Die Großoffensive zur Rückeroberung von Mossul ist erst seit einigen Tagen im Gange. Aber schon hat sich ein Graben zwischen dem Irak und der Türkei verbreitert, ist das Misstrauen zwischen den verschiedenen Kräften, die dem Islamischen Staat die Stadt entreißen wollen, wieder aufgewallt.
Die Rhetorik auf beiden Seiten heizt sich auf. Der irakische Regierungschef Haidar al-Abadi und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan haben Beleidigungen ausgetauscht. Und am Dienstag demonstrierten Tausende Anhänger des schiitischen Geistlichen Moktada al-Sadr vor der türkischen Botschaft in Bagdad, forderten ein Ende der türkischen „Besatzung“.
Sie bezogen sich auf die etwa 500 türkischen Soldaten, die sich auf einem Stützpunkt nördlich von Mossul befinden und seit Dezember sunnitische und kurdische Kämpfer ausgebildet haben. Die Bagdader Regierung sagt, dass sich die Soldaten dort unerlaubt aufhalten und hat ihren Abzug gefordert. Aber Ankara weigert sich, betont, dass die Truppe bei der Befreiung von Mossul eine Rolle spielen werde.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Die Türkei hat enge Verbindungen zu Kurden-Präsident Massud Barsani, was vielleicht erklärt, wie es überhaupt zur Stationierung der Soldaten auf dem Stützpunkt kam. Die Kämpfer, die von ihnen ausgebildet werden, sind kurdische Gefolgsleute von Barsani und sunnitische Anhänger von Athil al-Nudschaifi, dem früheren Gouverneur der Provinz Ninive, deren Hauptstadt Mossul ist.
Ein irakisches Gericht hat diese Woche einen Haftbefehl gegen Al-Nudschaifi ausgestellt. Es wirft ihm vor, widerrechtlich den Einzug türkische Kräfte ermöglicht zu haben.
Beide, Barsani und Al-Nudschaifi, wollen größere Autonomie von der schiitisch-dominierten Regierung erreichen. Sie haben sich damit den Zorn von staatlich sanktionierten Schiiten-Milizen zugezogen, die vom Iran gestützt werden.
Jetzt sind alle diese unterschiedlichen Gruppen um Mossul versammelt und sind Teil der größten Militäroffensive, die der Irak seit der US-geführten Invasion 2003 gestartet hat.
Die Türkei hat historische Verbindungen zu Mossul, die Jahrhunderte zurückreichen. Sie betrachte sich angesichts der sunnitischen Mehrheit der Einwohner und einer großen türkischen Gemeinschaft in der Stadt als ihre Beschützerin, erläutert Fadi Hakura von der Denkfabrik Chatham House.
Schiiten und Sunniten
Mit dem Tod des Propheten Mohammed im siebten Jahrhundert spaltete sich die muslimische Gemeinschaft. Grund war die Frage der Nachfolge des Propheten. Eine Minderheit verlangte, dass der Nachfolger aus der Familie Mohammeds stammen müsste und wählte seinen Vetter Ali aus. Sie wurden „Schiat Ali“ genannt – Partei Alis. Daraus entwickelte sich später der Begriff Schiiten. Sunniten leitet sich von der Sunna ab – den Überlieferungen des Propheten.
Die Schiiten fühlen sich als Opfer der Sunniten. In den meisten Ländern stellen sie eine Minderheit dar. Es gibt aber Ausnahmen wie den Irak und den Iran. Im Irak waren die Schiiten, obwohl sie zweidrittel der Bevölkerung darstellten, bis zur Besetzung durch die USA eine unterdrückte Minderheit. Während des Regimes von Saddam Hussein waren sie weder in den Geheimdiensten noch im Militär, den Elite-Truppen oder der politischen Elite in großer Zahl vertreten. Die Sunniten, die nur 20 Prozent der Bevölkerung ausmachten, hatten die Macht inne. Der Iran sieht sich als Interessenvertreter der Schiiten.
Die Sunniten lehnen die Heiligenverehrung und den Märtyrerkult der Schiiten ab. Das Königreich Saudi-Arabien sieht sich als Schutzmacht der Sunniten. Zu den Sunniten zählen auch die Salafisten, die eine Rückkehr zu einem fundamentalistischen Ur-Islam anstreben und einen Gottesstaat errichten wollen. Auch die Kämpfer des Islamischen Staats und die Mitglieder der Muslimbruderschaft sind Sunniten.
