Nordkorea Warum Diktatoren mit dem Säbel rasseln

Nordkorea droht der Weltmacht USA mit einem Atomschlag und erklärt Südkorea den Krieg. Ist das nicht völliger Wahnsinn? Nein. Wie viele Diktatoren vor ihm nutzt der junge Kim Jong Un die martialische Außenpolitik, um sich Legitimität im Innern zu verschaffen – und die ist nötig, wenn er sein Land in eine Zukunft führen will.

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Die übelsten Diktatoren der Welt
Kim Jong-Un Quelle: dapd
Gurbanguly Berdymuchammedow Quelle: REUTERS
Teodoro Obiang Quelle: REUTERS
Nursultan Nasarbajew Quelle: dpa/dpaweb
Paul Kagame Quelle: dapd
König Mswati III. Quelle: REUTERS
Islam Karimow Quelle: REUTERS

Rational betrachtet, scheint auf Nordkoreas Kim Jong Un nur eine Diagnose zuzutreffen: Der dicke Diktator mit Doppelkinn und Miesepeter-Gesicht muss verrückt geworden sein. Jedenfalls lässt sich nach westlicher Logik nicht erklären, wie der frisch gebackene Staatschef eines kleinen und verarmten Landes solch ein Vabanque-Spiel betreibt: Kim Jong Un kündigt den Waffenstillstand mit dem doppelt so viele Einwohner zählenden Südkorea, sein Schein-Parlament genehmigt einen atomaren Schlag für den Fall amerikanischer „Provokationen“, zwischendurch wirft er westliche Botschafter aus dem Land, darunter auch den deutschen. Der Wahnsinn kennt keine Grenzen mehr.

Dennoch bleiben die Adressaten der vermeintlichen Aggression erstaunlich cool: Von Hamsterkäufen und Panik ist aus Südkoreas Hauptstadt Seoul nichts zu hören, die Supermacht USA hält sich mit verbalen wie militärischen Drohgebärden auffällig zurück. Man kennt das Spiel von den Vorgängern des 30-Jährigen. Vor allem sein dauergrinsender Opa Kim Il-sung hatte die ideologischen Gegner immer mal wieder provoziert – und sich dann den verbalen Frieden mit Wirtschaftshilfe gut bezahlen lassen. Diesmal indes ist die Lage eine andere.

Wer die Motive des jungen Kim Jong Un ergründen will, muss sich in die Handlungslogik von Autokraten und Diktatoren hineinversetzen, was einem in Europa ganz recht schwer fällt. Dabei zeigten sich in der DDR-Geschichte und mehr noch im postsowjetischen Raum durchaus ähnliche Mechanismen: Frisch gebackene Autokraten, die über Klüngel statt Können an die Macht gekommen sind, neigen zu Selbstinszenierung und Symbolpolitik: Ins Innere soll eine Aura der Stärke wirken und die brüchige Macht konsolidieren helfen; die Außenwirkung ist sekundär.

Ein Krieg ist hierbei besonders hilfreich. Wladimir Putin hat derer gleich zwei geführt, als er im August 1999 zunächst als Premierminister und wenige Wochen später als Präsident im krisengeschüttelten Russland übernahm. Militärisch kämpfte er gegen islamistische Separatisten in Tschetschenien, mit politischen Drohungen und steuerpolizeilichen Attacken drängte er die Oligarchen aus den Moskauer Machtzentren zurück. Im Kontrast zur politisch chaotischen Jelzin-Zeit, die mit dem ökonomischen Niedergang Russlands einherging, steht Putin bis heute vor der „einfachen“ Bevölkerung als souveräner Führer da, der sein Land mit harter Hand durchregiert.

Neben entschlossenem Auftreten spielt auch die eindeutige Symbolpolitik eine Rolle bei der Konsolidierung der Macht im Innern. Als Zahnarzt Gurbanguly Berdymuchammedow, bis dahin Leibarzt des verstorbenen Präsidenten, Anfang 2007 neuer Staatschef im isolierten Ölland Turkmenistan wurde, ließ er sein Land erst einmal ausmisten: Die goldene Statue seines überlebensgroßen Vorgängers, das sich im Lichte der Sonne drehte, wurde auf Geheiß des neuen Präsidenten vom Sockel entfernt. Seither inszeniert sich der Alleinherrscher als Volkstribun anstelle des Alten, sein Antlitz bedeckt haushoch diverse Gebäudefassaden im Land.

Die Symbolik wirkt stärker im Totalitarismus

In abgeschotteten Gesellschaften wie Turkmenistan verfängt solche Symbolik viel leichter als in relativ liberalen Autokratien wie Russland – erst Recht dann, wenn die Kraft des Totalitarismus wirkt. Nach jahrzehntelanger Indoktrination bei geschlossenen Grenzen wird das Gros der Bevölkerung im Norden Koreas tatsächlich immer noch glauben, dass ihr „System“ dem des Westens überlegen ist. Es fehlt schlicht an Erfahrungen mit alternativen Lebensweisen, die kritische Einstellungen bewirken könnten. Insofern dürften die Tränen echt gewesen sein, die die Nordkoreaner beim Tod ihres „Führers“ Kim Jong-il im Dezember 2011 zu Hunderttausenden vergossen hatten.

Der neue Diktator sitzt längst nicht fest im Sattel. Also muss er sich im Innern Respekt verschaffen. Mit seiner Kriegsrhetorik gegen die USA bedient er das Feindbild des Westens, das in Nordkorea bis heute intakt ist. Das medial inszenierte Säbelrasseln mit Atomtests, Militäraufmärschen und spitzen Attacken gegen den Klassenfeind im Westen sollen die Nation geschlossen hinter dem „großen Führer“ versammeln.

Die Kriegsrhetorik ist ein großer Bluff – gegenüber der eigenen Bevölkerung ebenso wie gegenüber dem Westen. In Washington und Seoul freilich ist man sicher, dass Kim Jong Un weder militärisch noch ökonomisch zu einem Kräftemessen mit dem Westen in der Lage ist. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Nordkoreas ist Schätzungen zufolge 600-mal kleiner als das der USA, auch wenn Pjöngjang prozentual sicher noch mehr Geld in der Rüstung verbrennt.

Überhaupt liegt Nordkorea ökonomisch am Boden. Weite Teile der Bevölkerung sind verarmt, von funktionierenden Industrien ist nichts bekannt. Allein die Einnahmen aus dem Transit von russischem Erdgas durch eine Pipeline, die Moskau durch Nord- nach Südkorea betreiben will, könnten das BIP des Landes um bis zu fünf Prozent erhöhen. Was heißt, wie ausgeblutet das kleine Land im Fernen Osten ist.

Als Kim Jong Un im vergangenen Jahr seine ersten Praxis-Übungen als Diktator machte, war viel von Öffnung und internationaler Wirtschaftskooperation zu hören. Anders, da sind sich Experten in West wie Ost einig, hat Nordkorea ohnehin keine ökonomische Zukunft in Zeiten der Globalisierung. Gut möglich, dass sich dessen auch der junge Diktator Kim Jong Un bewusst ist. Aber ebenso wird er wissen: Wenn die Bevölkerung nicht hinter ihm steht, wird er keine Legitimität für Reformen besitzen.

Insofern ist wahrscheinlich, dass sich der junge Diktator jetzt den generellen Respekt verschafft, den er für einen souveränen Reformkurs braucht – in der Hoffnung, dass ihm das die USA und Südkorea abnehmen.

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