerschaft schafft, aber sie wird der CDU mit Sicherheit Stimmen wegnehmen.“

Inwieweit das auch auf die FDP zutreffe, die in Bremen zwar auch mit einer jungen Kandidatin antritt, aber seit 2011 nicht mehr in der Bürgerschaft vertreten ist und ebenfalls „nicht den Hauch einer Machtoption“ habe, lasse sich schwer sagen. In Hamburg habe es demgegenüber „eine deutliche Wählerwanderung“ von der CDU zur FDP gegeben, weil klassisch bürgerliche Wähler darauf hofften, dass die FDP vielleicht doch zum Juniorpartner von Olaf Scholz werden könne. Dieses Kalkül, so Probst, werde es jedoch angesichts der klaren Mehrheitsverhältnisse und der beabsichtigten Fortsetzung von Rot-Grün nicht geben.

Die Hamburg-Wahl ist für Probst auch ein Beleg dafür, dass die Union ihren Großstadt-Fluch immer noch nicht abschütteln konnte. „Trotz mehrerer Kommissionen, die die Union eingesetzt hat, gelingt ihr nicht der Sprung zu modernen Großstadtpartei“, stellt der Politik-Professor nüchtern fest. Als Ursache nennt Probst auch strukturelle Gründe.


„Union deckt nicht das Lebensgefühl neuer Milieus ab“

In Großstädten, erklärt wer, sei die Parteiidentität mit einer bestimmten Partei noch schwächer ausgeprägt als in der Fläche. Die Zahl der Wechselwähler, die auf kurzfristige Angebote reagierten, sei groß. Des Weiteren sei die Zahl der Wähler geringer als bei Bundestagswahlen. „Die CDU kann hier ihr Wählerpotenzial schlechter ausschöpfen.“

Hinzu kommt, wie Probst weiter sagte, dass in Großstädten sich die Veränderung der Wählerschaft schneller vollziehe als in ländlichen, eher konservativ strukturierten Regionen. „Der Anteil der konfessionslosen Wähler ist in Großstädten höher, es gibt mehr Single-Haushalte, Patchwork-Familien und neue Lebensstilgruppen, die eher liberal, ökologisch oder sozialdemokratisch orientiert sind“, erläuterte der Parteienforscher. „Trotz ihrer stärkeren Tendenz zur Mitte deckt die Union nicht das Lebensgefühl dieser neuen Milieus ab.“

Großstädte seien außerdem in der Regel auch Universitätsstädte und kulturelle Zentren. Die dort Beschäftigten wiesen hohe Bildungsabschlüsse sowie eine hohe Wahlbereitschaft auf. „Diese Beschäftigten bevorzugen eher „moderne“ Parteien wie SPD und Grünen“, ist Probst überzeugt. Und es gebe in Großstädten Sektoren mit einem starken Öffentlichen Dienst sowie im industriellen Bereich eine gut organisierte Facharbeiterschaft. „Das bevorteilt eher Parteien wie die SPD und die Grünen, weil Beschäftigte aus diesen Einrichtungen und Sektoren eher zur Wahl dieser Parteien neigen – vor allem, wenn es ein attraktives personelles Angebot gibt.“

Kandidaten der CDU haben in dieser Hinsicht oft das Nachsehen, bemerkt Probst. Anders als Kandidaten der SPD und zum Teil der Grünen hätten sie seltener eine liberale und moderne Ausstrahlung, mit der man die verschiedenen großstädtischen Milieus besser erreichen könne. „Ausnahmen wie Ole von Beust bestätigen als Ausnahme die Regel.“

Und Besserung ist tatsächlich nicht in Sicht: Bei der Wahl des Oberbürgermeisters in Köln tritt die CDU nicht mal mit einem eigenen Kandidaten an, sondern unterstützt zusammen mit Grünen und FDP die parteilose Henriette Reker. Bei der Landtagswahl in Bremen im Mai gilt die CDU-Spitzenkandidatin Motschmann als chancenlos. Zwar verweist etwa der Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer, darauf, dass die CDU trotzdem in den meisten Städten stärkste Kraft in den Stadträten sei. Aber das ändert nichts am Grundproblem, keine bekannten und auch bundesweit wirksamen kommunalen Aushängeschilder mehr zu haben.

