Brisante Daten Die Mär von den klammen Krisenstaaten

Krisenländer wie Griechenland, Italien und Zypern halten die Euro-Retter in Atem. Dabei könnten sich die Staaten selbst helfen. Denn dort ist der private Reichtum teilweise wesentlich größer als in finanzstarken Ländern.

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Nehmt es von den Reichen: Vermögende könnten die Krisenkosten vermindern helfen. Quelle: ap

Berlin Das pleitebedrohte Zypern hält seit Wochen die Euro-Rettungspolitiker in Atem. Heute drängt das Thema wieder einmal auf die Agenda. Die Euro-Finanzminister wollen am Nachmittag in Brüssel über das Hilfsprogramm für den krisengeschüttelten Inselstaat beraten. Die Verhandlungen seien in der Endphase, sagen Diplomaten. Dem Euro-Land droht die Staatspleite, wenn nicht bald internationale Hilfe kommt. Doch in Deutschland gibt sich die Politik zögerlich – aus gutem Grund.

Europas Politiker ärgert nicht nur, dass reiche Russen bei zyprischen Banken rund 20 Milliarden Euro gebunkert haben, die aber nun abgesichert werden sollen, weil den strauchelnden Geldinstituten eine Rekapitalisierung mit EU-Steuergeldern winkt. Für Unmut sorgt auch, dass offenbar Daten über den Reichtum in Zypern erst nach der Rettung der Insel veröffentlicht werden sollen. Das berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung“ unter Berufung auf Notenbankkreise.

Konkret geht es um Zahlen, die in den 17 Euroländern erhoben wurden. Vom Jahr 2006 an fragten die Euro-Notenbanken viele tausend Privathaushalte nach ihrem Geldvermögen, dem Wert ihrer Autos und Immobilien sowie nach der Verschuldung. Die Europäische Zentralbank (EZB) will die Ergebnisse erst im April gesammelt veröffentlichen. Dabei sind schon einige Länder wie Italien, Spanien und Österreich vorgeprescht und haben schon Daten veröffentlicht. Die Bundesbank will ihren Bericht zur Verteilung der Vermögen in Deutschland am kommenden Donnerstag veröffentlichen.

Was Zypern betrifft befürchten die Notenbanker, dass die Daten über die Vermögen der Zyprer genutzt werden könnten, um die Milliardensummen für das Rettungsprogramm in Frage zu stellen. Dabei sind die Grundzüge der Vermögensverteilung der Europäer bekannt. Die FAZ führt eine Studie der Credit Suisse an, der zufolge das durchschnittliche Nettovermögen (mit Immobilien, ohne Schulden) von Erwachsenen in Zypern für das Jahr 2011 auf 87.000 Euro geschätzt werde. Im Vergleich dazu lag bei Deutschland dieser Wert zur selben Zeit bei rund 135.000 Euro. Zypern nimmt in dieser Statistik den 10. Rang ein, Deutschland wird auf Rang 6 geführt.

Das Brisante ist, dass die Erhebung der 17 Euro-Notenbanken zu kaum anderen Ergebnissen zu kommen scheint. Laut Informationen der FAZ lassen die Daten den Schluss zu, dass die Vermögen in Euro-Krisenländern größer sind als in einigen finanzstarken Ländern wie der Bundesrepublik. Dies sei zwar aus früheren Untersuchungen bekannt. Angesichts der Höhe der Vermögen in Defizitländern könnte es jedoch Kritik an der Haftungsübernahme der finanzstarken Länder bei der Euro-Rettung geben.


Commerzbank: Italien sollte eine einmalige Vermögensteuer erheben

So liegt etwa laut der Zeitung der sogenannte Medianwert der privaten Vermögen in Italien bei 164.000 Euro. In Deutschland dürfte er demnach in etwa auf dem österreichischen Niveau von 76.000 Euro liegen.

Der Median ist ein Mittelwert, der jedoch auf andere Weise ermittelt wird als der herkömmliche Durchschnittswert, das arithmetische Mittel. Der Median wird dadurch weniger stark durch Ausreißerwerte nach oben und unten verzerrt. Zu seiner Ermittlung wird eine Anzahl an Werten - etwa die Vermögen von Haushalten - in zwei Hälften unterteilt. Die Werte auf der einen Seite sind größer als der Median, auf der anderen Seite sind sie kleiner.

In Österreich weiche der Medianwert stark vom arithmetischen Mittel ab, berichtete die FAZ. Letzterer betrage in der Alpenrepublik 265.000 Euro - im Vergleich zum Median von 76.000 Euro. Die große Abweichung zeuge "von der starken Ungleichverteilung der privaten Vermögen". Deshalb werde bei der Veröffentlichung entsprechender Berichte in anderen Euro-Mitgliedsländern teils auch nur der Median veröffentlicht.

