Parlamentswahl in Kolumbien Kolumbianische Wahl am Sonntag im Zeichen von Gewalt und Intoleranz

In Kolumbien treten die ehemaligen Rebellen der FARC bei der Parlamentswahl an. Kandidaten werden bei Wahlauftritten beschossen und beschimpft.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
„Gana la gente“: Gewinnt wirklich das Volk? Vor der Parlamentswahl in Kolumbien liegen die extremen politischen Parteien vorne – mal wieder. Quelle: Reuters

Mexiko-Stadt Wahlkampf in Kolumbien ist mitunter eine Frage von Leben und Tod – auch in diesen Tagen. Im ganzen Land werden Kandidaten für die Parlamentswahl am Sonntag ausgebuht, mit Steinen beworfen, mit Macheten angegriffen und sogar beschossen. Wenn alle Bewerberinnen und Bewerber den Tag der Abstimmung unbeschadet erleben, muss man wohl schon von einem Erfolg sprechen. Selten war die Kampagne zur Neubesetzung von Senat und Abgeordnetenkammer in Bogotá so sehr von Gewalt gegen Kandidaten und politischer Intoleranz überschattet wie in diesem Jahr.

„Es sind die ersten Wahlen seit langem weitgehend ohne die Bedrohung bewaffneter Gruppen, weil die FARC-Guerilla die Waffen niedergelegt hat. Aber dennoch sind es die aggressivsten und gewalttätigsten seit vielen Jahren“, sagt der Friedensforscher Ariel Ávila. Siebzehn Angriffe und Gewalttaten gegen Politiker hat der Vize-Direktor der Stiftung für Frieden und Versöhnung gezählt, davon alleine drei am vergangenen Wochenende. Es sei absurd, dass die politische Gewalt gerade in den Zeiten steige, in denen der Frieden zum Greifen nahe sei.

Aber wenn man bedenkt, dass vor allem linke Bewerber und Aspiranten der Ex-Guerilla mit ihrer Partei „Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común“ (FARC) im Fadenkreuz stehen, ergibt es wieder Sinn. Viele Kolumbianer lehnen die Rebellen als Politiker ab. Sie missgönnen ihnen, dass sie unabhängig vom Ergebnis am Sonntag auf alle Fälle fünf Sitze im Senat und weitere fünf in der Abgeordnetenkammer erhalten werden. So ist es im Friedensvertrag von Havanna festgehalten. Organisierte Gewaltakteure und ultra-rechte Paramilitärs nutzen die Stimmung gegen die FARC für ihre Zwecke.

Und so haben die Ex-Rebellen ihren Wahlkampf nach Eier- und Steinwürfen sowie Angriffen mit Schlagstöcken mittlerweile weitgehend in die sozialen Netzwerke verlegt. Zudem wurde Spitzenkandidat Rodrigo Londoño, früher als FARC-Führer „Timochenko“ bekannt, gerade am Herzen operiert. Daraufhin gab die FARC-Partei am Donnerstag ihren Rückzug aus dem Präsidentschaftswahlkampf bekannt.

Die Abstimmung am heutigen Sonntag ist nur das Vorspiel zu einer weit wichtigeren Entscheidung: Am 27. Mai wählen die Kolumbianer den Nachfolger von Präsident und Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos. Aber die Parlamentswahl jetzt gibt die Richtung vor, wer am Ende siegen könnte. In den Umfragen führen die Kandidaten der Extreme. Ganz vorne liegt der frühere linke Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá, Gustavo Petro von der Partei „Colombia Humana“, mit einem Anti-Establishment-Diskurs. Ihm folgt Ivan Duque, Kandidat der ultra-rechen Partei „Centro Democrático“. Er gilt als Marionette von Ex-Präsident Álvaro Uribe, der den Friedensprozess mit den FARC rückgängig machen will.

In diesem Klima der Extreme bleibt wenig Platz für Argumente und wichtige Themen wie die Wirtschaftskrise, die Frage des künftigen Entwicklungsmodells, Strukturreformen oder den illegalen Bergbau. Der Wahlkampf war Geisel von zwei Themen: die Korruption und der Friedensprozess. Dominierend ist dabei vielerorts die Wut auf die politische Klasse an sich. Im Departement Boyacá im Zentrum Kolumbiens griff ein Unbekannter die Kandidatin Fanny Zambrano der konservativen Partei „U“ mit einer Machete an und beschimpfte sie als „korrupt“ und Vertreterin der „traditionellen Eliten“. Drei Menschen, darunter ihr Sohn, wurden bei dem Angriff verletzt. Im nördlichen Departement Antioquia explodierte ein Sprengsatz mitten in einer Kundgebung und hinterließ neun Verletzte. „Es ist eine andere Art politischer Gewalt, die wir dieses Mal sehen“, erklärt Ávila. „Sie ist unbestimmter, untergründiger, ohne klaren Urheber, es ist eher eine soziale Gewalt als eine politische“, sagt der Experte.

Auch bei der Frage des Friedensvertrags mit den FARC sowie den laufenden Verhandlungen mit der kleinen ELN-Guerilla gibt es nur schwarz und weiß. Wer für Frieden ist in diesem Wahlkampf, bekommt das Etikett „Castrochavist“, „Terrorist“ oder „Guerrillero“ angehängt und muss sich dem Vorwurf aussetzen, er wolle in Kolumbien ein zweites Venezuela schaffen. Umgekehrt sind alle diejenigen, die den Frieden in Frage stellen gleich „Paramilitärs“ oder schlicht „Blödmänner“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%