EU-Austrittsgespräche Schottland schließt sich den Brexit-Klägern an

Schottlands Regierungschefin kämpft jetzt auch dafür, dass das Parlament den offiziellen Scheidungsgesprächen zwischen London und Brüssel zustimmt. Die Anhörung dazu vor dem Obersten Gerichtshof steht im Dezember an.

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Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon steht auf der Seite der Brexit-Kritiker. Quelle: dpa

London Die ersten Gerüchte machten bereits am Wochenende die Runde. Jetzt hat es Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon offiziell gemacht: Schottland werde vor dem Obersten Gerichtshof auf der Insel die Position der Brexit-Kritiker unterstützen, die für einen Parlamentsbeschluss kämpfen, um die offiziellen EU-Austrittsgespräche Großbritanniens einzuleiten. Premierministerin Theresa May dürfe Artikel 50 des Vertrages von Lissabon nicht im Alleingang auslösen, so Sturgeon. Denn durch diesen Schritt würden schottischen Unternehmen und der Bevölkerung wichtige Rechte und Freiheiten entzogen. Daher sei die Zustimmung des Parlaments erforderlich.

Bereits kurz nach dem Referendum über den EU-Austritt im Juni ist eine Gruppe von Brexit-Kritikern, darunter die Londoner Fondsmanagerin Gina Miller sowie im Ausland lebende Briten, vor Gericht gezogen, um für mehr Einfluss für die Abgeordneten in der Brexit-Debatte zu kämpfen. Ein hohes britisches Gericht hat ihnen in einer überraschend klaren Entscheidung am vergangenen Donnerstag Recht gegeben.

Die Regierung hat daraufhin angekündigt, vor den Supreme Court zu ziehen. Die Anhörung dort wird am 5. Dezember beginnen, wie der Oberste Gerichtshof am Dienstag bekannt gab, und könnte bis zu vier Tage dauern. Alle elf Richter des Supreme Court werden in dieser Sache eine Entscheidung treffen. Das macht die enorme Bedeutung dieses Falls deutlich. Bei bisherigen Urteilen des Obersten Gerichtshofs waren höchstens neun Richter beteiligt.

Bestätigt der Supreme Court das bisherige Urteil, könnte das die Brexit-Pläne der Regierung deutlich verkomplizieren und in die Länge ziehen. Bisher will May die offiziellen Scheidungsgespräche mit Brüssel, die zwei Jahre dauern dürften, bis Ende März 2017 in Gang setzen. An diesem Zeitplan hält sie auch weiterhin fest und gibt sich optimistisch, dass der Supreme Court zu ihren Gunsten entscheiden wird.

Das Urteil von vergangener Woche hat Brexit-Befürworter in Rage versetzt. Sie werfen den Klägern vor, den Mehrheitswillen des Volkes zu untergraben. Ende Juni haben 52 Prozent der Briten für einen Abschied aus der EU gestimmt. Boulevardmedien haben die Richter, die May ihre Grenzen aufgezeigt haben, als „Feinde des Volkes“ tituliert. Ein anderes Blatt witterte Betrug an den Wählern.

Doch die Richter haben keine Entscheidung für oder gegen einen Brexit getroffen. Sie haben nur den Ablauf festgelegt. Sie halten grünes Licht durch das Parlament für notwendig, weil die Abgeordneten auch dem Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Anfang der 70-er Jahre zugestimmt hätten. Die Rechte, die die Briten damit bekommen hätten, könnten daher jetzt auch nur durch das Parlament entzogen werden und nicht durch die Regierung, so die Argumentation der Richter.

May beruft sich dagegen auf ein jahrhundertealtes königliches Hoheitsrecht, demzufolge die britische Regierung internationale Abkommen ohne Zustimmung des Parlaments unterzeichnen und wieder aufkündigen kann. Die Richter widersprechen dieser Auffassung, da es hier um viel mehr gehe und ein EU-Austritt Großbritanniens fundamentale Konsequenzen für das nationale Recht haben werde.

Etliche Brexit-Kritiker hoffen, dass durch mehr Einfluss des mehrheitlich EU-freundlichen Parlaments eine radikale Abkehr Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft verhindert werden kann, wie sie May derzeit vorzuziehen scheint. Sie will den vollen Zugang zum europäischen Binnenmarkt offenbar aufgeben, um die Einwanderung kontrollieren zu können.

Sollten sich die Abgeordneten dem widersetzen, bringen die Befürworter eines solchen Brexit inzwischen vorgezogene Neuwahlen in die Debatte. Dann könnte Mays konservative Tory-Partei ihre Mehrheit von derzeit 15 Stimmen im Unterhaus deutlich ausbauen, sagen Meinungsumfragen voraus.

Noch versucht May aber die Abgeordneten darauf einzuschwören, sich auf ihren Kurs einzulassen. Und dazu gehört vor allem eines: Die Premierministerin will vor den offiziellen Verhandlungen mit der EU in Parlamentsdebatten nicht zu viel von ihrer Brexit-Position und ihren Zielen verraten. Denn dann werde man nicht das Beste für Großbritannien herausholen können.

Brexit-Minister David Davis fasste das in einer Diskussion mit Abgeordneten Anfang der Woche so zusammen: „Wenn das Parlament darauf besteht, dass wir die Minimalforderungen, mit denen wir in die Verhandlungen gehen wollen, öffentlich machen, dann werden diese Minimalforderungen schnell zu dem maximal Möglichen, das unsere Verhandlungspartner uns anbieten werden.“

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