Dies ändert aber nichts am grundsätzlichen Befund, dass es eine Mär ist von klammen Krisenstaaten zu sprechen. Denn auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, nennen Zahlen, die eine andere Sichtweise nahelegen.

Krämer beruft sich auf Erhebungen der Europäischen Zentralbank. Das Nettofinanzvermögen der Italiener betrage demnach 173 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das sei deutlich mehr als das Nettofinanzvermögen der Deutschen, das 124 Prozent des BIP entspreche, sagte Krämer Handelsblatt Online. „Insofern wäre es sinnvoll, in Italien eine einmalige Vermögensteuer zu erheben“, schlug der Bankenvolkswirt vor. „Ein Steuersatz von 15 Prozent auf Finanzvermögen würde wohl ausreichen, die italienische Staatsschuld unter die kritische Marke von 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken.“

Das DIW nimmt in einer Studie aus dem Jahr 2012 Bezug auf Daten der OECD. Demnach betrug das Nettovermögen der Italiener im Durchschnitt der Jahre 2007 bis 2009 555,6 Prozent des BIP. In Deutschland betrug dagegen das Nettovermögen im selben Zeitraum 394,4 Prozent des BIP. Selbst in Frankreich lag der Wert mit 509,6 Prozent des BIP deutlich höher als in der Bundesrepublik. Die Schlussfolgerung der DIW-Experten ist denn auch nicht überraschend, wenn sie schreiben, dass das Privatvermögen in den betroffenen Ländern die Staatsschulden „um das Vielfache“ überstiegen.


SPD fordert Klarheit über private Vermögen der Zyprer

Das DIW räumt zwar ein, dass nur für wenige OECD-Länder „konsistente Informationen“ zu den gesamtwirtschaftlichen Vermögensbeständen und Verbindlichkeiten vorlägen. „Aber auch in Griechenland, Portugal und Spanien dürften wohl private Vermögenswerte in einer Höhe vorhanden sein, die die Staatsschulden deutlich übersteigen“, fügen die Experten in ihrer Studie hinzu.

Und sie machen einen Vorschlag, der vielen Euro-Kritikern aus der Seele sprechen dürfte: „Diese Vermögen sollten verstärkt zur Entschärfung der Schuldenkrise mobilisiert werden“, schreiben die DIW-Ökonomen. „Durch Zwangsanleihen und Vermögensabgaben könnten Privathaushalte mit höheren Vermögen und Einkommen zur Refinanzierung und zum Abbau der Staatsschulden herangezogen werden.“

Ob das auch für Zypern eine Lösung wäre? Die SPD will zunächst wissen, wie in dem Inselstaat das private Vermögen verteilt ist. Dass die aktuellen Daten dazu zurückgehalten werden, halten die Genossen für inakzeptabel. „Selbstverständlich gehört auch das Ergebnis der Umfrage der EZB zur Vermögensverteilung in den Mitgliedsländern auf den Tisch“, sagte der Chefhaushälter der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, Handelsblatt Online. Schließlich hätten die großen Vermögen am meisten von der Stabilisierung der Finanzmärkte durch die Staaten profitiert. „Es ist deshalb höchste Zeit, dass nun diese hohen Vermögen und die Profiteure der spekulativen Geschäfte, die die Krise ausgelöst haben, anfangen sich an den finanziellen Lasten der Krise für die öffentlichen Haushalte zu beteiligen.“

Auch der Vize-Sprecher der Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Sieling, fordert, dass die Daten über die Vermögen der Zyprer veröffentlicht werden. „Wir brauchen jetzt maximale Transparenz über Zypern- unabhängig von einem möglichen Hilfspaket. Denn die private Vermögensverteilung dort ist nicht das einzige Problem“, sagte Sieling Handelsblatt Online. Die SPD habe zudem schon vor Wochen klargestellt, unter welchen Bedingungen Zypern mit europäischen Solidarität rechnen könne: eine Beteiligung der zypriotischen Banken am Hilfspaket, die Anhebung der Körperschaftssteuer, die Bekämpfung der Geldwäsche und die Einführung der Finanztransaktionssteuer. „Dabei bleibt es“, betonte Sieling.

