Hochqualifizierte Warum die Leistungsträger auswandern

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Der Volkswirt Wulf Goretzky hat 17 Jahre lang in 40 Ländern der Welt gearbeitet Quelle: Hans Scherhaufer für WirtschaftsWoche

Das bedeutet aber nicht, dass sich die Politiker zurücklehnen können: „Denn wir gewinnen nicht genug hoch Qualifizierte, um die Engpässe etwa bei Ingenieuren oder Informatikern kompensieren zu können“, sagt Koppel. Das IW schlägt vor, das Einwanderungsrecht um ein Punktesystem zu ergänzen, mit dem Deutschland den Zuzug von Ausländern bedarfsgerechter steuern kann. Im Gegensatz zu sehr eng gefächerten Punktesystemen wie in Australien empfiehlt das IW, generell Akademikern die Einwanderung und Ansiedlung zu erleichtern. Wichtig sei zudem, den bereits Zugewanderten mehr Bildungschancen zu eröffnen und sie besser zu integrieren.

Das ist bitter nötig. Immer mehr Einwanderer werden zu Auswanderern. Kamuran Sezer, Chef des Krefelder Forschungsinstituts futureorg, sorgte jüngst für Schlagzeilen, als er Zwischenergebnisse einer Umfrage unter 250 türkischen und türkischstämmigen Akademikern veröffentlichte. 38 Prozent gaben an, dass sie in die Türkei auswandern wollen. „Ein wichtiger Grund ist offenbar, dass sie sich in Deutschland nicht heimisch fühlen“, sagt Sezer.

Erick Tambo von der Uni Dortmund kennt dieses Gefühl. Der Informatiker stammt aus Kamerun, promoviert an der Fernuni Hagen und berät in Dortmund ausländische Studierende. Zwar habe sich die Rechtsprechung gebessert, aber nach dem Studium ziehe es viele Ausländer trotzdem in andere Länder. „Die Ausländerbehörden“, sagt Tambo, „vermitteln oft das Gefühl, dass man nicht erwünscht ist.“ Er überlegt ebenfalls, Deutschland nach der Promotion zu verlassen – nach Kanada.

Bundesländer belohnen Rückkehrer

Während ausländische Akademiker auf gepackten Koffern sitzen, konzentrieren sich Politiker darauf, fahnenflüchtige deutsche Wissenschaftler wieder einzufangen. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen belohnen Rückkehrer mit Fördermitteln für den Aufbau einer Forschungsgruppe. Stiftungen und Unternehmen bauen Brückenköpfe wie die German Scholars Organization, um den Kontakt zu deutschen Wissenschaftlern in den USA zu pflegen, oder loben Professuren aus.

Solche Initiativen sind wichtig. Zumal die Hochschulen im wohl größten Reformprozess ihrer Geschichte stecken. Viele Neuerungen, etwa die Autonomie, sind nach Meinung von Experten sinnvoll, doch die ohnehin schon zerfranste Hochschullandschaft wird dadurch nicht übersichtlicher. Die Bestimmungen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Deutsche Forscher, die im Ausland arbeiten, blicken kaum noch durch.

Die Probleme dagegen sprechen sich schnell herum: Das Rekrutieren von Professoren ist langwierig, die Bezahlung lausig. Ein Professor der Besoldungsstufe W2 verdient nicht mehr als ein Realschullehrer. Noch dazu deckelt der sogenannte Vergaberahmen die Professorengehälter an einer Hochschule. Dies hat zur Folge, dass sich die Professoren einen teuren, aber guten Kandidaten aus dem Ausland oft nicht leisten wollen, weil die Verpflichtung die eigenen Gehaltsperspektiven verschlechtert.

In anderen Ländern sind die Hochschulen nicht so knauserig. Aufstrebende Nationen wie Indien und China drängen auf den internationalen Bildungsmarkt und saugen mit viel Geld gute Wissenschaftler ab. „Überall in der Welt“, sagt Georg Schütte, Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung, „bilden sich Enklaven der Spitzenforschung, alle machen Jagd auf die besten Köpfe.“

Auch auf die Deutschen.

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