




Nach dem monatelangen Streit über das Asylpaket II gibt es in der Koalition neue Irritationen um die gerade erst vom Kabinett beschlossenen Gesetzesverschärfungen. Nur wenige Tage nach dem Beschluss sorgten am Samstag Äußerungen von SPD-Chef Sigmar Gabriel für Verwirrung. Das ARD-Hauptstadtstudio zitierte den Vizekanzler mit den Worten, die Aussetzung des Familiennachzugs für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sei nicht mit ihm verabredet gewesen. Die Union äußerte sich „sehr verwundert“. Die Opposition reagierte mit Spott auf die neuen Querelen.
Über das Mittelmeer nach Europa: Zahlen zu Flüchtlingen
Trotz der lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer wagen viele Tausend Menschen die Flucht nach Europa. 219.000 Menschen flohen laut Flüchtlingshilfswerk UNHCR 2014 über das Mittelmeer nach Europa; 2015 waren es bis zum 20. April 35.000.
3.500 Menschen kamen 2014 bei ihrer Flucht ums Leben oder werden vermisst; im laufenden Jahr sind es bis zum 20. April 1600.
170.100 Flüchtlinge erreichten 2014 über das Meer Italien (Januar bis März 2015: mehr als 10.100); weitere 43.500 kamen nach Griechenland, 3.500 nach Spanien, 570 nach Malta und 340 nach Zypern.
66.700 Syrer registrierte die EU-Grenzschutzagentur Frontex 2014 bei einem illegalen Grenzübertritt auf dem Seeweg, 34.300 Menschen kamen aus Eritrea, 12.700 aus Afghanistan und 9.800 aus Mali.
191.000 Flüchtlinge stellten 2014 in der EU einen Asylantrag (dabei wird nicht unterschieden, auf welchem Weg die Flüchtlinge nach Europa kamen). Das sind EU-weit 1,2 Asylbewerber pro tausend Einwohner.
...beantragten 2014 in der EU Asyl (2013: 50.000).
202.700 Asylbewerber wurden 2014 in Deutschland registriert (32 Prozent aller Bewerber), 81.200 in Schweden (13 Prozent) 64.600 in Italien (10 Prozent), 62.800 in Frankreich (10 Prozent) und 42.800 in Ungarn (7 Prozent).
Um 143 Prozent stieg die Zahl der Asylbewerber im Vergleich zu 2013 in Italien, um 126 Prozent in Ungarn, um 60 Prozent in Deutschland und um 50 Prozent in Schweden.
Mit 8,4 Bewerbern pro tausend Einwohner nahm Schweden 2014 im Verhältnis zur Bevölkerung die meisten Flüchtlinge auf. Es folgten Ungarn (4,3), Österreich (3,3), Malta (3,2), Dänemark (2,6) und Deutschland (2,5).
600.000 bis eine Million Menschen warten nach Schätzungen der EU-Kommission allein in Libyen, um in den nächsten Monaten die Überfahrt nach Italien oder Malta zu wagen.
Die Koalitionsspitzen hatten sich erst in der vergangenen Woche auf das Gesetzespaket verständigt. Am Mittwoch hatte das Kabinett die Pläne beschlossen. Darin ist unter anderem vorgesehen, für bestimmte Flüchtlingsgruppen den Familiennachzug für zwei Jahre auszusetzen. Gelten soll dies für „subsidiär Geschützte“ - eine derzeit nur kleine Gruppe unter den Flüchtlingen. Es handelt sich um Menschen, die sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen können und auch keinen Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention genießen, aber dennoch wegen Gefahr für Leib und Leben vorläufig in Deutschland bleiben dürfen.
So viel Geld bekommen Flüchtlinge in den europäischen Ländern
800 Euro zahlt das Land im Monat pro Flüchtling. Die Summe muss allerdings versteuert werden.
Quelle: EU-Kommission / Frontex, Stand: 18. September 2015
Die Spanne, die der Inselstaat für einen Asylbewerber zahlt, liegt zwischen 85 und 452 Euro pro Monat.
400 Euro pro Flüchtling / Monat.
352 Euro pro Flüchtling / Monat.
330,30 Euro pro Flüchtling / Monat.
zwischen 85 und 290 Euro pro Flüchtling / Monat.
zwischen 176 und 276 Euro pro Flüchtling / Monat.
232 Euro pro Flüchtling / Monat.
225 Euro pro Flüchtling / Monat.
187 Euro pro Flüchtling / Monat.
177 Euro pro Flüchtling / Monat.
66 Euro pro Flüchtling / Monat.
33,23 Euro pro Flüchtling / Monat.
20 Euro pro Flüchtling / Monat.
18 Euro pro Flüchtling / Monat.
12 Euro pro Flüchtling / Monat.
0 Euro pro Flüchtling / Monat.
In einem früheren Entwurf für das Gesetzesvorhaben waren unbegleitete Minderjährige aus dieser Gruppe noch von einer Beschränkung beim Familiennachzug ausgenommen gewesen, damit sie Eltern nachholen können. In der vom Kabinett beschlossenen Fassung taucht diese Klausel aber nicht mehr auf. Das ARD-Hauptstadtstudio berichtete, Gabriel habe erst durch ARD-Recherchen von der Änderung erfahren. Dabei wurde der Gesetzentwurf wie üblich zwischen allen Ministerien - auch den SPD-geführten - abgestimmt.
Unions-Fraktionsvize Thomas Strobl (CDU) äußerte sich „sehr verwundert“ über die Arbeitsweise und das Verhalten der SPD. „Die Regelungen zum Familiennachzug waren eine zentrale Frage in den Verhandlungen zum Asylpaket II und sind über Wochen breit diskutiert worden“, betonte er. „Vor diesem Hintergrund ist es schon irritierend, dass der SPD-Vorsitzende plötzlich behauptet, nicht im Bilde gewesen zu sein. Außerdem sollte man doch erwarten können, dass die SPD-Ressorts die Gesetzesentwürfe auch genau lesen.“
Die SPD bemühte sich, die Wogen zu glätten. Aus Parteikreisen hieß es, die Sozialdemokraten stünden selbstverständlich weiter zu dem vereinbarten Asylpaket. Es gebe lediglich juristische Unklarheiten, ob die Beschränkung beim Familiennachzug auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelte. Und dies werde innerhalb der Koalition nun schnell und unaufgeregt geklärt. Nach dpa-Informationen sollte das noch im Laufe des Wochenendes passieren. Ein Sprecher des Innenressorts sagte der dpa, sollte es noch Interpretationsbedarf geben, werde dies unter den Beteiligten zeitnah geklärt.
Die Opposition äußerte sich hämisch. „Passend zum Karneval weiß die SPD entweder nicht mehr, was sie beschlossen hat, oder ihr Vorsitzender legt mal wieder ein Solo aufs Parkett“, sagte Linksfraktionsvize Jan Korte. In jedem Fall fehle der SPD in der Frage eine klare Linie. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt beklagte, es sei unfassbar, dass die eine Regierungsseite nicht wisse, was die andere tue - noch dazu bei einem Vorhaben mit derart heftigen Auswirkungen auf minderjährige Flüchtlinge. „Es ist auch höchst bedenklich, dass das den SPD-Ministerien in der Ressortabstimmung noch nicht einmal aufgefallen ist.“