
Wirtschaftswoche: Herr Lukjanow, der Westen will Russland mit Sanktionen von der Einmischung in die Ostukraine abbringen. Warum funktioniert das nicht?
Fjodor Lukjanow: Die Wirtschaftssanktionen sind zu kleinkalibrig. Und zum ersten Mal in der Geschichte will der Westen damit einen Politikwechsel in einem Land von der Größe Russlands erreichen. Eines, das auf Atomwaffen sitzt und Mitglied im Sicherheitsrat der UN ist. Vielleicht gelingt es dem Westen, Russland wirtschaftlich zu schaden. Politisch bewirken sie das Gegenteil: Die Popularität Putins steigt und steigt.





Kürzlich schrieben Sie von einer neuen „Perestroika“ in der russischen Außenpolitik unter Präsident Wladimir Putin. Was meinen Sie damit?
Viele Jahre hielt es Moskau für sinnvoll, sich den Regeln des Westens unterzuordnen – vorwiegend aus ökonomischen Gründen. Mit der Krim-Annexion hat Putin gezeigt, dass Russland entschiedener eigene Interessen vertritt. Im Zweifel auch gegen Verträge, die man in Russland als einseitige Regelsetzung des Westens sieht...
...aber diesen Regeln hat Russland selbst zugestimmt. Etwa in Verträgen wie dem Budapester Memorandum, das die Ukraine zur Abgabe ihrer Atomwaffen verpflichtete und Russland zur Achtung der postsowjetischen Grenzen.
Das Budapester Memorandum war eine Absichtserklärung, kein international bindender Vertrag, und wurde nie ratifiziert. Das Hauptziel der USA war damals nicht die territoriale Integrität der Ukraine, vielmehr wollte man den Abzug der Atomwaffen erreichen. Insofern hat niemand ernsthaft auf dessen Gültigkeit gesetzt. Erst als die Ukraine unter dem Präsidenten Viktor Juschtschenko der Nato ernsthaft beitreten wollte, kam Moskau auf dieses Memorandum zurück – als sicherheitspolitische Grundlage anstelle des Nato-Beitritts. Nur haben weder Kiew noch Washington damals das Abkommen ernst genommen. Und was Russland betrifft, so wurden Hoffnungen enttäuscht, als die Nato entgegen mündlicher Versprechen bis an die Grenzen Russlands erweitert wurde. Heute sieht man im Kreml einen Nato-Beitritt der Ukraine als existenzielle Bedrohung an. Auf der Krim geht es darum, russische Interessen und internationale Regeln neu auszutarieren. Das war ein riskantes, aber realpolitisch nachvollziehbares Manöver zur Verbesserung des Status Russlands in der Weltpolitik. Mit dem Krieg in der Ostukraine gerät diese Nachbarschaftspolitik aber außer Kontrolle: Russland ist da in einen Konflikt geraten, den der Kreml nicht gewinnen kann.
Ist dem Kreml die Kontrolle über die Separatisten in der Ukraine entglitten?
Es gibt einen gewissen politischen Einfluss, aber keine absolute Steuerung. Es ist auch eine Illusion, zu glauben, der Osten der Ukraine wäre sofort stabil, wenn sich Russland heraushalten würde. Es gab dort schon vorher alle Vorzeichen für einen sozialpolitischen Konflikt. Jetzt sehen wir einen Bürgerkrieg, den die russische Einflussnahme schlimmer macht. Aber getragen wird er vor allem von lokalen Kräften.
Wird es dabei bleiben?
Aus meiner Sicht wird es keinen Einmarsch russischer Truppen geben. Im Gegenteil, Moskau ist bereit, den Konflikt zu beenden. Aber das ist nicht so einfach: Es würde ja zu Hause aussehen, als ließe Putin die Freiheitskämpfer im Stich. Das wäre politisch ein Fiasko.