Solidarität mit „Cumhuriyet“ „Wir werden uns nur unserem Volk und unseren Lesern beugen“

Die Lage für unabhängige Journalisten in der Türkei ist dramatisch. Besonders betroffen ist die Zeitung „Cumhuriyet“ – zahlreiche Mitarbeiter wurden verhaftet. Aus Solidarität veröffentlichen wir einen Text der Kollegen.

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Das Handelsblatt beteiligt sich an einer Solidaritätsaktion, die von der „Frankfurter Rundschau“ initiiert wurde. Quelle: AFP

Die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei ist in höchster Gefahr, die Lage dramatisch. Journalistinnen und Journalisten werden systematisch zum Schweigen gebracht, Medien geschlossen oder auf Staatslinie getrimmt. Zum „Writers-in-Prison-Day“ an diesem Dienstag setzt das Handelsblatt gemeinsam mit vielen weiteren deutschen Tageszeitungen und Online-Medien ein Zeichen, um gegen die Verfolgung der Kolleginnen und Kollegen zu protestieren.

Aus Solidarität mit den Verfolgten veröffentlichen wir einen Text, den die Redaktion der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“ geschrieben hat. Cumhuriyet steht derzeit besonders unter Druck, zahlreiche Mitarbeiter aus Verlag und Redaktion wurden bereits verhaftet, andere ins Exil getrieben. Die Solidaritätsaktion wurde von der „Frankfurter Rundschau“ initiiert; die Übersetzung der Texte besorgten Timur Tinç und Deniz Yücel.

Für immer Cumhuriyet

„Ich bin ein alter Mitarbeiter der Cumhuriyet, für eure Moral habe ich Blumen mitgebracht“, sagt er. Er verteilt still die Nelken und verschwindet.

Derweil geht es in der Zentrale der Tageszeitung Cumhuriyet im Istanbuler Stadtteil Şişli wie in einem Bienennest zu. Es ist der 2. November 2016, der dritte Tag, nachdem 13 Journalisten und Manager von uns festgenommen worden sind. Wir Mitarbeiter versuchen, ruhig und gelassen zu bleiben. Es gilt eine Zeitung herauszubringen. Wir haben keine Alternative als, unserem Beruf nachzugehen. Denn die Cumhuriyet ist eine Zeitung und hier arbeiten Journalisten.

Was ist passiert?

Alles begann am Morgen des 31. Oktober 2016, mit dem Anruf unseres Chefredakteur Murat Sabuncu. Morgens um sieben Uhr meldete er sich und sagte: „Sie nehmen mich mit.“ Sie nahmen Sabuncu fest. Zur gleichen Zeit wurden unsere Journalisten und Manager Aydın Engin, Hikmet Çetinkaya Hakan Kara, Güray Öz, Bülent Utku Mustafa Kemal Güngör, Bülent Yener, Günseli Özaltay, aus ihren Häusern abgeführt. Kadri Gürsel, Musa Kart und Önder Çelik sind ohne zu zögern und von sich aus zur Polizeiwache gegangen, selbstverständlich wurden sie verhaftet. Zudem wurde die Wohnung von Orhan Erinç, dem Vorsitzenden der Cumhuriyet-Stiftung, durchsucht. Zuletzt wurde am vergangenen Freitag unser Herausgeber Akın Atalay , der aus beruflichen Gründen in Deutschland war, bei seiner Landung festgenommen.

Eine 93 Jahre alte Zeitung

Wir Mitarbeiter versammelten uns sofort in unserem „Haus“. Schon in unseren ersten Gesprächen stellten wir fest, dass die Operation gegen die Cumhuriyet niemanden wirklich überrascht hatte. Wie alle Oppositionellen wollte man die Cumhuriyet zum Schweigen bringen. Dabei machte die Cumhuriyet keine Opposition, sondern nur „Nachrichten.“ Aber das politische Klima ist im Regime des Ausnahmezustands rauer geworden.

Die Vorwürfe gegen die Cumhuriyet

Der Grund unsere Freunde festzunehmen lautete: Mitglieder der Gülen-Organisation und der PKK zu sein und in deren Namen Straftaten begangen zu haben. In Wirklichkeit ist die Cumhuriyet eine der wenigen Zeitungen, die stets auf die Gefahr hingewiesen haben, dass die Gülen-Organisation Polizei und Justiz mit dem Ziel unterwandert, die Kontrolle über die Republik an sich zu reißen und die Türkei in einen islamischen Staat zu verwandeln. Zudem ist die Cumhuriyet eine der wenigen Zeitungen, die die Rechte der Kurden verteidigt, zugleich die PKK ständig kritisiert und jede Art von Terror ablehnt. Doch nun wird diese ganze Vergangenheit für nichtig erklärt und alle Schuld auf der Cumhuriyet abgeladen.

Angeklagter Staatsanwalt

Doch die Wahrheit hat eine Angewohnheit: Sie kommt ans Licht. So war es abermals ein Journalist, der aufdeckte, dass der Staatsanwalt, der die Ermittlungen gegen die Cumhuriyet geführt hatte, selber in einem Gülen-Prozess angeklagt ist. Die Tatsache, dass ein wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Organisation angeklagter Staatsanwalt die Ermittlungen geführt hatte, hätte das Verfahren gegen die Cumhuriyet eigentlich zusammenbrechen lassen müssen. So aber sprach der Justizminister bloß von einem „Missgeschick.“ Das Ministerium war nicht einmal auf die Idee gekommen, den Staatsanwalt von seinen Aufgaben zu entbinden.

Nur eines fehlt uns

Wir machen unsere Arbeit mit dem Ziel guten Journalismus zu machen und dank der Kraft, die uns die täglichen Unterstützer geben, die zu unserer Zeitung kommen. Wir wollen nur eines: die Pressefreiheit. Um in Ruhe unserer Arbeit nachgehen zu können, müssen wir einfach nur Journalisten bleiben. Wir müssen für jene eine Stimme sein, die keine haben, wir müssen die Tatsachen berichten und aufschreiben. Unsere Arbeit ist schwer, der Druck ist groß, die Bedrohungen ernst. Aber nichts davon wird uns abhalten. Die Nachricht unseres Chefredakteurs Murat Sabuncu, die er aus der Haft geschickt und damit unsere Augen mit Tränen gefüllt hat, ist eigentlich der Grundsatz von jedem, der bei der Cumhuriyet arbeitet: „Wir werden uns nur unserem Volk und unseren Lesern beugen.“

Die Redaktion der Cumhuriyet

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