Für den Finanzexperten der FDP-Bundestagfraktion, Frank Schäffler, sind die Ergebnisse zur Vermögensverteilung in Zypern schon gar nicht mehr relevant, da bereits feststehe, dass dem Staat geholfen werde. „Es findet bei der Pseudorettung Zyperns tatsächlich eine Rettung der russischen Mafia mit den Steuergeldern der Bürger statt“, sagte Schäffler Handelsblatt Online. Wenn Zypern seine Banken retten wolle, dann sei das allerdings die „souveräne Entscheidung“ des Inselstaates. „Mit der Stabilität des Euros hat das aber beim besten Willen nichts zu tun.“


„Größte Geld-Waschmaschine für russische Kriminelle“

SPD-Haushälter Schneider sprach von einer katastrophalen Informationspolitik aller am Hilfspaket für Zypern beteiligten Institutionen. „Wie schon in der Vergangenheit wird auch bei diesem Rettungsprogramm die Wahrheit nicht ausgesprochen und werden die Fakten nicht auf den Tisch gelegt.“ Das sei nicht akzeptabel. „Dies gilt auch für den plötzlichen Zeitdruck, der kurzfristig aufgebaut wird, obwohl sich die Bundesregierung noch bis Ende letzten Jahres nicht für die Details des Programms interessiert hat und bis heute keine eigene klare Position im Parlament darlegen konnte“, kritisierte Schneider.

In diesem Zusammenhang griff er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scharf an. Die „größte Unverschämtheit“ sei die „Dreistigkeit“, mit der Merkel nach Brüssel gefahren sei, ohne dem Bundestag wie üblich in einer Regierungserklärung ihre Position und ihre konkreten Anforderungen für ein Hilfspaket darzulegen. „Sie tritt die Rechte des Bundestages, die im letzten Jahr mehrfach durch das Bundesverfassungsgericht gestärkt wurden, mit Füßen und lässt die Öffentlichkeit im Unklaren über ihre Verhandlungsbereitschaft und die geplanten Zugeständnisse“, empörte sich Schneider.

Das wird auch in der Union kritisch gesehen – insbesondere vor dem Hintergrund des Reichtum-Aspekts. Der Haushaltsexperte der Unions-Bundestagsfraktion, Klaus-Peter Willsch (CDU), hält Hilfen an Zypern daher auch für unverantwortlich gegenüber dem Steuerzahler in Deutschland. „Ich bin nicht bereit, zur Rettung des russischen Schwarzgeldparadieses den deutschen Steuerzahler heranzuziehen“, schreibt Willsch in einem Gastbeitrag für Handelsblatt Online. „Es leuchtet mir nicht ein, wie ein Staat (wie Zypern; d. Red.) mit der Wirtschaftskraft einer mittelgroßen deutschen Stadt weltweit größter Kapitalinvestor in Russland sein kann. Und wenn dort alles mit rechten Dingen zugehen würde, dürfte Zypern niemals vor der Pleite stehen.“ Denn trotz der europaweit mit Abstand niedrigsten Unternehmenssteuer in Höhe von 10 Prozent müssten angesichts solcher Kapitalstöcke die Steuereinnahmen sprudeln.

Willsch berief sich dabei auf einen im Februar veröffentlichten Bericht der Washingtoner Denkfabrik „Global Financial Integrity“ (GFI), die internationale Finanzströme untersucht. Demnach ist Zypern einer der wichtigsten Verschiebebahnhöfe für illegale Finanzströme aus Russland. Laut der GFI-Studie sind allein in den Jahren 1994 bis 2011 über 211 Milliarden Dollar (rund 157 Milliarden Euro) aus Russland herausgeschleust worden – ein großer Teil davon über Zypern. „Zypern ist die größte Quelle und zugleich das größte Ziel direkter russischer Auslandsinvestitionen“, schreiben die GFI-Forscher. Zypern sei „eine der größten Geld-Waschmaschinen für russische Kriminelle“.

Zypern sei aber „nicht nur ein Schwarzgeld- und Steuerparadies, sondern auch aus energie- und geopolitischen Gründen interessant“, schreibt Willsch weiter unter Hinweis auf die Gasvorkommen vor der zypriotischen Küste, die sich Schätzungen zufolge auf mindestens 200 Milliarden Kubikmeter beliefen. „Ausgehend von einem relativ niedrig angesetzten Gaspreis von 200 Dollar pro 1000 Kubikmeter lässt sich der Wert des Gasvorkommens auf mindestens 39,6 Mrd. Dollar (31 Milliarden Euro) beziffern“, schreibt Willsch und fügt hinzu: „Daher bin ich keinesfalls bereit, deutsche Steuergelder – gleich ob als Barzahlung, Kredit oder Bürgschaft - zur fraglichen Rettung Zyperns einzusetzen.“ Wenn Zypern Hilfsgelder brauche, müsse es sie mit den zukünftigen Erträgen aus der Gasförderung absichern.

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