EU-Mercosur-Abkommen Europas letzte Chance

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratuliert Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva am 1. Januar 2023 nach seiner Vereidigung. Quelle: AP

Berlin setzt massiv auf die Annäherung an Brasilien unter Präsident Lula – das ist gut so. Doch für ein Abkommen zwischen Lateinamerika und der EU muss Europa jetzt schnell und konkret Angebote machen, statt abzuwarten und zu mäkeln. Ein Kommentar.

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Bei der Amtseinführung von Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien am 1. Januar zeigte Deutschland geballte Präsenz: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war abgesehen von Portugals Präsident das einzige Staatsoberhaupt aus Europa, das sich ins ferne Brasília aufgemacht hatte. Dabei war außerdem die Umweltministerin Steffi Lemke. Die diplomatische Offensive Berlins wird bald fortgesetzt: Bundeskanzler Olaf Scholz will Ende Januar nach Brasilien, Chile und Argentinien reisen. Außenministerin Annalena Baerbock soll im März folgen.

Das sind wichtige Zeichen für Brasilien und für Südamerika als Ganzes, die fast eine Dekade von der deutschen Politik vernachlässigt wurden. Unter Lulas Vorgänger Jair Bolsonaro hatten die bilateralen Beziehungen zuletzt vollends auf Eis gelegen – dessen katastrophale Umwelt- und Menschenrechtspolitik sowie Angriffe auf die demokratischen Institutionen hatten ihn als Verhandlungspartner disqualifiziert.

Berlin will jetzt mit dem Sozialdemokraten Lula die Chance für eine Wiederbelebung benutzen. Denn so wie Lula jetzt die Unterstützung des Westens gut gebrauchen kann, ist für Europa ein stabiler und gestärkter demokratischer Partner in Lateinamerika extrem wichtig. Zudem ist die Region ein bedeutender Lieferant an Rohstoffen, grüner Energie und Lebensmitteln

Im ersten konkreten Schritt soll vor allem der Freihandel vorangetrieben werden. Konkret: Das 2019 unterzeichnete Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur, der Wirtschaftsgemeinschaft, die von Brasilien dominiert wird, soll reaktiviert werden. Weil der Mercosur sich nicht einig ist und Brasilien unter Bolsonaro nicht salonfähig war, steckte dessen Umsetzung bisher fest.

Der Zeitpunkt für eine diplomatische Initiative ist gut: Im zweiten Halbjahr 2023 werden Spanien und Brasilien jeweils in der EU und dem Mercosur die Präsidentschaften innehaben. Spanien ist neben Deutschland der wichtigste Akteur in der EU, der dem Abkommen einen neuen Schwung verpassen will. 

Lula da Silva wird Brasiliens neuer Präsident. Sollte sich die innenpolitisch aufgeheizte Stimmung nach der Wahl abkühlen, stehen die Chancen gut, dass Wirtschaft und Börse prosperieren.
von Alexander Busch, Frank Doll

Auf beiden Kontinenten müssen sich jetzt die Befürworter des Abkommens durchsetzen – gegenüber den lautstarken Kritikern. In der EU ist das die Bauernlobby, die Südamerikas starke Agrarindustrie fürchtet. Auch die Grünen wollen erstmal abwarten, ob Lula beim Umweltschutz tatsächlich liefert.

Doch sollte Europa erneut zögern, dann könnte es endgültig zu spät sein. Denn Brasilien, aber auch der ganze Mercosur, wird derzeitig heftig umworben. Chinas ist nach der Pandemie wieder voll präsent in Südamerika als Investor. Peking will sich mit allen Mitteln den Zugang zu Brasilien verschaffen und wirbt mit Freihandelsangeboten und Infrastrukturprojekten. Der Mercosur-Partner Uruguay hat sich der Offensive bereits hingegeben und verhandelt mit China.

Aber selbst in Brasilien unter Lula scheint Europa außenpolitisch nicht die oberste Priorität zu genießen: Lulas erste große Auslandsreisen gehen in die USA und nach China. Auch Süd- und Lateinamerika und auch Afrika werden vom neuen Außenminister öfters erwähnt als Europa.  

Es dürfte sich also in den nächsten Monaten entscheiden, ob das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur mit neuem Leben gefüllt werden kann – oder endgültig aufgegeben werden sollte.

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