Studien zur Wahl in Italien und Deutschland Wie rechte Internetaktivisten europäische Wahlen beeinflussen

Wie Russland die US-Wahl beeinflusst hat, beschäftigt noch immer einen Großteil der USA. Doch auch in Europa haben Trolle und rechte Aktivisten versucht, vor Wahlen die Stimmung zu drehen.

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Im Netz findet nicht nur unkoordinierter Hass statt, teilweise organisieren sich Trolle und rechte Aktivisten, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Quelle: dpa

In Italien haben rechte Politiker und Netzwerke im Wahlkampf auf Hass gesetzt – und zwar strategisch. Das zeigt eine Analyse des Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) Die Nichtregierungsorganisation dokumentierte das Vorgehen von Hunderten von Aktivisten in mehreren Netzwerken vor der Parlamentswahl Anfang März. Zuvor hatte das ISD berichtet, dass es auch vor der Bundestagswahl in Deutschland koordinierte Aktionen gegeben hat, um die Debatte im Netz zu beeinflussen.

Wie die rechtsradikalen „Trolle“ in Italien vorgingen, zeigt ein Ereignis kurz vor der Wahl Beispiel: In der mittelitalienischen Stadt Macerata zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Anhängern der neofaschistischen Partei Forza Nuova. Diese hatten trotz eines Demonstrationsverbots zu einer Kundgebung aufgerufen. Dem Aufmarsch ging ein rechtsradikaler Angriff voraus. Der Neofaschist Luca Traini hatte sechs afrikanische Migranten mit einer Pistole angeschossen.

Rechte Netzwerke haben daraufhin gleich versucht, die Deutungshoheit zu erlangen – mit Erfolg, sagt Julia Ebner vom ISD. Schnell kursierten im Netz Parolen und Bilder („Memes“), die Traini als Helden darstellten. Sie propagierten, dass seine Tat Teil eines „Krieges“ sei, um den „Untergang der weißen Rasse“ abzuwenden.

Nach Angaben der Sozialwissenschaftlerin gab es nach dem Vorfall einen starken Anstieg von Diskussionen über Migration und mehr Zulauf bei rechtsextremen Gruppen. Nachzuweisen, dass das Wahlergebnis mit den gesteuerten Kampagnen im Netz zusammenhängt, sei jedoch schwer, sagte Ebner der ARD.

Auch Amnesty International bestätigte, dass der Hass im italienischen Wahlkampf eine große Rolle spielte. In rund 500 Fällen sollen Wahlkreiskandidaten auf Facebook und Twitter rassistische oder diskriminierende Propaganda verbreitet haben. In 40 Prozent der Fälle sollen dabei Spitzenkandidaten wie Matteo Salvini von der nationalistischen Lega für die fremdenfeindlichen Äußerungen verantwortlich gewesen sein.

Zusammen mit der ARD und Aktivisten von „Alt Right Leaks“ hatte das ISD zuvor von Manipulationsbemühungen rechtsradikaler Internetaktivisten in Deutschland berichtet. Vor der Bundestagswahl hätten sich in dem Netzwerk „Reconquista Germanica“ auf der Chat-Plattform „Discord“ zeitweise Hunderte von Nutzern versammelt, um gezielt Themen und Begriffe zu lancieren. Den Recherchen nach kaperten die Trolle so die Diskussion zum Kanzler-Duell auf Twitter. Durch koordinierte Uhrzeiten und Hashtags hätte man so Einfluss auf den Online-Diskurs genommen.

Die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS), die sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus einsetzt, schätzt den Einfluss der Plattform jedoch als gering ein. „Bei der relativ kleinen Zahl von Nutzern ist zu bezweifeln, ob sie wirklich das Meinungsbild in Deutschland beeinflussen“, sagte Simone Rafael, die Chefredakteurin des Internetportals der Stiftung, „Belltower.News“, dem Handelsblatt.

Eine aktuelle Studie der Hochschule für Politik an der TU München beschäftigte sich ebenfalls mit dem Phänomen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Bundestagswahl durch falsche und manipulierte Inhalte auf Sozialen Medien beeinflusst wurde – jedoch nur in geringem Maße.

