Europäische Union Schäuble fordert „flexible Geschwindigkeiten“

Für US-Präsident Trump ist die EU ein Auslaufmodell. In Washington erklärt nun Finanzminister Schäuble, wie er die Zukunft Europas sieht – und erinnert an ein mehr als 20 Jahre altes Konzept.

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Schäuble hatte sich bereits 1994 in dem sogenannten Schäuble-Lamers-Papier für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ausgesprochen. Quelle: dpa

Washington Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) macht sich angesichts des Reformdrucks in Europa für eine EU der verschiedenen Geschwindigkeiten stark. Für die akuten Probleme seien sichtbare europäische Lösungen erforderlich. „Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass alle Mitgliedstaaten immer mitziehen müssen, wenn das nicht möglich ist“, sagte Schäuble am Donnerstag in Washington in einer Rede vor der Johns Hopkins Universität. „Wir brauchen flexible Geschwindigkeiten, variable Länder-Gruppierungen, "Koalitionen der Willigen" - wie auch immer Sie das in der jeweiligen Situation nennen wollen.“

Schäuble hatte sich bereits 1994 in dem sogenannten Schäuble-Lamers-Papier für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ausgesprochen. Nach dem Brexit-Votum der Briten zum EU-Austritt hatte Schäuble mehrfach argumentiert, wichtige Entscheidungen könnten künftig vor allem die Mitgliedsstaaten vorantreiben. Um schneller „sichtbare Ergebnisse“ zu liefern, müssten notfalls Länder mit Führungsverantwortung in bestimmten Fragen vorangehen.

Ohne auf den „America-First“-Kurs der neuen amerikanischen Regierung direkt einzugehen, warb Schäuble in der der US-Hauptstadt für eine verstärkte internationale Zusammenarbeit. Globalisierung bedeute, dass die globalen Abhängigkeiten zunehmen. Die Idee eines nationalen Regierungsmonopols sei veraltet, sagte Schäuble. Es ist unzureichend, wenn es um die Bekämpfung des Klimawandels geht.

Es reiche auch nicht aus, Sicherheit und Stabilität im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen und der asymmetrischen Kriegsführung zu gewährleisten. Oder um gesetzliche Standards für das Internet oder die globalisierten Finanzmärkte umzusetzen: „All dies erfordert mehr Kooperation und Koordination auf globaler Ebene - oder zumindest auf der multinationalen Ebene.“ Das europäische Projekt ist nach Schäubles Worten „bei weitem das weltweit modernste Modell für diese Art globaler Regierungsführung - trotz seiner unbestreitbar schwerfälligen und komplizierten Verfahren“.

Unter dem Druck aktueller Ereignisse beginne Europa anzuerkennen, dass es seine Probleme effektiver lösen müsse, sagte Schäuble. Dies betreffe die Migrations-, Sicherheits- und Außenpolitik sowie die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Es gebe viele Anzeichen dafür, dass die aktuelle Flüchtlingslage nur ein Vorbote sei: „Wenn wir in der EU auf interne Grenzkontrollen verzichten wollen - und das ist für die europäische Einheit unentbehrlich - dann brauchen wir ein einheitliches Regime für unsere Außengrenzen“, sagte Schäuble. Nötig seien zudem eine einheitliche Asylpolitik und gemeinsame Standards. Europa muss Schäuble zufolge auch mehr für seine eigene Sicherheit tun. Neben dem vorgeschlagenen Europäischen Verteidigungsfonds sei eine gemeinsame Armee erforderlich mit eigenen Kommandostrukturen.

Schäuble sprach sich erneut für einen Reformschub aus. Es sei Konsens, dass alle Volkswirtschaften Strukturreformen angehen müssten, um ihre Produktivität und - in vielen Fällen - ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Es gebe weltweit keinen Mangel an Schulden oder Notenbank-Geld. Es gebe aber in vielen Ländern einen Mangel an Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, weil dort die nötigen Reformen nicht angegangen worden seien.

Dass „einige Teile Europas“ mit Problemen zu kämpfen hätten, liege nicht an den vereinbarten Regeln, sondern daran, dass diese Regeln nicht ordnungsgemäß umgesetzt würden. Deshalb müsse Europa auch weiter Druck auf nationale Regierungen ausüben, sagte Schäuble, ohne Euro-Krisenländer wie Griechenland zu erwähnen. Darauf mache er immer wieder aufmerksam, weshalb er wohl nicht der beliebteste Finanzminister in der Eurozone sei.

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