Mit "sie" sind ohnehin nur noch die wenigen Länder innerhalb der EU gemeint, die noch keine Verfechter der "illiberalen Demokratie" Orbanscher Prägung in der Regierung haben. In dieser Diskussion muss klar gesagt werden: Eine Demokratie ist liberal oder sie ist nicht. Denn die liberale Demokratie bringt den Vorzug der Demokratie überhaupt zum Vorschein: ständig im Diskurs an den besten Lösungen zu arbeiten. Und vor allem: eine Diktatur der Mehrheit abzuwehren, deren Anführer mit der Behauptung eines Volkswillens und der Anrufung eines angeblich gesunden Menschenverstandes, um Vielfalt zu ersticken. Ihre Behauptung eines einzigen, homogenen Volkswillens führt zur gewollten Spaltung der Gesellschaft und darüber hinaus dazu, nicht mehr mit seinen Nachbarn in einen interessenwahrenden und zugleich ausgleichenden Prozess gleichberechtigt einsteigen zu wollen.
Über diesen diffusen Volks-Begriff wird Europa von innen zerstört. Denn die viel gepriesenen Regionen, aus denen die EU besteht und die als Bollwerk gegen einen wiedererstarkten völkischen Nationalismus gedacht waren, sind der Hintereingang, durch den die Spaltung durch die Populisten auf die Bühne zurückkehrt: Im Zeitalter von Gruppen wie der Lega Nord in Italien oder eines politisierten Wiederstands in Katalonien gegen die Verfassungsordnung Spaniens zeigt sich, welch unversöhnliche Gefahr ein konsequenter Populismus wirklich ist. Homogenität ist eine Fiktion. Wer sie eisern behauptet, der fällt auf immer kleinere Räume zurück, von denen er diese Einheit behaupten kann. Einem Europa der Regionen wird der Garaus gemacht, wenn Regionen sich anderen Regionen gegenüber als überlegen erklären.
Man kann den Brexit - erwachsen aus der Spaltung, die die UKIP-Partei in England gesät hat - in diesem Sinne quasi als eine Kriegserklärung sehen: Indem man den Europäern sagt, dass man künftig lieber mit fernen Ländern als mit den eigenen Nachbarn zusammenarbeiten werde, wirft man den Fehde-Handschuh hin und erklärt, dass man zum ideologisch verbohrten Maximalvertreter eigener Interessen mutiert ist. Die internationale liberale Ordnung nämlich beruht darauf, dass man gleichzeitig Interessen wahren und auf Ausgleich bedacht sein muss, um am Ende in einem harmonischen Gebilde gemeinsam leben zu können. Das heißt, dass ein Ergebnis niemals nur ein "Win", und ein "first" ist. Nur in der vorpolitischen Welt des Urzustandes, denn es, nach der Meinung aller modernen politischen Philosophen zu überwinden gilt, herrscht Thomas Hobbes' “Krieg aller gegen alle”. Der geht so aus, dass ein stärkerer den nächsten schwächeren drangsaliert und quält. Eine solche Welt möchte Wladimir Putin, denn dann sind alle seine Gegner auf dem Niveau angekommen, auf dem sich Herrschaft und Machtausübung in Russland seit geraumer Zeit befinden. So weit nach unten gezogen, kann Putin gegen einen Gegner wie Europa nur gewinnen, denn hier spielt er nach den Regeln des Faustrechts, die er selber in seiner Oligarchie aufgestellt und erprobt hat.
Putin lenkt Russlands Politik seit 18 Jahren
Putin übernimmt die Führung des Landes von Boris Jelzin. Sein erstes Mandat ist geprägt vom Tschetschenien-Krieg und vom Vorgehen gegen Oligarchen. Der prominenteste Fall ist der des Ölmanagers Michail Chodorkowski.
Putin konsolidiert seine Macht. Auch der Personenkult festigt sich. Bei einer scharfen Rede in München 2007 zeichnet sich der Konflikt Russlands mit dem Westen ab.
Nach der Verfassung darf Putin nach zwei Amtszeiten nicht wieder kandidieren. Sein Vertrauter Dmitri Medwedew übernimmt und wird Präsident, Putin Regierungschef. 2012 vollziehen sie eine „Rochade“, Putin wechselt wieder an die Staatsspitze.
Putins Rückkehr in den Kreml wird überschattet von Massenprotesten, die schon nach der Parlamentswahl 2011 begonnen hatten und auch nach der Präsidentenwahl aufflammten. International steht sie im Zeichen der Krim-Annexion 2014 und der schärfsten Spannungen mit dem Westen seit dem Ende des Kalten Kriegs.
Donald Trump hingegen träumt davon, der Boss genau einer solchen Welt zu sein. Wie bizarr! Wo auch immer diese Neigung zum Diktatorischen, zum “starken Mann” bei ihm herkommen mag, sei dahingestellt. Es müsste ihm allerdings jemand einmal erklären, dass die USA bislang die andere Rolle gespielt hat, nämlich die des Weltpolizisten, des Guten. Die Rolle dessen, der die Ordnung garantiert und erhält, nicht die des Schurken. Das bedeutet, dass weder die USA des Donald Trump, noch die Europäer dieses Spiel Putins gewinnen werden. Am Ende dieses Kampfes soll es eine isolierte USA, ein zerstörtes Europa und ein siegreiches Russland geben.
Man befindet sich hier auf der Zielgeraden mit der Hilfe Donald Trumps. Der Handelskrieg, den er gerade mit der ganzen Welt anzettelt, wird die siechende Wirtschaft Russlands nicht weiter schädigen können. Für die USA und ihre Partner allerdings mit ihren internationalen, von den USA einst errichteten Regeln und Institutionen, bedeutet der Kurs heftige Verluste. Deutschland kämpft hier an vorderster Front. Und es kämpft ziemlich alleine für das Europa, dem es selbst viel zu verdanken hat. Stirbt die europäische Idee, dann stirbt alles, wofür die Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg gearbeitet haben. Es wäre die schlimmste geopolitische Katastrophe des 21. Jahrhunderts. Bis vor kurzem war es unvorstellbar, dass an einem solchen Tag im Oval Office die Korken knallen würden.