Jens Stoltenberg "Die Nato will keine Konfrontation mit Russland"

Im Konflikt mit Russland unterstützt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die politische Strategie von Angela Merkel. In Berlin zeigte er, warum er dennoch unbequem für die Kanzlerin sein kann.

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Am Mittwoch kam Jens Stoltenberg zu seinem Antrittsbesuch nach Berlin. Quelle: AP

Ein Scharfmacher, der außer Kontrolle geraten ist. Immer häufiger wurde im vergangenen Jahr mit solchen Beschreibungen über den Nato-Generalsekretär gesprochen. Besonders in der Ukraine-Krise habe der oberste Vertreter des Nordatlantikpaktes keine gute Figur gemacht. Zu oft habe er die Kriegsrhetorik bemüht und deshalb zu wenig erreicht. Diese Bilanz stritten nicht mal die ab, die es sonst gut mit ihm meinten.

Die Rede ist vom Dänen Anders Fogh Rasmussen, der bis zum September 2014 Generalsekretär der Nato war. Nun steht der Norweger Jens Stoltenberg an der Spitze des Verteidigungsbündnisses. Am Mittwoch kam der frühere norwegische Ministerpräsident zu seinem Antrittsbesuch im neuen Job nach Berlin.

Während Rasmussen immer mal wieder laut über militärische Optionen gegen Russland nachdachte, bemüht sich sein Nachfolger um weniger aggressive Töne. „Die Nato will keine Konfrontation mit Russland“, sagte Stoltenberg in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). In der Ukraine-Frage will Stoltenberg aber nicht nachgeben. Er forderte Moskau dazu auf, die Kernwerte Europas zu akzeptieren. Dazu gehöre es, die Souveränität aller europäischen Staaten zu respektieren, also auch der Ukraine.

Stoltenberg erinnerte in Berlin an seine Zeit als norwegischer Premierminister. „Wir hatten damals eine sehr konstruktive Zusammenarbeit mit Russland.“ Daran will er nun anschließen. Das Problem ist nur: Damals vertrat er ein Land mit fünf Millionen Einwohnern, heute sind es 28 Nato-Mitgliedsstaaten – von den Vereinigten Staaten von Amerika bis hin zur Türkei. Wie viel politischen Spielraum Stoltenberg gegenüber Moskau hat, hängt maßgeblich von Washington, Paris, Berlin, Warschau und Ankara ab.

Ob und wann die Ukraine Mitglied der Nato werden könnte, ließ der Generalsekretär offen. „Bislang hat das Land die Mitgliedschaft nicht beantragt. Wir werden einen solchen Antrag dann bewerten, wenn er vorliegt.“

Im Dezember hatte die Ukraine ihren Status als blockfreien Staat aufgegeben. Theoretisch könnte Kiew nun jederzeit um Aufnahme in die Nato bitten. Viele europäische Regierungschefs haben daran aber keinerlei Interesse, da dies die Krise mit Moskau deutlich verschärfen würde. Auch Kanzlerin Merkel lehnt eine Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine ab.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine

Stoltenberg erteilte der Ukraine zwar keine direkte Absage, allerdings formulierte er kaum erreichbare Bedingungen für eine Mitgliedschaft. Nur offene und demokratische Gesellschaften würden in die Nato aufgenommen werden. Je nach politischer Bewertung könnte Kiew dieses Kriterium wohl erfüllen. Das zweite aber gewiss nicht.

„Ein Mitgliedsland muss einen Beitrag dazu leisten können, die Sicherheit Europas zu gewährleisten“, sagte Stoltenberg. Derzeit herrscht Bürgerkrieg in der Ukraine. Die Separatisten im Osten kämpfen mit Unterstützung Moskaus für ihre Unabhängigkeit. Die Ukraine ist nicht in der Lage, seine eigene Sicherheit zu gewährleisten. Noch viel weniger könnte das Land zur europäischen Stabilität beitragen. Im Gegenteil: Wäre die Ukraine Nato-Mitglied müssten die anderen 28 Staaten die Ukraine verteidigen – im Zweifel auch gegen Russland. Ein undenkbares Szenario, das eine Mitgliedschaft der Ukraine auf lange Zeit unmöglich macht.

Stoltenberg forderte in Berlin zum wiederholten Mal eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben der 28 Mitgliedsstaaten. „Die Sicherheitslage ändert sich, und wir müssen uns darauf einstellen.“ Während die Nato in den vergangenen fünf Jahren ihre Militärausgaben um 20 Prozent verringert habe, gebe Russland immer mehr Geld für seine Streitkräfte aus. „Jetzt ist die Zeit für eine Veränderung gekommen.“

Die Nato-Mitglieder haben sich zum Ziel gesetzt, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Allerdings erfüllen nur wenige Länder dieses Ziel – darunter die USA und Großbritannien. Deutschland gibt nur 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für seine Streitkräfte aus. „Wenn es um die Zukunft der Verteidigung geht, richten wir unseren Blick auf Deutschland“, sagte Stoltenberg in Richtung Merkel.

Das zeigt: Ein Nato-Generalsekretär kann auch ohne Kriegsrhetorik und Scharfmacherei unbequem sein.

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