Großbritannien Theresa Mays Kampf an allen Fronten

Kurz wurde der Brexit in Großbritannien aus den Schlagzeilen verdrängt – ausgerechnet von einem Sex-Skandal. Theresa Mays Regierung droht in dem Strudel zu versinken. Die Premierministerin geht zur Vorwärtsverteidigung über.

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Die britische Premierministerin Theresa May greift hart durch. Quelle: dpa

London Theresa May hat nicht viel Zeit verloren. Vor gut einer Woche begann der Skandal um übergriffige Politiker, die Frauen – und Männer – in ihrem Arbeitsumfeld belästigt haben sollen. Am Montag traf sich die Premierministerin mit den Vorsitzenden der anderen Parteien zu einer Krisensitzung, um Konsequenzen zu ziehen. Es könne nicht sein, dass Belästigungsopfer in Westminster keine Anlaufstelle haben, sagte die konservative Politikerin. Man brauche einen formellen Prozess für Beschwerden.

„Was in den vergangenen Wochen ans Licht kam, ist zutiefst beunruhigend“, sagte May. „Viel zu lange konnten die Mächtigen ihre Macht missbrauchen und hatten ihre Opfer das Gefühl, nichts sagen zu können“.

Die Premierministerin hat sich an die Spitze der Aufklärer aufgesetzt, weil sie weiß: Der Skandal, der so unvermittelt losbrach, könnte ihrer Regierung den Rest geben. Ihre Mehrheit im Unterhaus ist so knapp, dass jeder Abgeordnetenrücktritt den Verlust der Macht etwas näher rücken lässt.

Der Skandal erschüttert den innersten Zirkel ihrer Regierung. Vizepremier Damian Green wird vorgeworfen, eine junge Journalistin am Knie berührt und mit einer anzüglichen Textnachricht belästigt zu haben. Auch sollen bei einer Razzia 2008 „extreme Pornos“ („Sunday Times“) auf seinen Bürocomputern gefunden worden sein. Green bestreitet die Vorwürfe vehement. Doch die Regierung hat eine Untersuchung eingeleitet. Dass Mays engster Vertrauter nun im Visier der eigenen Leute ist, zeigt, wie destabilisierend dieser Skandal bereits ist.

May habe eine miese Woche hinter sich, kommentierte BBC-Moderator Andrew Marr in seiner sonntäglichen Talkshow. Nach so einer Woche werde normalerweise Verteidigungsminister Michael Fallon in seine Show geschickt, um zu erklären, wie hervorragend es in der Regierung laufe. Das Problem dieses Mal: Fallon sei nicht mehr da.

Der Verteidigungsminister war vergangene Woche zurückgetreten, als sich die Vorwürfe gegen ihn häuften. Seine Kabinettskollegin Andrea Leadsom hatte sich über sexistische Sprüche beschwert, eine Journalistin berichtete von einem überfallartigen Kussversuch bei einem Interview. Einer weiteren Journalistin soll er beim Abendessen die Hand aufs Knie gelegt haben. All dies liegt mehrere Jahre zurück, offenbar gab es aber noch weitere Vorwürfe, die nicht öffentlich wurden. May zwang Fallon zum Rücktritt – als Beweis, dass sie einen Kulturwandel durchsetzen will.

„Es wurde gehandelt, wie Sie gesehen haben“, sagte die Premierministerin am Montag befriedigt. Ihr robustes Vorgehen hat ihr den Beifall anderer Politikerinnen eingebracht. Selbst die einflussreiche Labour-Ikone Harriet Harman, die sonst für Tories kein gutes Wort übrig hat, lobte die Premierministerin. Parteiübergreifend fordern Frauen in Westminster das „Ausmisten des Stalls“, wie die Vorsitzende der schottischen Konservativen, Ruth Davidson, es formulierte.

Die Liste der Abgeordneten, denen Belästigung vorgeworfen wird, wächst täglich. Gegen sechs konservative Abgeordnete und zwei Labour-Abgeordnete laufen parteiinterne Untersuchungen. Je ein Abgeordneter wurde von der Partei suspendiert, solange die Vorwürfe von der Polizei geprüft werden.

Einige männliche Abgeordnete beklagen eine „Hexenjagd“. Sie wurden von einem „Times“-Kolumnisten daran erinnert, dass es nie Hexen gab, übergriffige Männer hingegen schon. Die Premierministerin habe die Pflicht, das „ekelhafte Verhalten“ ihrer Vertrauten zu beenden, forderte die „Times“ in einem Leitartikel. Eine politische Kultur, in der eine Kussattacke auf eine Journalistin die Karriere eines Politikers beende, sei viel gesünder als die bisherige Lage. Der linke „Observer“ sekundierte, May sei genau die Richtige für den Job.

Am vergangenen Freitag hatte die konservative Partei einen neuen Verhaltenskodex für alle Funktionäre veröffentlicht. Darin heißt es: „Belästigung ist jegliches unerwünschte physische, verbale oder non-verbale Verhalten mit dem Ziel oder der Wirkung, die Würde einer Person zu verletzen oder eine einschüchternde, abwertende, demütigende oder beleidigende Situation oder Umgebung für sie zu schaffen.“ Und um keinerlei Zweifel zu lassen, ist der Satz hinzugefügt: „Ein einzelner Zwischenfall kann eine Belästigung darstellen.“

Es ist nicht das erste Mal, dass britische Politiker wegen Belästigungsvorwürfen in die Schlagzeilen geraten. Im Jahr 2013 warfen mehrere Frauen dem langjährigen liberaldemokratischen Parteimanager Lord Rennard Belästigung vor. Die Parteiführung musste sich vorhalten lassen, Rennard jahrelang gedeckt zu haben. Aus Mangel an Beweisen wurden schließlich alle Untersuchungen eingestellt.

Dieses Mal hingegen scheint die Debatte Wirkung zu zeigen. Nicht nur rechnen Beobachter mit weiteren Rücktritten. Auch das Arbeitsrecht im Parlament könnte reformiert werden: Bisher können Abgeordnete ihre Mitarbeiter selbst einstellen und feuern. Das gibt ihnen unmittelbare Macht. So, sagt Premierministerin May, könne es nicht weitergehen.

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