Er konsumiert keinen Tabak und keinen Alkohol, trinkt keinen Kaffee und keinen Tee. Er ist in erster Ehe verheiratet, hat fünf Söhne und sechzehn Enkelkinder. Mitt Romney könnte der ideale Präsidentschaftskandidat der Republikaner sein, respektiert und geachtet von den Traditionalisten und Evangelikalen – wäre da nicht sein Glaube. Mitt Romney ist Mormone und für viele Erz-Konservative damit ein rotes Tuch.
Bei den Vorwahlen im konservativen South Carolina hatte Romney keine Chance, der deutliche Erfolg bei der Vorwahl am Samstag im mormonisch geprägten Nevada – Romney holte über 40 Prozent der Stimmen – wird die Akzeptanzprobleme des Kandidaten bei den Evangelikalen im Süden möglicherweise noch weiter verstärken.
Amerika, das auserwählte Land
„Die Mormonen haben eine Entstehungsgeschichte, die sich in wesentlichen Punkten von der christlichen Lehre unterscheidet. Zudem zelebrieren sie eine Totentaufe und halten geheime Tempelrituale ab“, erklärt Michael Utsch, Lehrbeauftragter an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. „Dass sie damit auf heftige Ablehnung bei den traditionellen Christen stoßen, ist verständlich. Auch ich finde: Die mormonische Lehre ist mit christlicher Theologie nicht vereinbar.“
Grundlage der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, wie die größte mormonische Gemeinschaft heißt, ist das Buch Mormon, das der damals 24-jährige Joseph Smith 1830 veröffentlichte. Darin heißt es, dass Jesus Christus nach seiner Auferstehung nach Amerika gekommen sei und dort gelehrt und eine Kirche gegründet habe. Amerika wird folglich als auserwähltes Land und Ort göttlichen Handels gesehen.
Heute gehören dem Mormonentum mindestens 13 Millionen Menschen an, knapp die Hälfte davon lebt in den USA. Die Glaubensgemeinschaft hat sich seit ihrer Entstehung zu einem Milliarden-Imperium entwickelt.
Spenden in Milliarden-Höhe
Haupteinnahmequelle der mormonischen Glaubensgemeinschaft, der knapp 65 Prozent der Bürger des US-Bundesstaates Utah angehören und die darüber hinaus viele Mitglieder in Nevada, Arizona und Missouri hat, sind Spenden der Mitglieder.
Mindestens zehn Prozent ihres Einkommens müssen die Glaubensangehörigen an ihre Kirche abliefern. Das spült jährlich mehr als sechs Milliarden US-Dollar in die Kassen.
Vermögen von über 30 Milliarden US-Dollar
Den Mormonen kommt dabei ihre Wertschätzung der Bildung zugute. Die Erziehung und frühkindliche Förderung hat einen großen Stellenwert in der Gemeinde. Die Folge: Nicht wenige Glaubensbrüder und -schwestern machen Karriere und bringen ein hohes Einkommen nach Hause. In der Regel fließen davon deutlich mehr als nur zehn Prozent an die Tempelgemeinde. Denn weitere Spenden sind dort gerne gesehen – und aus Luxus machen sich die wenigsten Mitglieder etwas.
„Die Mormonen lernen früh, dass das Anschaffen von Vermögen kein Lebensziel ist“, sagt Utsch. „Konsumgüter und Statussymbole werden ebenfalls vernachlässigt.“ Wohin also mit dem hart verdienten Geld? Es geht an die Gemeinde.
Radiostationen, Rinderfarmen und ein Versicherungskonzern
Das „Time Magazine“ rechnete schon 1997 vor, dass die Mormonen über ein Vermögen von über 30 Milliarden US-Dollar verfügen – mit stetig steigender Tendenz. Allein die Grundstücke und Tempel der Mormonen in den USA haben einen Wert von zwölf Milliarden US-Dollar, die in der restlichen Welt von fünf Milliarden.
Doch damit nicht genug: Der Glaubensgemeinschaft gehören nicht nur Tempel und Grundstücke, sondern auch rein Profit orientierte Unternehmen, etwa ein Versicherungskonzern, Radiostationen und Rinderfarmen.
Mormonen besitzen die größte Rinderfarm der USA
So befinden sich etwa die „Deseret Ranches“ in dem Besitz der Glaubensgemeinschaft, ein Zusammenschluss von 90 Viehzüchtern. Auf einer Fläche von 1.200 Quadratkilometer im Osten von Orlando, Florida, werden Rinder und Kälber gehalten. Jährlich werden bis zu 7.300 Tonnen Fleisch produziert und so mehr als 15 Millionen US-Dollar eingenommen. Das Grundstück alleine ist knapp eine Milliarde US-Dollar wert.
