Bundesbürgerin verhaftet Neue deutsch-türkische Spannungen

Die Inhaftierung von Mesale Tolu belastet das deutsch-türkische Verhältnis weiter. Das Auswärtige Amt forderte öffentlich Zugang zu der Inhaftierten, nachdem es erst von Dritten über die Festnahme informiert worden war.

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Die Inhaftierung von Mesale Tolu belastet das deutsch-türkische Verhältnis weiter. Türkische Behörden werfen der Journalistin „Terrorpropaganda“ vor. Quelle: dpa

Berlin Die deutsch-türkischen Beziehungen werden durch eine weitere Inhaftierung belastet. Das Auswärtige Amt forderte am Freitag öffentlich Zugang zu der in einem Gefängnis bei Istanbul einsitzenden Mesale Tolu. Die Türkei verstoße gegen das Völkerrecht, weil deutsche Behörden nicht unverzüglich nach der Inhaftierung der deutschen Staatsbürgerin am 30. April informiert wurden, sagte Ministeriumssprecher Martin Schäfer. Nach Medienberichten werfen türkische Behörden Tolu „Terrorpropaganda“ vor. Der Deutsche Journalistenverband sprach von einem „dreisten Willkürakt der türkischen Autokratie gegen die freie Presse“.

Gegen Tolu sei am 5. Mai Untersuchungshaft erlassen worden, sagte Schäfer. Bislang hätten die türkischen Behörden nicht auf die Bitte reagiert, deutsche Diplomaten Tolu zwecks konsularischer Betreuung besuchen zu lassen. Das Auswärtige Amt sei durch Dritte auf die Festnahme Tolus hingewiesen worden. Laut Schäfer arbeitete Tolu als Journalistin oder Übersetzerin. Man gehe davon aus, dass sie keine Doppelstaatlerin sei und keinen türkischen Pass habe. Darin unterscheidet sich Tolu vom Journalisten Deniz Yücel, der seit Wochen in Untersuchungshaft sitzt und dem ebenfalls Terrorpropaganda vorgeworfen wird. Yücel ist Doppelstaatler.

Die Frage der Staatsangehörigkeit ist nach den Angaben Schäfers von Bedeutung, da eine konsularische Betreuung Verhafteter nach Völkerrecht dann zwingend zu gewähren ist, wenn der Betroffene nicht die Staatsangehörigkeit des Gastlandes hat. „Wir drängen darauf, so schnell wie möglich zu Tolu gehen zu können“, sagte Schäfer. Außenminister Sigmar Gabriel habe den Fall am Rande der Somalia-Konferenz in London bei einem Gespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim angesprochen.

Neben Tolu und Yücel gebe es weitere vier Deutsche in der Türkei, bei denen die Kontaktaufnahme schwierig sei, sagte Schäfer weiter. Zudem gebe es Deutsche, die aus strafrechtlichen Gründen das Land nicht verlassen dürften. Die Bundesregierung wie auch andere westliche Staaten haben mit Befremden auf das drastische Vorgehen mutmaßlicher Anhänger des gescheiterten Militärputsches im vergangenen Jahr reagiert. Kritiker fürchten, Präsident Recep Tayyip Erdogan nutze die Revolte als Vorwand, um die Opposition sowie regierungskritische Presse auszuschalten.

Nach einem Bericht der ARD wurde die 33-Jährige in Ulm geboren und hatte für einen linken Radiosender gearbeitet, der kürzlich von den Behörden geschlossen wurde. Demnach hat sie 2007 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und die türkische abgegeben. Freunde der Verhafteten sagten der ARD, eine Anti-Terror-Einheit sei am 30. April in die Istanbuler Wohnung eingedrungen, in der Tolu und ihr zweijähriger Sohn wohnten.

Grüne und Linkspartei forderten die Bundesregierung zu energischem Handeln auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse damit aufhören, Rücksicht auf die Regierung in Ankara zu nehmen, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen rief die Bundesregierung dazu auf, „endlich klare Kante gegen den Despoten zu zeigen“. Beide Politiker zeigten sich ebenso wie Gewerkschaften überzeugt, die Vorwürfe gegen Tolu seien konstruiert. Der Fall zeige, dass die Türkei die Pressefreiheit ausgesetzt habe, teilte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit.

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