Thronrede der Queen Eine königliche Lesestunde

Queen Elisabeth II. eröffnet mit ihrer traditionellen Thronrede ein brisantes Parlamentsjahr in Großbritannien. Doch um das Referendum über die EU-Mitgliedschaft schlägt sie einen Bogen. Das hat einen guten Grund.

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Die Queen's Speech dreht sich politisch um Vielerlei: die Reform des öffentlichen Dienstes, bessere Gefängnisse, einer Stärkung der Nuklearstreitkraft... Doch nicht um die heikle EU-Frage nach dem Brexit. Quelle: Reuters

London Es ist stets hörenswert, was im britischen Parlament gesagt wird. Bei der feierlichen Eröffnung des britischen Parlamentsjahres durch die Thronrede von Königin Elisabeth II. war aber fast noch bemerkenswerter, was nicht gesagt wurde. Seit Jahrhunderten gehört es zum Ritual der Parlamentseröffnung: Der Gesandte des Oberhauses klopft an die Pforte des Unterhauses und fordert die Abgeordneten auf, ihm zum Monarchen ins House of Lords zu folgen. Und dort eröffnet nun schon seit mehr als 60 Jahren Queen Elizabeth II. das Parlamentsjahr, voller Pomp inklusive.

Keine zehn Minuten dauert die Thronrede. Eigentlich ist der Auftritt von Queen Elizabeth II. am Mittwoch im Oberhaus vor den versammelten Parlamentariern ein Routinetermin. Doch dieses Jahr ist alles anders. In fünf Wochen entscheiden die Briten über den Verbleib in der EU. Von Routine ist die Insel im Schatten der wichtigsten Entscheidung des Landes seit Jahrzehnten weiter entfernt denn je. Mit gespitzten Ohren lauschen die Abgeordneten darum auf jede Nuance der Rede der Königin – aber falls sie heimlich gehofft haben, die Queen werde eine Andeutung zum Brexit machen, werden sie enttäuscht.

Um das Referendum über die EU-Mitgliedschaft schlägt die 90-Jährige fünf Wochen vor dem Votum einen weiten Bogen – was schlicht ihrer besonderen Rolle in Großbritannien geschuldet ist. Denn die Queen ist zur politischen Neutralität verpflichtet, was sie sehr ernst nimmt. Als die „Sun“ vor wenigen Wochen ohne Belege behauptete, die Queen unterstütze einen Austritt Großbritanniens, war sie so ungehalten, dass der Buckingham Palace in einem äußerst ungewöhnlichen Schritt Beschwerde einlegte. Mit Erfolg: Am Mittwoch erteilt die Medienaufsicht dem Boulevardblatt eine Rüge – was der Murdoch-Zeitung jedoch nur eine kleine Meldung wert war.

Dass sich die Queen zur Tagespolitik äußert, schickt sich in Großbritannien nicht. Direkt widmete die 90-Jährige darum auch bei der Thronrede dieser Schicksalsfrage nur einen Satz. „Meine Regierung wird ein Referendum abhalten, über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union“, kündigt die grauhaarige Regentin, die eine mittelalterliche Robe trägt, das an, was alle bereits wissen.

Es sind allerdings nicht Elisabeth II eigene Worte, die die Parlamentarier hören. Das Staatsoberhaupt verliest eine Rede der Regierung, auf den Inhalt hat sie keinen Einfluss. Es handelt sich also quasi um ein Regierungsprogramm. Doch das dreht sich um vielerlei Themen. Von einer Reform des öffentlichen Dienstes ist die Rede, besseren Gefängnissen, einer Stärkung der Nuklearstreitkraft: Es gibt kaum einen Aspekt, der nicht angesprochen wird – außer der heiklen EU-Frage.

Lediglich die Ankündigung, dass Großbritannien die Europäische Menschenrechtskonvention durch eine nationale Menschenrechtscharta ersetzen will, zielt indirekt in die EU-Debatte. Denn die Brexit-Befürworter werfen Cameron vor, zu viel Souveränität an Brüssel abgegeben zu haben – weshalb die britische Regierung bemüht ist, mehr Kompetenzen wieder auf die nationale Ebene zu verlagern.