Geheimnissvolle Tempel-Rituale
Der Versicherungskonzern „Beneficial Financial Group“, mit Sitz in Utahs Hauptstadt Salt Lake City, erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2009 satte 45 Millionen US-Dollar. Ihr Besitzer: die „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“.
Außerdem in deren Besitz befindet sich der größte Nuss-Produzent der USA, AgReserves Inc., sowie die Rundfunkgesellschaft „Bonneville International Corporation“.
Handfeste gesellschaftliche Vorteile
„Gerade in Salt Lake City haben die Mormonen durch ihre Beteiligungen ein starkes soziales Netz aufgebaut“, sagt Michael Utsch. „Die Glaubensbrüder helfen sich dort. Sei es bei der Suche nach einem Kindergartenplatz oder bei der Jobsuche.“ Die Zugehörigkeit zum Mormonentum hat im tiefen Westen der USA damit oftmals handfeste gesellschaftliche und ökonomische Vorteile.
Die Kehrseite der Medaille: Andersgläubige werden ausgegrenzt. „Mormonen sind meist sehr höfliche und freundliche Menschen“, sagt Utsch aus eigener Erfahrung. „Aber sie gewähren Außenstehende kaum Einblick in ihr Leben und ihre Religiösität.“
So sind die mormonischen Tempel, die heiligen Städte ihrer Mitglieder, nur für diese zugänglich. Selbst nichtmormonische Gäste, die an einer Hochzeitsfeier teilnehmen, werden nur in einem Vorraum des Tempels gelassen. 134 mormonische Gotteshäuser gibt es weltweit. Zwei von ihnen stehen in Deutschland, im sächsischen Freiberg sowie im hessischen Friedrichsdorf. Die Tempel sind traditionell aufwändig konstruiert und werden sorgfältig gepflegt. An jedem Tempel steht in der Landessprache „Heilig dem Herrn“ und „Das Haus des Herrn“.
Wichtigste Kulthandlung ist das geheimnisvolle Einführungs- beziehungsweise Initiationsritual. Sie unterliegen strengster Geheimhaltung, sind aber durch ehemalige Teilnehmer des Rituals an die Öffentlichkeit gelangt.
Heilige Zeichen und Handgriffe
„Sie beginnt mit Waschungen sowie dem Empfang eines neuen Namens“, berichtet Utsch. „Im Verlauf des dramatisch inszenierten Rollenspiels, in dem das mormonische Verständnis von Schöpfung, Fall und dem Heilsplan Gottes dargestellt sind, werden heilige Zeichen und Handgriffe mitgeteilt, um sich im jenseitigen Reich den wachenden Engeln gegenüber erkennbar machen zu können.“
Ein weiteres besonderes Ritual ist die Totentaufe. Weil nicht alle Menschen zu ihrer Lebzeit mormonische Segnungen empfangen konnten, können solche nachgeholt werden, wenn die genauen Daten vorliegen. Dies ist auch der Grund für die berühmte Ahnenforschung der Mormonen, die sie mit außerordentlichem Aufwand betreiben.
Totentaufe und Ahnenforschung
„Die Totentaufe mit Untertauchen in einem großen, von 12 Bronze-Ochsen getragenen Taufbecken wird stellvertretend von einem Gemeindemitglied vollzogen. Mormonen gehen davon aus, dass auch im Totenreich die Möglichkeit einer freien Willensentscheidung für oder gegen den Glauben besteht“, so Utsch.
Der republikanische Präsidentschaftsbewerber Mitt Romney ist bereits seit seiner Kindheit Mormone und stellte sich jahrelang in den Dienst der Glaubensgemeinschaft. So ging er etwa als junger Erwachsener für zwei Jahre als Missionar nach Frankreich.
"Ein Haus von reichen Leuten für reiche Leute"
Nach einem Aufenthalt in Bordeaux kam Romney im Frühjahr 1968 nach Paris. Zehn Stunden am Tag arbeitete der spätere Gouverneur von Massachusetts für die Mormonen. Er bekam 125 US-Dollar pro Monat – heute läge ein vergleichbarer Betrag bei rund 800 US-Dollar – sowie freie Verpflegung und Unterkunft in einem Haus der Glaubensgemeinschaft.
„Wir haben uns mit Schläuchen abgeduscht und keine richtigen Toiletten gehabt“, behauptet Romney heute. Eine glatte Lüge, sagt Richard Anderson, der Sohn des damaligen Missionars-Leiters gegenüber dem britischen „Telegraph“. „Es war ein Haus von reichen Leuten für reiche Leute.“ Es habe Toiletten und Duschen gegeben, Gemälde an den Wänden und gar zwei Haushälter.
