Krise in Ägypten Kein Zucker, keine Perspektive

Die Wirtschaft liegt am Boden, Lebensmittel sind knapp: In Ägypten brodelt es mal wieder. Um Milliarden vom IWF zu bekommen, akzeptiert Präsident Sisi die harten Sparvorgaben – und unterdrückt die Proteste der Bürger.

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Hier geht es nicht weiter: Sicherheitskräfte sperren den Tahrir-Platz in Kairo, um Proteste zu verhindern. Quelle: Reuters

Tel Aviv Die Ägypter sind wütend und erbittert. Zucker ist knapp, Getreide kaum erhältlich, Benzin massiv teurer geworden. Subventionen auf Lebensmitteln sind gekürzt oder gestrichen. In sozialen Medien wurde zu Massendemonstrationen aufgerufen, die am 11. November hätten stattfinden sollen. Die Muslimbrüderschaft wittert ihre Chance, an die Macht zurückzukehren. 

Doch Präsident Abdel Fattah el-Sisi wehrt den Anfängen. In Kairo und in anderen Großstädten unterdrücken Sicherheitskräfte die Demonstrationslust. So ließ Sisi am Freitag die Metrostation am Tahrir-Platz im Herzen der Hauptstadt schließen – dort, wo vor fünf Jahren der Aufstand gegen den damaligen Präsidenten Hosni Mubarak begonnen hatte. Maskierte Polizisten mit Sturmgewehr besetzten den Platz. 

Im ganzen Land, von Alexandria am Mittelmeer bis Zagazig in Unterägypten, dominieren Uniformierte die Szene. Denn Sisi hat guten Grund, nervös zu sein. Die nächsten Wochen könnten entscheidend sein für das Überleben seines Regimes. In zwei Jahren finden die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Will er sie gewinnen, muss er jetzt Strategien gegen die Wut der Bürger entwickeln und durchsetzen. Sonst drohe in den nächsten Monaten ein neuer Volksaufstand, sagen Experten voraus.

Der Präsident, meint zum Beispiel der israelische Ägyptenexperte Yoram Meital, müsse sich entscheiden. Um sein Regime zu retten, könne Sisi entweder die Polizeistaatsmethoden verschärfen und seine politischen Gegner unterdrücken. Oder er könne Demonstrationen zulassen und die Bürger in die Politik einbeziehen.

Sicher ist bloß: Die Wirtschaftskrise zwingt ihn zu raschem Handeln. Nachdem sich Sisi während Monaten geweigert hatte, die Bedingungen des International Währungsfonds (IWF) zu akzeptieren, hat Kairo jetzt das Diktum akzeptiert. Dem Nilland wird ein Kredit von rund zwölf Milliarden gewährt.

Die schwer angeschlagenen Ökonomie erhält damit zwar wirtschaftlich etwas Luft. Aber die vom IWF verlangten Sparmaßnahmen erhöhen die politischen Spannungen. Experten wie Meital warnen: „Ägyptens Präsident Sisi geht ein hohes Risiko ein.“ Allerdings bleibe ihm keine andere Wahl, als die IWF-Bedingungen zu akzeptieren, nachdem der saudische Geldsegen versiegt ist. Jetzt könne das Regime nur noch auf ein Wunder hoffen, um zu überleben.

Dass Ägypten auf Gelder aus dem Ausland angewiesen ist, um wirtschaftlich zu überleben, ist nicht neu. Aber nach dem Sturz des Langzeitpräsidenten Hosni Mubarak im Jahr 2011 ist die Abhängigkeit weiter gestiegen. Imageprobleme der Tourismusindustrie, weniger Überweisungen ägyptischer Fremdarbeiter am Golf und eine enttäuschende Entwicklung am Suezkanal haben dazu geführt, dass seit dem Sturz Mubaraks die Hälfte der Währungsreserven abgeflossen ist.


Sparkurs verschärft die Armut

Sisi konnte anfänglich auf die Hilfe Saudi Arabiens und anderer Golfstaaten zählen. In den vergangenen zwei Jahren überwiesen sie rund 30 Milliarden Dollar nach Kairo, um Ägyptens Ökonomie vor dem Kollaps zu retten. Selbstlos war die Hilfe freilich nicht. Vor allem Saudi Arabien wollte seinen wichtigsten Partner in der Region nicht im Stich lassen.

Doch Riad wurde von Sisi enttäuscht. Statt wie Saudi-Arabien den Sturz des syrischen Präsidenten voranzutreiben, sieht der Politiker im Fortbestehen des Assad-Regimes die Lösung der syrischen Krise. Statt im Jemen auf Seiten Saudi-Arabiens zu kämpfen, beschränkt sich Kairo auf logistische Hilfe. Statt dem wachsenden Einfluss Teherans in der Region entgegenzuwirken, ist der ägyptische Präsident an guten Beziehungen zu den Ayatollahs interessiert. Und weil er vom Westen beschuldigt wird, Menschenrechte zu verletzen und ein diktatorisches Regime aufzuziehen, sucht er die Nähe zu Moskau. So bestellte er neulich bei Russlands Wladimir Putin KA-52 Angriffshubschrauber.

Für Sisis außenpolitischen Kurs muss Ägypten einen hohen Preis bezahlen. Vor zwei Monaten kürzte Riad die Hilfe massiv. Weil damit auch das subventionierte saudische Öl wegfiel, musste Sisi auf die knappen Währungsreserven zurückgreifen, um das Öl zu Weltmarktkreisen zu beschaffen.

In der Not wandte sich Sisi an den IWF. Nachdem er während mehr als zwei Jahren nichts von Wirtschaftsreformen hatte wissen wollen, bleibt ihm jetzt keine andere Wahl, als die Bedingungen zu akzeptieren. Er befahl die Einführung der Mehrwertsteuer, erhöhte den Benzinpreis und die Stromtarife, um die Staatskasse vor dem Ruin zu retten. Zudem setzt er jetzt die bisher überbewertete Landeswährung den Marktkräften aus. Der bisher fixe offizielle Wechselkurs des ägyptische Pfunds stürzte ab und verlor 50 Prozent seines Wertes. Weil das die Importe verteuern wird, ist mit einem starken Inflationsschub zu rechnen.

Für die Bürger, von denen rund 40 Prozent pro Tag lediglich zwei Dollar zur Verfügung haben, ist die IWF-Medizin zwar bitter; sie wird die Armutsprobleme verschärfen. Mit der Umsetzung der IWF-Reformen hofft Sisi aber, Vertrauen in die ägyptische Wirtschaft aufzubauen.

Doch den Investoren sei das nicht genug, sagt Samer Atallah, Ökonomieprofessor an der American University in Kairo. Sie zweifeln nämlich am wirtschaftlichen Sachverstand Sisis und fordern zum Beispiel Informationen über den Verbleib der 30 Milliarden Dollar, die Saudi Arabien und andere Golfstaaten nach Ägypten überweisen haben. Sie würden auch gerne wissen, weshalb die von Sisi einst hoch gelobte Erweiterung des Suezkanals zum wirtschaftlichen Flop wurde.

Kurz: Die mangelnde Transparenz, so ein westlicher Diplomat in Kairo, werde Investoren weiterhin abschrecken – IWF-Reformen hin oder her. Zudem befürchten Wirtschaftshistoriker eine Wiederholung der 1977er Jahre. Damals hatte Anwar Sadat auf Druck der Weltbank das Pfund ebenfalls abgewertet und Subventionen gekürzt. Doch als die Masse dagegen protestierte und, machte Sadat die Reformen nach weniger Tagen wieder rückgängig.

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