Reformvorschläge für Währungsunion Gegen den „Kalten Krieg“ der Euro-Ideologien

Euro-Rettung: Ökonomen entwickeln Reformplan für Währungsunion Quelle: dpa

Europas Spitzenökonomen haben einen Plan für die Reform der Euro-Zone entwickelt. Dieser soll den Dauerstreit der Nord- und Südländer befrieden. Was der Sechs-Punkte-Plan von Fuest, Fratscher und Co. vorsieht.

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Die 19 Euro-Staaten der Europäischen Union teilen sich in zwei Lager: Die einen setzen auf Marktdisziplin und ehrgeizige Sparprogramme, um die Euro-Krise zu bewältigen. Der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zählte zu ihnen und wurde in der Euro-Gruppe zum Anführer der Nordeuropäer. Die anderen im Süden, Italien vor allem, verlangen seit Beginn der Euro-Krise im Jahr 2010 mehr Lastenteilung: Reiche Länder sollten die Schuldenlast der schwächsten Länder mittragen, um die Spekulation der Finanzmärkte auf einen Zusammenbruch der Euro-Zone zu beenden.

Und auch die Mehrheit der Spitzenökonomen stand in diesem Konflikt entweder auf der Nord- oder der Südseite. Ifo-Präsident Clemens Fuest etwa unterstützte Schäuble, DIW-Chef Marcel Fratzscher sprach sich eher für den Ansatz der südlichen Euro-Länder aus. Je länger die Krise dauerte, desto mehr schlief der Dialog zwischen den beiden Seiten ein. Die wechselseitigen Vorwürfe der Regierungen nahmen zu. Politisch profitierten radikale Parteien.

An diesem Mittwoch wollen Fuest und Fratzscher bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin diesen „Kalten Krieg“ der Euro-Ideologien beenden. Gemeinsam mit anderen deutschen und französischen Spitzenökonomen präsentieren sie einen „konstruktiven Vorschlag zur Reform des Euro-Raums“, der die gegensätzlichen Glaubensrichtungen miteinander versöhnen soll und sogar funktionieren könnte. Auch in Paris stellt die 14-köpfige Ökonomengruppe das Konzept vor. Ihr gehören auch Jean Pisani-Ferry, ein Berater des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, sowie die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel und ihre Vorgängerin Beatrice Weder di Mauro an.

Die Wissenschaftler wollen die komplizierten Schuldenregeln des Maastricht-Vertrages durch ein einfacheres System, das die Staatsausgaben deckelt, ersetzen. Sie fordern mehr Macht für Institutionen der Euro-Zone und eine Insolvenzordnung für Staaten – die aber durch den Rettungsfonds ESM abgesichert wäre. Ihr Konzept sei eine Kombination aus nördlicher „Marktdisziplin“ und südlicher „Risikoteilung“. Die Banken wiederum sollen nach wirklich europäischen Regeln überwacht und zu mehr Eigenkapitalunterlegung angehalten werden.

Auf 33 Seiten präsentieren die Ökonomen ihren Sechs-Punkte-Plan, mit dem die Euro-Zone sicher werden soll – vorausgesetzt, die 19 Euro-Regierungen setzen alle Punkte um. Das Ziel: Hoch verschuldete Länder im Süden entdecken die Vorteile von Marktdisziplin. Und der Norden akzeptiert, dass Sparen in der Rezession diese nur verschärft, und dass es Ansteckungsgefahren von einem zum anderen Euro-Land gibt. Die sechs Punkte im Einzelnen.

1. Der Stabilitätspakt

Der Nachteil des Maastricht-Vertrages, der maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Defizit erlaubt, sind seine komplizierten Regeln. „Es fehlt an Flexibilität in schlechten Zeiten und an Biss in guten Zeiten“, schreiben die Ökonomen. In Krisenzeiten verlangt der Pakt Sparprogramme, die in den Krisenjahren die Lage der Notlagenländer noch verschärft hat. Die Ökonomen wollen die Schuldenregeln ersetzen durch einen Ausgabendeckel: Die Staatsausgaben dürfen in hoch verschuldeten Ländern über einen langen Zeitraum nicht schneller steigen als das nominale Bruttoinlandsprodukt. Je höher verschuldet, desto langsamer dürfen die Ausgaben zulegen.