Romney spendete zwei Millionen jährlich
Auf Rückfragen, so die Zeitung, habe Romneys Wahlkampf-Team nicht reagiert. Die Strategie ist klar: Romney möchte seinen Glauben aus dem Wahlkampf halten. Doch die Religionszugehörigkeit gehört zur Identität des Kandidaten – insbesondere bei Mitt Romney, der den Mormonen viel gegeben, aber auch viel zurückbekommen hat.
So spendete Romney über die Jahre zig Millionen an die Glaubensbrüder. Alleine 2010 und 2011 überwiesen der Präsidentschaftskandidat und seine Frau den Mormonen gemeinsam jährlich zwei Millionen US-Dollar.
1999 begann das Geld in die andere Richtung zu fließen. Romney übernahm das Organisationskomitee für die Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City. Zu dem Zeitpunkt war das Gremium mit über 300 Millionen US-Dollar verschuldet, die USA drohten die Ausrichtung der Spiele abgeben zu müssen. Romney übernahm das Kommando, krempelte Strukturen um und ging auf Spendentour.
Mormonen retten die Spiele von Salt Lake City
Romney sprach persönlich bei Firmenbossen vor, schuf neue Exklusiv-Werbekategorien und schraubte die Werbeeinnahmen von 500 auf 860 Millionen US-Dollar hoch. Der Republikaner baute dabei auf seine engen Kontakten in die Finanzwelt, die er während seiner Zeit als Geschäftsführer des Finanzinvestors Bain Capital aufbaute – aber auch auf die mormonische Gemeinde.
Romney sammelte im Bundesstaat Utah 100 Millionen US-Dollar von lokalen Unternehmern ein; Sponsoren, die sich nie zuvor bei Sportgroßereignissen engagierten. Große Beträge steuerten darüber hinaus die Hotelkette Marriott International – dessen Gründer John Williard Marriott Mormone ist – sowie der mormonische Industrielle Jon Huntsman senior bei.
Erst Macher, dann Verlierer
Die Winterspiele wurden zum Erfolg, Romney wurde von IOC-Präsident Jacques Rogge und US-Präsident George W. Bush geadelt. Die amerikanischen Medien feierten Romney als „Macher“.
Dennoch unterlag der Mormone sechs Jahre später im Kampf um die Nominierung zum republikanischen Präsidentschaftsbewerber gegen John McCain deutlich. Zu groß waren die Vorbehalte der gläubigen Südstaatler gegenüber Romney, zu sehr attackierten ihn seine parteiinternen Gegner ob seines Glaubens.
In diesem Jahr soll alles anders werden. Romney fährt daher eine defensive Strategie: Gebetsmühlenartig wiederholt er, dass er „treu zu seinem Glauben stehe“. Eine öffentliche Diskussion über die mormonische Theologie lehnt er aber ab.
80,5 Prozent der Spenden an Republikaner
Die Mormonen danken ihm seine Verschwiegenheit. Bis zum Jahresende 2011 gingen 80,5 Prozent der Spenden aus Utah auf das Konto der Republikaner, nur 19,5 Prozent der Summe entfielen auf Barack Obama.
Mitt Romney konnte sich bislang bereits auf Wahlkampf-Hilfen in Höhe von drei Millionen US-Dollar freuen. Hinzu kommen weitere Millionen an die Romney-nahe Super-PAC „Restore Our Future“. So spendete beispielsweise „Nu Skin Enterprises“, eine mormonisches Unternehmen, das Hautpflegeprodukte vertreibt, eine Million US-Dollar an die Lobbygruppe des Republikaners.
„Die finanziellen Mittel für einen langen Wahlkampf wird Mitt Romney aus seinem Privatvermögen und mit Hilfe der Glaubensbrüder haben“, sagt der Lehrbeauftragte an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Michael Utsch. „Trotz aller Unterstützung der Mormonen könnte Mitt Romney sein Glauben mehr schaden als nutzen.“
Ein Mormone im Weißen Haus?
Das zeigt auch eine Umfrage zum Jahresende 2011 im Auftrag des Pew Research Centers. Zwar lag Romney in der Wählergunst der Republikaner vor allen anderen konservativen Präsidentschaftsbewerbern. Doch die Zweifel an ihm waren insbesondere unter den streng gläubigen Südstaatlern hoch. Knapp zwei Drittel unter ihnen sagten, für sie seien Mormonen keine Christen, nur 13 Prozent sprachen sich für Romney als Präsidentschaftskandidat aus.
Sollte er aber die Vorwahlen gewinnen, kann er auf die Stimmen der Erz-Konservativen hoffen. Denn vor die Wahl gestellt, Obama oder Romney wählen zu müssen, entschieden sich in der Umfrage 89 Prozent der Befragten für den Republikaner.
So ist es nicht undenkbar, dass im November der erste Mormone ins Oval Office einzieht. Der Einflussbereich der milliardenschweren und mächtigen Glaubensgemeinschaft wäre dann auf dem Höhepunkt angelangt.