Bilderberg-Vorsitzender Castries „Da steckt ein wenig Einbildung in dem Mythos“

Wieder treffen sich die Mächtige der Welt, um streng abgeschirmt bei der Bilderberg-Konferenz über dies und jenes zu beraten. Immer dabei: Die Angst vor der geheimen Weltregierung. Der Vorsitzende verteidigt die Konferenz.

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Warum richten alle ihre Blicke auf die Bilderberg-Konferenz, wenn es täglich Tausende Treffen gibt, deren Inhalt nicht öffentlich ist, so Axa-Chef Henri de Castries. Quelle: Reuters

Paris Mythen und Legenden ranken sich um die Bilderberg-Konferenz: Jedes Jahr versammelt sich hohe Politiker, Wirtschaftsbosse, Akademiker und ein paar Journalisten im geheimen hinter verschlossenen Türen. Bei den Treffen in wechselnder Besetzung gilt die „Chatham House Rule“: Die Teilnehmer dürfen die besprochenen Informationen verwenden, aber die Redner nicht namentlich zitieren. Diesmal tagt die Runde von Donnerstag an in Dresden. Kritiker sprechen von einem „elitären Zirkel“, der demokratischen Grundprinzipien entgegenstehe. Einige sprechen sogar von einer geheimen Weltregierung. Der Vorsitzende des Lenkungsausschusses der Konferenz, Axa-Chef Henri de Castries, hält im Interview in Paris dagegen.

Die Geheimhaltung um das Treffen gibt Anlass zu viel Argwohn und Kritik. Warum sprechen Sie hinter verschlossenen Türen?
Wenn ich die Frage umdrehen darf: Warum konzentriert man sich so auf die Geheimhaltung von Bilderberg, wenn es jeden Tag zehntausende Treffen gibt, deren Inhalt nicht öffentlich ist? Was wäre die Rechtfertigung? Es ist kein Parlament, keine operative Organisation. Es ist eine informelle Gruppe, die über verschiedene Themen spricht und die Diskussion hinter verschlossenen Türen führt, um die Gespräche zu erleichtern. Warum sollten diese Menschen nicht das gleiche Recht auf Privatsphäre haben wie jeder normale Bürger?

Sie haben sehr viel mehr Einfluss als normale Bürger.
Ich würde dieses Urteil voll und ganz verstehen, wenn bei Bilderberg Entscheidungen getroffen würden, die sich auf öffentliche Systeme auswirken. Es ist aber ausschließlich ein informeller Kreis, in dem Diskussionen zu breiten Themen geführt werden und Menschen Meinungen austauschen.

Kritiker argumentieren, dass Bilderberg einen Raum schafft, in dem ohne Kontrolle bestimmte Agenden vorangetrieben werden können.
Erstens: Was wissen sie denn darüber? Und zweitens ist es völlig klar, dass dort keine Entscheidungen getroffen werden. Kompetente Menschen stellen ihre Meinungen vor, andere fragen nach, man stellt sich manchmal gegenseitig infrage, sodass die Teilnehmer ihre eigene Meinung bilden können – was ist schlimm daran? Damit Sie echte Diskussionen bekommen und manche Leute wirklich offen sprechen können, brauchen Sie Regeln wie die Chatham House Rule.

Wie laufen die Gespräche konkret?
Es ist ein großer Konferenzraum, die Gäste sitzen in alphabetischer Reihenfolge. In einem Jahr ist A vorne, im nächsten Jahr ein anderer Buchstabe. Das Format ist sehr klassisch: Es gibt ein Podium, ein Moderator stellt das Thema vor, dann können ein, zwei, manchmal drei Diskussionsteilnehmer ihre Sichtweisen vorstellen. Und dann gibt es eine offene Diskussion mit dem Saal.


„Menschen träumen gerne“

Was haben die Teilnehmer von dem Treffen?
Das Bewusstsein von etwa 130 Menschen zu einer breiten Auswahl von Themen ist beim Rausgehen größer als beim Reingehen. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, wir diskutieren seit Jahren über neue Technologien. Vor vielen Jahren war es sehr interessant für mich, dort die ersten Diskussionen um Cybersecurity zu hören. Wir versuchen, die Gäste so auszuwählen, dass wir sehr verschiedene Sichtweisen hören. Wenn man nur die üblichen Verdächtigen nimmt, bekommt man nur die üblichen Gespräche.

Sie treffen sich in Dresden, einer politisch polarisierten Stadt. Haben Sie keine Bedenken mit Blick auf mögliche Proteste?
Nein. Wir treffen uns jedes Jahr in einem anderen Ort. Diese Konferenzen haben manchmal Anlass zu Demonstrationen im Umfeld gegeben, aber es waren eigentlich immer friedliche Versammlungen. Und Deutschland ist bekannt für seine Organisationsfähigkeit.

Was glauben Sie, warum es gerade um diese Konferenz so viele Vorwürfe, Fragen und auch Verschwörungstheorien gibt?
Menschen träumen gerne und stellen sich vor, dass es irgendwo einen Orden gibt, wo einige Leute alles entscheiden. Da steckt ein wenig Einbildung in dem Mythos um Bilderberg. Es ist aber eigentlich viel simpler. Ja, es stimmt, dass viele der Teilnehmer große Verantwortung haben, wichtige Jobs, die Akademiker einen hohen Fachkenntnisstand. Daran ist doch nichts falsch. Wenn wir unsere Welt besser verstehen wollen, ist es gut, Gespräche zwischen diesen Menschen zu erleichtern. Denn sich gegenseitig zuzuhören heißt immer, sein Verständnis zu verbessern. Und manchmal helfen widersprüchliche Sichtweisen, bessere Antworten zu finden.

Am Ursprung des Bilderberg-Treffens stand auch ein transatlantischer Gedanke – ist das heute noch relevant?
Ja, ich denke, das ist relevanter denn je. Was haben wir gemeinsam? Vor allem zwei sehr grundlegende Werte: Die Überzeugung, dass die individuelle Freiheit wichtig ist, und dass jedes Individuum die anderen respektieren muss. Wir leben in einer Welt, in der die Dinge sich sehr schnell wandeln und wo es nicht unbedeutende Bedrohungen gibt. Deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam zu verstehen versuchen, wie diese zwei Kernwerte am Leben gehalten werden können.

Zur Person: Henri de Castries (61) steht seit 16 Jahren an der Spitze des französischen Versicherungskonzerns Axa. Er besuchte die Pariser Verwaltungselitehochschule ENAzur gleichen Zeit wie Frankreichs Präsident François Hollande. De Castries begann seine Karriere im Staatsdienst und wechselte 1989 zu Axa. Im Lenkungsausschuss der Bilderberg-Konferenz, der Themen und Gäste auswählt, übernahm er 2012 das Ruder.

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