Der Auftritt der Queen ist damit eine königliche Lesestunde der besonderen Art. Die Queen's Speech, mit der das parlamentarische Jahr traditionell eröffnet wird, ist einer der wichtigsten Termine im politischen Kalender Großbritanniens. Das Land versichert sich an diesem Tag seiner Historie. Die Königin trägt die Imperial State Crown, die in einer eigenen Kutsche zum Parlament gebracht wird, sie sitzt auf einem Thron im Oberhaus und auf ihrer Robe funkeln Diamanten. Es ist die einzige Gelegenheit, bei der Oberhaus, Unterhaus und die Regentin jedes Jahr zusammenkommen. Mit ruhiger, fast tonloser Stimme trägt Elizabeth das Programm der aktuellen Regierung vor.


Der Sommer der Entscheidung

Premier David Cameron lauschte den Worten, die weitgehend aus seiner Feder stammten, mit ernstem Blick. Denn der britische Regierungschef weiß genau, dass es für ihn das letzte Mal als Regierungschef sein könnte, dass er diesem Ritual beiwohnt. Mit dem Votum am 23. Juni, bei dem die Briten über ihre Zugehörigkeit zur Europäischen Union abstimmen werden, entscheidet sich auch sein politisches Schicksal. „Der Premierminister würde nicht 30 Sekunden im Amt bleiben, falls wir das Referendum verlieren“, sprach sein Parteifreund Kenneth Clarke, der unter Cameron, John Major und Margaret Thatcher Ministerämter bekleidete, erst vor wenigen Tagen aus, was alle denken.

Doch die Befürworter und Gegner eines Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union liefern sich weiterhin ein Kopf-an-Kopf-Rennen. So lagen in einer am Montag veröffentlichten Online-Umfrage des Instituts ICM die Brexit-Befürworter vorn, in einer Telefon-Umfrage des gleichen Instituts hingegen die Verfechter eines Verbleibs in der EU. Und in einer Umfrage von TNS sprachen sich erstmals seit Februar bei diesem Institut mehr Briten für einen Brexit (41 Prozent) aus als für einen Verbleib (38 Prozent).

Premierminister David Cameron wirbt seit Wochen wortreich für einen Verbleib in der EU, doch er hat mächtige Widersacher – die aus der eigenen Partei kommen. Denn Schwergewichte der britischen Konservativen wie der bisherige Londoner Bürgermeister Boris Johnson haben sich zu Wortführern der Gegenseite aufgeschwungen.

Der Juni wird damit zum Sommer der Entscheidung – und nicht nur für Großbritannien zu einer Schicksalsfrage. Erst vor wenigen Tagen warnte der Internationale Währungsfonds (IWF) nochmals eindringlich vor den Folgen eines Brexit. Ein Ausstieg Großbritanniens aus der EU könne einen Kursverfall und einen steilen Zinsanstieg zur Folge haben, mahnte IWF-Chefin Christine Lagarde. Die IWF-Experten kommen zu dem Schluss, dass mit einem EU-Austritt eine schwächere Wirtschaftsleistung und sinkende Löhne verbunden wären. Schon jetzt habe die Aussicht auf einen möglichen Brexit negative Folgen für die britische Wirtschaft. Investitionen würden zurückgehalten und Einstellungen verschoben.

Zu gerne würde man wissen, was die dienstälteste Monarchin der Welt persönlich darüber denkt. Wir werden es jedoch nicht erfahren, denn ebenso korrekt wie ihr Auftreten in der Öffentlichkeit ist auch ihre Achtsamkeit in Sachen politischer Neutralität sowie das Schweigen der Queen über vertrauliche Gespräche, aus denen noch nie etwas nach draußen drang. Dabei hätte sie viel zu erzählen. Elizabeth II. hat schon die Thronrede für die Regierung von Winston Churchill gehalten – und insgesamt zwölf Premierminister kommen und gehen sehen.

Auch im kommenden Jahr wird sie, wenn es ihre Gesundheit erlaubt, wieder mit einer festlichen Kutsche zur Parlamentseröffnung fahren. Doch der politische Rahmen könnte dann bereits ein völlig neuer sein: Die ältere Dame, die noch den Zweiten Weltkrieg erlebte, könnte im 65. Jahr ihrer Regentschaft als Staatsoberhaupt Zeuge einer weiteren historischen Umwälzung werden: Der Loslösung ihres stolzen Land von den europäischen Institutionen.

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