Das Team um Politikwissenschaftler Simon Hegelich wertete dafür große Mengen von Posts auf Twitter und Facebook aus, die in Bezug zur Bundestagswahl stehen. Unter anderem wurde bei der Analyse von 350 Millionen Tweets die Häufigkeit der Nennung der Parteinamen ausgewertet.

Demnach wurde über die AfD mit Abstand am meisten diskutiert – mehr als die Hälfte der Erwähnungen von allen Parteien in den sechs Monaten vor der Bundestagswahl betrafen die Rechtspopulisten. Die Auswertung unterscheidet zwar nicht zwischen positiven und negativen Erwähnungen. Sie zeigt jedoch wie prominent das Thema AfD im Wahlkampf auf Twitter war.

Auch beim AAS sieht man noch keine amerikanischen Verhältnisse beim Internet-Wahlkampf: „Twitter ist in Deutschland für die politische Meinungsbildung nicht sehr relevant“, sagte die Belltower.News-Chefredakteurin Rafael dem Handelsblatt.

Nach Angaben des ISD folgt das Vorgehen der Internet-Aktivisten stets dem gleichen Muster – ob in den USA, Frankreich, Deutschland oder Italien. „Sie rekrutieren und mobilisieren zuerst auf Messaging-Boards online, um dann interessierte Leser in die verschlüsselten Privatchats zu bringen und dort dann noch weiter zu radikalisieren“, erklärte die ISD-Forscherin Ebner der ARD. Dort würden die Aktionen koordiniert, um sie dann auf den großen Plattformen wie Facebook und Twitter dem Mainstream zugänglich zu machen.

Die nationalistischen Aktivisten im Internet handeln dabei keineswegs autark. Sie sind zum Teil international gut vernetzt und tauschen Erfahrungen mit Netzwerken anderer Länder aus. Entsprechend sind die Trolle auch bereit, über die Ländergrenzen hinweg zuzuschlagen. Beispielsweise haben sich nach Angaben des ISD in den italienischen Netzwerken auch Rechtsextremisten aus den USA aufgehalten.

Die internationale Vernetzung von Nationalisten klingt paradox, doch die „Neue Rechte“ sieht das in Einklang mit ihrem Konzept des Ethnopluralismus. Die Theorie soll den für Rechtsextreme typischen Rassismus neu und weniger angreifbar begründen. Sie propagiert zwar nicht ausdrücklich eine Höherwertigkeit der eigenen Rasse oder Nation. Es wird jedoch betont, das jede einzelne sich getrennt von anderen halten solle. Im Ergebnis kann damit genauso eine Fremdenfeindlichkeit ideologisch begründet und somit die Gewalt gegen Migranten gerechtfertigt werden.

Viele Chat-Plattformen wie Discord mittlerweile jedoch um, was sie in ihren AGBs deutlich machen – dass sie Rassismus und Volksverhetzung nicht dulden. Dies ist nicht zuletzt dem Druck von außen geschuldet. In Deutschland sind durch die Einführung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes auch Branchenriesen wie Facebook gezwungen durchzugreifen. Durch die neuen Regelungen drohen den Unternehmen hohe Geldstrafen, falls sie strafrechtlich relevante Posts nicht zügig entfernen.

„Rechtsextreme und andere Populisten werden sobald nicht aus dem Internet verschwinden“, sagt Rafael. „Es wird für sie das Medium Nummer eins bleiben.“ Viele seien jedoch bereits von den großen Netzwerken verbannt worden und zum russischen Facebook-Pendent „vk.com“ geflüchtet. Kritiker dieser Plattform bemängeln, dass es dort keinerlei Anstrengungen gäbe, rechtsextremistische oder rassistische Strömungen zu unterdrücken. Russische Regierungskritiker müssten währenddessen durchaus mit Sanktionierungen rechnen.

Simone Rafael weist darauf hin, dass die Wichtigkeit des Internets als Wahlkampfinstrument von Rechten und anderen Populisten früher erkannt wurde. Entsprechend betreiben sie die Online-Eigenwerbung mit viel mehr Energie als die etablierten Parteien. „Die demokratischen Parteien und ihre Anhänger sind gut beraten, mehr Ressourcen für den Internet-Wahlkampf zu verwenden“, so Rafael. Das würde letztlich auch die Prominenz der Populisten im Netz verringern.

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