Terror in Brüssel 13 Minuten zwischen Leben und Tod

Die Anschläge erschüttern die Anwohner in Brüssel. Fassungslosigkeit und Angst machen sich breit. Polizisten riegeln Straßen ab, das Militär fährt vor. Wie unser Korrespondent Thomas Ludwig die Stunden des Terror erlebt.

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Straßensperrung nach der Bombenexplosion am U-Bahnhof Malbeek in Brüssel. Quelle: dpa

Brüssel Eigentlich geht es Ismael Ertug um Verkehr – und nicht um Terror. Der Europaabgeordnete hat zu einem Pressegespräch im EU-Parlamentsgebäude eingeladen, um über den Untersuchungsausschuss zur Diesel-Affäre zu sprechen. Deswegen treffe ich ihn an diesem schicksalhaften Dienstagmorgen.

Doch dann nimmt der Tag eine schreckliche Wendung: Anschlag am Flughafen. Verletzte? Tote? Alles ist ungewiss in diesen ersten Minuten. Nur eines nicht. „So tragisch es ist, es gibt keine hundertprozentige Sicherheit an den neuralgischen Verkehrskontenpunkten“, sagt Ertug sichtlich erschüttert. „Meine Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer. Ich bin erst gestern Abend in Brüssel gelandet. Es hätte also genauso gut mich treffen können.“

Wie nah der Terror plötzlich kommen kann, erfahre ich wenige Minuten später am eigenen Leib, als ich das EU-Parlament verlasse. Auch in der Metrostation Malbeek mitten im Europaviertel ist eine Bombe detoniert, nur Minuten nach dem ich zwei Stationen zuvor aufs Rad umgestiegen war, um pünktlich zum Termin zu kommen. „Glück gehabt. Welch ein Horror“, simst meine Frau erleichtert.

Nach den ersten Nachrichten über die Anschläge geht alles ganz schnell: Immer mehr Polizisten tauchen auf, Soldaten fahren vor, die Rollgitter vor dem Eingang zum Parlament gehen herunter, das EU-Viertel wird weiträumig abgesperrt. Ich habe Glück, dass ich noch rauskomme. Kurz darauf meldet sich Ismael Ertug: „Wir sitzen fest. Es kommt derzeit niemand mehr rein oder raus.“

Schließlich eine Mail des deutschen Botschafters an die in Brüssel arbeitenden Deutschen: „Ich bitte Sie darum, in der gegenwärtigen Situation Ruhe zu bewahren und nach Möglichkeit Ihren aktuellen Aufenthaltsort (Büro, Zuhause) nicht zu verlassen. Sie sollten den öffentlichen Raum meiden.“ Die Metrostation Malbeek liegt nur rund 200 Meter von der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU entfernt.

Die ganze Stadt ist im Ausnahmezustand. Sirenen, Krankenwagen, Zivilstreifen mit Blaulicht, fassungslose Menschen an den Straßenkreuzungen. Am Park Cinquantenaire steht ein Taxi, die Türen sind offen, das Radio laut aufgedreht. „Mindestens zehn Tote. Vielleicht sind es auch mehr. Unklare Lage“, dröhnen die Wortfetzen der Moderatorin aus dem Lautsprecher. Städtische Arbeiter in orangenen Warnwesten hören konzentriert zu.

„Zum Glück bin ich zu Fuß unterwegs“, sagt ein älterer Mann: „Unfassbar. Die wollen uns alle umbringen. Das war doch nur eine Frage der Zeit. Das ist die Rache für die Festnahme von diesem Abdeslam.“ Tatsächlich ist inzwischen klar: Terroristen haben die Stadt angegriffen. Davon geht die Staatsanwaltschaft aus. Mindestens 21 Menschen sollen gestorben sein. Europäische Sicherheitsbehörden hatten schon in den vergangenen Wochen vor einem weiteren größeren Anschlag in Europa gewarnt.


Kriegsszenen mitten in Europa

Der öffentliche Nahverkehr ist lahmgelegt. Alle Brüsseler Bahnhöfe sind geschlossen, die Straßentunnel gesperrt. Innerhalb von Minuten bricht Verkehrschaos aus. Menschen starren auf ihre Handys. Das Mobilnetz ist überlastet, Anrufe kommen nicht mehr durch.

Die Situation am Flughafen schilderte ein Augenzeuge wie eine Kriegsszene. „Es war furchtbar, die Decken sind eingestürzt“, sagte der aus Genf angekommene Zach Mouzoun dem französischen Fernsehsender BFM. „Überall war Blut, verletzte Menschen.“ Wasserleitungen seien geborsten.

Der französische Fernsehsender i-Tele zeigte Videoaufnahmen, auf denen fliehende Passagiere zu sehen waren. Andere Bilder zeigen einen Sicherheitsbeamten in der von Trümmern der Deckenisolierung übersäten Halle. Passagiere wurden aus der Halle in Sicherheit gebracht und das Krisenzentrum rief Flugreisende sofort auf, nicht zum Flughafen zu kommen.

„Die EU gibt Brüssels Solidarität zurück und wird Brüssel, Belgien und Europa helfen, der Bedrohung durch den Terror entgegenzutreten“, twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Dem Terror entgegentreten – an diesem traurigen Dienstag zeigt sich einmal mehr, das ist leicht gesagt, und doch unendlich in die Tat umzusetzen.

Ich mache mir Sorgen um eine Freundin, mit der ich in der Metrolinie 1 saß, bevor es in der Station Malbeek eine Explosion gab. Während ich vorher ausstieg, fuhr sie weiter. Auf die SMS, die ich der Freundin schicke, höre ich lange nichts. Mein Magen zieht sich zusammen. Paris war weit weg, als dort bei Terroranschlägen im November mehr als hundert Menschen starben. Doch nun spüre ich echte Angst. Dann kommt die erlösende Nachricht: Die Freundin ist im Büro angekommen. So nah kann der Terror kommen: kaum 13 Minuten liegen zwischen Leben und Tod.

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