Weltweit sind 90 Prozent der Muslime Sunniten – was aber nicht heißt, dass sie allesamt Salafisten oder Vertreter anderer radikaler Auslegungen des Islams sind. Die radikalen Gruppen gehören zu einer Minderheit, die das Bild des Islams prägt.
„Die Türkei befürchtet, dass die von Schiiten dominierte Zentralregierung das demografische Gleichgewicht ändert, wenn der Islamische Staat aus der Stadt vertrieben worden ist.“
Türkische Verbündete weisen auf die engen Bagdader Verbindungen zu Ankaras regionalem Rivalen Iran hin. Es sind zwar offenbar keine iranischen Militärkräfte im Land, aber Teheran sponsert eine Reihe mächtiger Milizen.
Die Türkei hat auch ihr Engagement im Syrien-Krieg verstärkt. Türkische und verbündete syrische Kräfte der Opposition bekämpfen dort sowohl den IS als auch syrische Kurden, die von den USA unterstützt werden.
So haben türkische Flugzeuge am Mittwoch kurdische Einheiten im Norden Syriens angegriffen. Nach Angaben staatlicher Medien wurden bis zu 200 Kämpfer getötet, auf kurdischer Seite hieß es, anfängliche Berichte deuteten auf allenfalls zehn Tote hin. Allerdings hielten die türkischen Angriffe auch am Donnerstag an. Ankara betrachtet die syrisch-kurdischen Kräfte als verlängerten Arm der kurdischen Rebellen im Südosten der Türkei.
Erdogan verteidigte am Mittwoch die Präsenz seiner Soldaten im Irak, betonte, dass dies nichts mit „Kriegsschüren“ oder einer Verletzung der irakischen Souveränität zu tun habe. „Wir wollen überall dort präsent sein, wo wir sein müssen, um unsere Freiheit und Zukunft zu schützen“, sagte er. „Dieser Ort ist derzeit Mossul.“
Das klang bei weitem weniger giftig als Äußerungen in der vergangenen Woche, als Erdogan Al-Abadi zu verstehen gab, dass dieser nicht in seiner Liga spiele. „Sie sind nicht mein Partner, Sie sind nicht auf meiner Ebene, Sie sind mir nicht gleichgestellt, und Sie haben nicht die Qualität, die ich besitze“, tönte Erdogan. „Ihr Geschreie im Irak hat keine Bedeutung für uns. Sie sollten wissen, dass wir unseren eigenen Weg gehen werden.“
Al-Abadi machte sich als Antwort darüber lustig, dass sich Erdogan während des Putschversuches im Juli in der Türkei mit Hilfe einer Video-App auf seinem Handy an die Öffentlichkeit gewendet hatte.
Die als Verletzung der irakischen Souveränität verstandene türkische Truppenpräsenz und der Krieg der Worte haben den Regierungschef in eine schwierige Lage gebracht. Seine schiitische Basis fordert, dass er handelt, und seine politischen Rivalen trommeln damit, dass die Untätigkeit der Regierung ein Zeichen der Schwäche sei.
Dabei kann sich Al-Abadi einen offenen Konflikt mit einem mächtigen Nachbarn kaum leisten, ausgerechnet jetzt, da seine Truppen die zweitgrößte Stadt des Landes vom IS zu befreien versuchen. Irakische und türkische Vertreter haben Gespräche über eine Lösung der Krise geführt, aber bisher keine Einigung erzielt.
Wohl auch, um weitere Spannungen zu verhindern, hat die Regierung betont, dass weder die kurdischen Peschmerga noch Schiiten-Milizen selber Mossul betreten würden. Was heißt, dass der direkte Städtekampf Regierungstruppen und Polizeikräften überlassen werden soll.
Abu Mahdi al-Muhandis, Chef der „Volksmobilisierungseinheiten“, einer Dachorganisation der meisten Schiiten-Milizen, hat versichert, dass er die Entscheidung der Regierung, den Konflikt mit der Türkei friedlich zu lösen, achten werde.
Al-Nudschaifis Sunniten-Milizen könnten sich als problematischer erweisen - ihr Anführer etwa einen heroischen Einzug in Mossul zu inszenieren versuchen, um sich seine Rückkehr ins Gouverneursamt nach den nächsten Provinzwahlen zu sichern. Und das könnte Al-Abadis politischen Tod bedeuten.