Das ist zunächst einmal gut für Deutschlands Rolle in der Welt. Die Probleme liegen an anderer Stelle: Obwohl sich eine Mehrheit der Deutschen für die Außenpolitik interessiert, nimmt der Stellenwert der Nato und anderer Bündnisse deutlich ab – und mit Militäreinsätzen ist weder im Kriegsgebiet noch bei den Wählern etwas zu gewinnen. Diese Diskrepanz zeigt sich auch deutlich in einer Studie, die in der vergangenen Woche das US-Instituts Pew Research Center veröffentlicht hat. Daraus geht hervor, dass das Vertrauen der Deutschen in die Nato sinkt und eine Mehrheit einem östlichen Bündnispartner nicht gegen einen Angriff Russlands militärisch beistehen würde.
Wenn Russland „in einen ernsthaften militärischen Konflikt“ mit einem östlichen Nato-Land eintreten würde, dann wären der Umfrage zufolge nur 38 Prozent der Deutschen für den Einsatz der Bundeswehr. Von den US-Amerikanern wären 56 Prozent für einen Militäreinsatz auf Seiten des Bündnispartners, von den Polen 48 Prozent.
Fünf Folgen der Wirtschaftskrise in Russland
Das von den Einnahmen aus dem Geschäft mit Öl und Gas abhängige Russland steckt in einer Rezession. Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew erwartet einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um drei Prozent. Im Staatshaushalt klafft eine Finanzlücke.
Wegen des starken Ölpreisverfalls ist der Rubelkurs im vergangenen Jahr im Vergleich zum Dollar und Euro massiv eingebrochen. Den Höhepunkt erreichte der Wertverfall Mitte Dezember, als ein Euro vorübergehend fast 100 Rubel kostete - das entspricht einem Absturz von 90 Prozentpunkten seit Januar 2014. In den vergangenen Wochen erholte sich der Rubel ein wenig. Anfang März mussten Russen für einen Euro noch rund 66 Rubel bezahlen, fast doppelt so viel wie ein Jahr zuvor.
Um den schwächelnden Rubel zu stützen, verkauft die russische Zentralbank im großen Stil Devisen, die die Rohstoffmacht mit dem Verkauf von Öl und Gas angespart hat. Die internationalen Währungsreserven schrumpften nach Angaben der Notenbank seit März 2014 um mehr als ein Viertel von fast 500 Milliarden Dollar (etwa 460 Mrd Euro) auf 360 Milliarden Dollar.
Das Leben in Russland wird rasant teurer. Das merken die Menschen vor allem an der Miete und an der Kasse im Supermarkt. Das Wirtschaftsministerium erwartet für dieses Jahr eine Inflation von rund 12 Prozent. Die Preise für Lebensmittel stiegen in den vergangenen Monaten aber im Durchschnitt sogar um rund 20 Prozent. Experten warnen wegen der Krise in Russland vor einer deutlich höheren Inflation. Manche gehen von bis zu 17 Prozent aus.
Der massive Abzug von Kapital aus Russland ist nach Meinung von Ex-Finanzminister Alexej Kudrin ein schwerer Schlag für die heimische Wirtschaft. 2014 wurden nach Angaben der Zentralbank Vermögenswerte im Wert von mehr als 150 Milliarden Dollar (140 Mrd Euro) aus Russland verlegt, fast zweieinhalb Mal so viel wie im Vorjahr. Für 2015 erwarten die Behörden eine Kapitalflucht von bis zu 100 Milliarden Dollar. Wegen der Senkung der Kreditwürdigkeit Russlands durch internationale Ratingagenturen warnen Experten sogar vor Kapitalflucht von bis zu 135 Milliarden Dollar.
Nur noch 55 Prozent der befragten Bundesbürger sehen der Pew-Untersuchung zufolge das nordatlantische Verteidigungsbündnis positiv. 2009 waren es noch 73 Prozent. Im Osten Deutschlands sind die Nato-Kritiker sogar in der Mehrheit: Nur 43 Prozent haben eine gute Meinung von der Allianz, 46 eine negative. Von den acht von Pew untersuchten Nato-Ländern war in Polen die Zustimmung mit 74 Prozent am größten.
An dieser Stelle wird also einmal mehr deutlich, dass die deutsche Außenpolitik vor einer großen Herausforderung steht: Sie muss den Graben zwischen den politischen Eliten verkleinern, die Entscheidungen treffen und der Bevölkerung, die sich durch manche Entscheidungen schlicht überrannt fühlt.
Fakt ist: Es gibt momentan keine andere Nation, allen voran mit der Bundeskanzlerin an der Spitze, die diese Rolle in Europa und in der Welt ausfüllen kann. "Für die deutsche Außenpolitik war das Jahr 2014 eine Wasserscheide", sagt Nora Müller, Bereichsleiterin Internationale Politik und Leiterin des Hauptstadtbüros der Körber-Stiftung. Angesichts vielfältiger Krisen – allen voran der Ukraine-Konflikt – habe die Bundesrepublik den Anspruch eingelöst, mehr außenpolitische Verantwortung zu übernehmen. „Wir können aber weder ein Selbstverständnis als Insel haben noch einen Anspruch als weltpolitischer Revolutionär", wie es Außenminister Frank-Walter Steinmeier einmal formuliert hat. Vielmehr müsse sich Deutschland Gedanken machen, wo die Interessen liegen und welche Handlungsoptionen es gibt – und natürlich auch wie groß der Handlungsspielraum überhaupt ist. Deutschland ist keine Nation, die alleine bestehen kann, sondern eingebettet ist, in ein System aus Bündnissen, die zu erfüllen sind – und darin eine Führungsverantwortung übernehmen sollte.
Ähnlich sieht das der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Eberhard Sandschneider: "Die Bundesrepublik übt eine aktive Rolle in der Welt aus – und hat nach und nach mehr Verantwortung übernommen, wie man in der Ukraine-Krise und der Griechenlandfrage sehen kann." Mehr Verantwortung zu übernehmen, heiße nicht immer automatisch, militärische Mittel einzusetzen. Das sei das äußerste Mittel. Wichtiger seien politische, soziale und wirtschaftliche Stabilität.
Aber die deutsche Außenpolitik hat sich dennoch verändert: Die Bundesrepublik nimmt deutlich häufiger ihre Verantwortung war, wenn gleich auch deutlich indirekter. Statt aktiv militärisch einzugreifen, schickt Deutschland Ausrüstung und Ausbilder in den Irak, um dort Peschmerga-Kämpfer zu unterstützen. Deutschland unterstütze „diejenigen, die die Flüchtlinge schützen und die sich dem Islamischen Staat entgegenstellen. Das sind die irakischen Streitkräfte und innerhalb der irakischen Streitkräfte auch die Kurden, die Peschmerga.“
Die neue Strategie kann man als deutlich zu langsam bezeichnen, die zu lange braucht, um Entscheidungen zu treffen und zu handeln. Man kann sie aber als unaufgeregt einschätzen, in der Entscheidungen reifen und im geopolitischen Kontext getroffen werden müssen – und das braucht Zeit. Fakt ist aber, dass "Deutschland ganz klar eine Weltmacht ist", wie Eberhard Sandschneider sagt. Aber diese Macht sei zeitlich begrenzt.
Mit Material von dpa und Reuters.