Deutschland etwa ist genau nach diesem Prinzip aus den Defiziten der Finanzkrise herausgewachsen. Überwacht werden sollen die Haushalte von nationalen Stabilitätsräten, die wiederum eine „Institution auf Ebene des Euro-Raums“ kontrolliert. Eine Regierung, die diese Regel verletzt, muss die zusätzlichen Ausgaben durch nachrangige Staatsanleihen finanzieren, die im Fall, dass ein Rettungsprogramm des ESM nötig wird, automatisch verlängert würden. Wie teuer die Anleihen für die Regierung würden, hinge davon ab, wie glaubwürdig die Regierung ihre Probleme angeht.

Die Punkte zwei bis sechs



2. Bankenunion

Noch immer sind Staaten und Banken wechselseitig voneinander abhängig; auch in einer neuen Finanzkrise könnten sie sich wechselseitig in den Abgrund ziehen. Die Ökonomen schlagen vor, dass Banken Staatsanleihen dann mit Eigenkapital unterlegen müssen, wenn sie zu viele eines einzelnen Staates, meistens ihres Heimatlandes, in den Büchern haben. Die Europäische Einlagensicherung wird für alle Länder gleich gestaltet; sie springt aber nur ein, sobald die „nationale Kammer“ nicht ausreicht. Die europäische Bankenaufsicht zwingt zudem alle Banken, ihre faulen Kredite abzubauen. Hinzu treten klare Regeln der Gläubigerhaftung (Bail-in) und Versicherungen.

3. Regeln für die Umschuldung zahlungsunfähiger Länder

Neue Anlagemöglichkeiten in sichere Wertpapiere im Euro-Raum soll es geben. Ziel soll sein, dass der ESM keine Rettungskredite an Pleitestaaten ausreichen muss. Die Umschuldung soll nicht automatisch erfolgen, um Ansteckungsgefahren zu bannen, wie sie 2010 bis 2012 aufgetreten sind. Das neue Regelwerk soll schrittweise in guten Zeiten, wie jetzt, eingeführt werden.

4. Ein gemeinsamer Schlechtwetterfonds der Euro-Staaten

Er soll mit Geld der Mitgliedstaaten befüllt werden und dabei helfen, große Wirtschaftskrisen aufzufangen. Ein Land, das ihn nutzt, muss aber danach höhere Beiträge zahlen.

5. Ein europäisches Wertpapier

Es soll Investoren eine Alternative zu nationalen Staatsanleihen bietet, ohne dass dabei eine Solidarhaftung jeder für jeden entsteht. Ziel: Ein plötzlicher Einbruch der Nachfrage nach Staatsanleihen soll vermieden werden.

6. Starke Euro-Institutionen

Als erstes soll eine europäische Institution die nationalen Wirtschaftspolitiken überwachen. Sie muss unabhängig sein, entweder also ein EU-Kommissar oder eine andere Institution, für die man dann aber die EU-Verträge ändern müsste. Die Verantwortung für Hilfsprogramme und deren Auflagen soll in die Verantwortung des ESM übergehen. Die Hilfsprogramme soll ein Ausschuss des EU-Parlaments prüfen, die finanzielle Kontrolle aber bei den Einzelstaaten bleiben.

Zugleich gehen die Ökonomen auf Distanz zu einem eigenen Haushalt für die Euro-Zone, wie ihn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hat. Ein solches Budget könne zwar die Konjunktur stabilisieren, erfordere aber Entscheidungen über die Aufgabenteilung zwischen Euro-Zone, EU-Kommission und Nationalstaaten, die politisch gefällt werden müssten. Stattdessen sollte es einen begrenzten Schlechtwetterfonds geben, aus dem Länder mit der Gemeinschaftswährung bei tiefen konjunkturellen Krisen Hilfen bekommen können. Dauerhafte Transfers lehnen die Ökonomen ab. So zumindest die Empfehlung der internationalen Wirtschaftswissenschaftler. Die Umsetzung allerdings liegt bei den Regierungen der 19 Euro-Staaten.

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