Die bisherigen Versuche wechselnder Generalsekretäre verpufften jedenfalls, der Partei wieder etwas Großstadtflair zu verpassen. Daran ändern weder der im Sommer 2014 ernannte „Großstadtbeauftragte“, der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Wegner, noch diverse Konzeptpapiere etwas. Auch eine erst im Januar vom CDU-Bundesvorstand in Hamburg beschlossene Großstadtstrategie verpuffte. Weder in der Familien-, Verkehrs- noch Drogenpolitik wird der Union laut Meinungsforschern in vielen Städten besondere Kompetenz zugewiesen. „Die CDU braucht die Lufthoheit bei bezahlbarem Wohnen, bei neuartigen Lebens- und Familienmodellen, bei gesunder Ernährung und bei urbanem Grün“, forderte Wegner am Montag. Erfolgsrezept bei der liberalen Stadtbevölkerung sei ein „unkonventioneller und unideologischer“ Auftritt.


Ohne eine Machtperspektive helfen auch überzeugende Kandidaten nicht

Merkel allerdings drehte die Debatte nach der Debatte im Bundesvorstand aber um: „Wir sollten nicht eine Stadt- und eine Landprogrammatik haben, sondern die CDU-Programmatik muss insgesamt stimmig sein“, mahnte sie. „Spartenprogrammatik“ brauche man nicht, fügte ein Vorstandsmitglied hinzu - und verwies auf die Stärke der Partei in kleineren Städten und auf dem Land.

Dennoch: So sehr die Kanzlerin an der Spitze der Bundesregierung glänzt und hohe Zustimmungswerte sowohl international als auch bei deutschen Wählern einfährt - die Union wirkt derzeit wie eine Partei ohne Unterleib, zumal sie auch in Landtagswahlen in Flächenländern meist nicht besonders erfolgreich abschneidet. Genüsslich verweisen SPD, Grüne und Linkspartei darauf, dass elf Ministerpräsidenten aus ihren Parteien noch fünf von CDU und CSU gegenüber stehen.

Gerade die Lage in den Ländern weist auf das zweite entscheidende Problem der Union hin - unabhängig von Hamburg. Denn ohne eine Machtperspektive nutzen der Partei auf keiner politischen Ebene überzeugende Kandidaten, wie auch Merkel einräumte. In der Hansestadt etwa hatte Spitzenkandidat Wersich schon im Wahlkampf eingestehen müssen, dass niemand mit ihm koalieren wolle. Das demobilisierte potenzielle CDU-Wähler offenkundig. „Wir haben in Hamburg letztlich keine Perspektive bieten können“, betonte auch der CDU-Politiker und EU-Kommissar Günther Oettinger.

Diese Angst vor der Demobilisierung der eigenen Anhänger erklärt auch die Sorge der Union vor dem Signal, das von dem rot-rot-grünen Bündnis in Thüringen ausgehen könnte. Dort hatte sich die Union zwar als stärkste Partei behauptet, fand aber keinen Koalitionspartner. Die Kritik an diesem Linksbündnis hängt also nicht nur damit zusammen, dass einige Unionspolitiker wieder eine „Rote-Socken-Kampagne“ auflegen wollen. Sie ist auch Ausdruck der Sorge, dass selbst Merkel, die bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent der Stimmen einfuhr, am Ende die Macht für CDU und CSU auf Bundesebene möglicherweise nicht mehr sichern kann - wenn keiner mit ihr koalieren will.

Nur einen kleinen positiven Effekt konnte man in der Union der Hamburg-Wahl abgewinnen: Strategisch gesehen, so hieß es im Bundesvorstand, könne es unter Koalitionsgesichtspunkten zumindest von Vorteil sein, dass es dem traditionellen Wunschpartner FDP erstmals seit langem gelungen ist, wieder in ein Landesparlament einzuziehen. Allzu überschäumend war Merkels Freude angesichts der 15,9 Prozent für ihre CDU aber nicht. „Es ist sicherlich für die FDP eine gute Erfahrung“, sagte sie nur lakonisch.

Mit Reuters

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