Saudi-Arabien und Katar Die Zähmung widerspenstiger Fernsehmacher

Um das Emirat Katar tobt eine internationale Krise. Mittendrin: der TV-Sender Al Jazeera. Dessen Kritik an den Herrschern der Region könnte den Konflikt mit ausgelöst haben. Was heißt das für die Zukunft des Medienhauses?

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Vor zwanzig Jahren lancierte Katar eine Medienrevolution im Arabischen Raum: Der Fernsehsender Al Jazeera sollte kritisch und offen berichten dürfen. Das war eine Sensation. Jetzt aber muss der Golfstaat dafür teuer bezahlen. Quelle: AP

Tel Aviv Vor zwanzig Jahren lancierte Katar eine Medienrevolution im arabischen Raum. Ein neuer TV-Sender wurde gegründet, Al Jazeera. Und anders als im Journalismus in der Region üblich, sollte der Sender kritisch und offen berichten.

Das war damals eine Sensation. Jetzt aber muss der Golfstaat dafür teuer bezahlen. Nicht nur die Nachbarländer, sondern auch Ägypten, Libyen und Mauretanien boykottieren das kleine, aber sehr vermögende Emirat – weil sie sich mit der Kritik aus Doha nicht abfinden wollen.

Der vom Herrscherhaus finanzierte Nachrichtensender Al Jazeera sorgt mit seinen Berichten über die Mächtigen der Region und deren Nähe zu den extremistischen Muslimbrüdern immer wieder für Zoff. Doch Ende Mai war die Geduld der gekrönten Häupter am Ende: Al Jazeera publizierte auf der Internetseite eine Karikatur des saudischen Königs, der den Herrscher des Nachbarstaates beleidigte und verunglimpfte. Nach wütenden Reaktionen entfernte Al Jazeera zwar die majestätsbeleidigende Zeichnung - aber der Schaden war angerichtet.

Der mächtige Nachbar Saudi-Arabien zürnte. Zuvor hatte bereits der Emir von Katar via Nachrichtenagentur Kritik an der von US-Präsident Donald Trump in Riad geschmiedeten Golf-Allianz gegen den Iran geübt. Feindschaft gegenüber dem Iran sei nicht weise, soll der Emir gesagt haben. Doha beeilte sich zu betonen, die Meldung sei von Hackern eingeschleust worden. Doch in den anderen Golfstaaten glaubte man ihm kein Wort.

Doch kritische Berichte sind nicht das einzige Markenzeichen von Al Jazeera. Seit Jahren ist der Sender zugleich ein Sprachrohr von Islamisten. So erhielt der einflussreiche Prediger Youssef Karadawi, ein Muslimbruder, der einst Selbstmordattentate gegen Israel gutgeheißen hatte, auf Al Jazeera an eine wöchentliche TV-Show. Darin predigt er über die Bedeutung des Islam im Alltag. Das missfällt nicht nur dem Westen, sondern auch den Regierungen im arabischen Raum. 

Am Golf wird deshalb derzeit darüber gerätselt, ob Al Jazeera die diplomatische Krise überleben kann. Die mächtigen Regimes in Riad, in Abu Dhabi und in Kairo könnten von Katar verlangen, dass der Sender geschlossen werde – oder zumindest fortan auf kritische Berichte verzichte. Eine „Medienreform“ sei eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Beendigung der Krise, zitiert BBC Beobachter am Golf.

Im arabischen Raum würden dem unbequemen Sender nur wenige Regimes nachtrauern. Bereits vor drei Jahren hatten drei Golfstaaten ihre Botschafter aus Doha vorübergehend abberufen. Begründung: Al Jazeera habe sich in die internen Angelegenheiten ihrer Länder eingemischt. Auch mit Ägypten hat sich das Medienhaus immer wieder angelegt. Ende Mai blockierte Kairo den Zugang zu 21 Internetseiten, die von Doha finanziert wurden, darunter auch Al Jazeera.

Vor einem Jahr wurden dann Mitarbeiter des Senders wegen „Spionage und Verrats von Staatsgeheimnissen“ zum Tod verurteilt. Im November 2016 strahlte Al Jazeera einen Dokumentarfilm aus, in dem behauptet wurde, ägyptische Soldaten würden misshandelt. Später wurde ein für Al Jazeera arbeitender Fernsehproduzent mit der Begründung verhaftet, er verbreite „fabrizierte Meldungen“ und helfe damit der Muslimbruderschaft, die in Ägypten als Terrororganisation gilt.


Das Medienarsenal Katars

Im selben Jahr waren in Kairo zwei Zeitungen geschlossen worden, die mit Geldern aus Katar finanziert wurden. Zahlreichen anderen Portalen, die von Doha subventioniert werden, wird ebenfalls öffentliche Aufhetzung vorgeworfen, darunter Arabi 21, die arabischsprachige Ausgabe der „Huffington Post“, der ein ehemaliger Al-Jazeera-Mann vorsteht, oder die in London erscheinende Internetzeitung „Middle East Eye“, in der kritisch über den Nahen Osten berichtet wird.

Der Zoff kommt nicht von ungefähr: Als Katar im November 1996 Al Jazeera gründete, erhielten die Fernsehmacher den Auftrag, alle bisher im arabischen Raum gültigen journalistischen Regeln über Bord zu werfen. Kritisch statt regimetreu und respektlos statt unterwürfig sollten sie berichten, treu dem großen Vorbild BBC.

Der Journalist Faisal al-Kassem moderierte Sendung „Opposite Direction“ – und er lebt dieses Prinzip einmal pro Woche während 90 Minuten aus. Er ließ von Anfang an Politiker mit unterschiedlichen Meinungen vor laufender Kamera gegeneinander antreten, griff nicht nur politische und wirtschaftliche, sondern auch heikle religiöse Themen auf. Die Araber mussten sich nicht lange an diese für sie ungewohnte Art der öffentlichen Auseinandersetzung gewöhnen: die Sendung wurde rasch zum Publikumsliebling.

Weniger geschätzt wird al-Kassem aber bei der Herrschenden. Sechs Botschafter wurden wegen seiner Diskussionsrunden aus Doha abgerufen, sagte er einmal in einem Interview, darunter die Gesandten Saudi Arabiens, Jordaniens, Marokkos und Tunesiens. Al Jazeera war der erste arabische Kanal, auf dem Alltagssorgen thematisiert und in einen politischen Zusammenhang gestellt wurden. Dabei wurden die Regimes mit unbequemen Fragen konfrontiert.

Jetzt müsse Katar auf die Krise reagieren, meint Hussein Ibish vom Arab Gulf States Institute in Washington. Katar werde mit seinem „massiven Medienarsenal“ versuchen, die Menschen in der Region auf die Seite Dohas zu ziehen, darunter Islamisten, arabische Nationalisten und Liberale.

Aber anders als in früheren Jahren werde es dieses Mal nicht genügen, ein Dokument mit Absichtserklärungen zu unterschreiben. Doha müsse sein Verhalten ändern - und dazu gehöre auch das Gebaren seines Medienimperiums und seines Sprachrohrs Al Jazeera. Andernfalls wäre Katar mit einer untragbaren Isolation konfrontiert, meint Ibish.

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