Bücherdschungel zum Reformationsjubiläum Über Luther lesen - aber was?

Die Veröffentlichungen zum Luther-Jubiläum sind zahlreich, einige sind überzählig, alle zusammen zumindest unübersichtlich. Eine Handreichung durch den Bücherdschungel zum Reformationsjubiläum.

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Alle Wege führen zu Martin Luther in diesem Bücherfrühling. Quelle: Presse

Alle Wege führen zu Martin Luther in diesem Bücherfrühling; die Zahl der Standardwerke und Neuveröffentlichungen, der Fachaufsätze und Ausstellungskataloge ist so groß, dass normalinteressierte Gelegenheitsleser dabei leicht den Überblick verlieren können.

Fast alle Aspekte von Martin Luthers Leben, Denken und Wirken werden mit Blick auf das „Reformationsjubiläum“ und „Lutherjahr", auf den 500. Jahrestag des Thesenanschlags in Wittenberg am 31. Oktober 2017, in Hunderten von Veranstaltungen wieder und wieder diskutiert - aber gibt es auch so etwas wie eine verbindliche Lektüre, einen verlässlichen Überblick - ein Buch, in dem das Wesentliche so vergnüglich, knapp und zugleich anspruchsvoll geschildert wird?

Ja und Nein. Denn ein Buch über Martin Luther kann nur sehr eingeschränkt auch ein Buch über die Geschichte der Reformation sein, und ein Buch über das "Zeitalter der Glaubensspaltung" hat einen anderen Fokus als die "Geschichte des Protestantismus“. Was also lesen? 

Der schönste, eleganteste Einstieg ins Thema gelingt vielleicht mit Thomas Kaufmanns „Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation“. Es ist beinahe ominös, wie souverän es dem Göttinger Professor für Kirchengeschichte gelingt, einen weiten historischen Bogen zu spannen, der von den Grundbedingungen der Reformation um 1500 und einer farbensatten Schilderung von Luthers Wirken über die Akzentuierung und Ausdifferenzierung der protestantischen Bewegung im 16. Jahrhundert bis hin zu einem Abriss der Wirkungs- und Deutungsgeschichte reicht.

Literaturempfehlungen: Über Luther lesen

Die beiden Erfolgsgeheimnisse des Buches? Erstens: Die Metiersicherheit des Autors. Kaufmann kennt die historischen Großlinien - und weiß genau, mit welchen - überraschend zahlreichen - Details er dabei seine Leser zu beglücken hat. Und zweitens: Die sehr zahlreichen, teils farbigen Illustrationen und Karten, die das Erzählte nicht nur veranschaulichen, sondern auch kommentieren und wortwörtlich „fortbilden“. 

Wer einmal bei Kaufmann gelandet ist, kann sich auch gleich seiner 128 Seiten knappe Monographie „Martin Luther“ zuwenden, erschienen in der erfolgreichen „Wissen“-Reihe bei C.H. Beck. Und sich daneben „Die 95 wichtigsten Fragen: Reformation“ auf den Nachttisch legen, weil der Theologe Johann Hinrich Claussen darin sehr knappe, aber gestochen scharfe Antworten vorzulegen weiß. Beide Büchlein regen mächtig den Appetit an, können aber nicht den Hunger stillen nach mehr Informationen, nach einer großen Biographie über den Reformator.

Blick ins Allgemeine und Detaillierte

Das sehr flüssig geschriebene Standardwerk zum Thema „Luther" hat der Historiker Heinz Schilling bereits 2012 geschrieben: „Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ ist seither sehr zu Recht in mehreren Auflagen und Sonderausgaben erschienen. Der besondere Vorzug des Buches: Schilling geht chronologisch vor, um die biographische Entwicklung Luthers und die Stationen seines Wirkens plastisch nachzeichnen zu können, aber er unterbricht die Chronologie immer wieder zugleich in analytischer Absicht: mit Abschnitten, die wie thematische Querschnitte gestaltet sind - und in denen Schilling etwa Luthers Verständnis von „Wirtschaft, Gesellschaft, Lebenswelten“ oder sein Verhältnis zu „Bilder, Dichtung und Musik“ ordnet.

Ganz anders, gleichfalls sehr lohnenswert ist das Buch der australischen Historikerin Lyndal Roper. Der Titel der deutschen Ausgabe - „Der Mensch Martin Luther“ - ist so einfach wie treffend gewählt, denn Roper stellt uns Luther tatsächlich vor allem als Menschen vor Augen, das heißt: Sie schreibt eine Biographie im engeren Sinne und prüft etwa, wie prägend das Aufwachsen Martin Luthers im Mansfelder Revier und die (schlechten) Erfahrungen des Vaters als Berghauer und Hüttenbetreiber für Luthers spätere Kritik an Zinsnahme und Frühkapitalismus gewesen sein müssen. Die Vergegenwärtigung von Luthers Leben und die Verlebendigung einer Zeit, die sich in ihrer gedachten (Gottes-)Ordnung und im lebensweltlichen Alltag weitgehend unserer Vorstellungskraft entzieht - darin liegt der große Vorzug von Ropers Biografie.

Ein herausragendes intellektuelles Vergnügen ist die Luther-Lektüre von Norbert Bolz: Der Berliner Medienphilosoph nimmt den Reformator in Schutz gegen die im Jubiläumsjahr so zahlreichen Vereinnahmungen seiner Verharmloser - gegen den feierseligen Willen der Protestanten, einem humanitären, solidarischen, versöhnlichen Luther ein Denkmal zu setzen. Bolz stellt uns Luther als einen Radikalchristen vor Augen, als einen Mann der Zumutung für jeden Gläubigen, dessen skandalöse Vorstellung von „Freiheit“ darin besteht, sich Gottes Gnade ausgeliefert zu wissen. Fraglos ein Lektüre-Muss im Lutherjahr.

Um den Blick über Luther hinaus noch einmal ins Allgemeine und Detaillierte zu weiten, seien abschließend drei weitere Bücher kurz empfohlen.

Erstens: Die knappe Monographie „Protestantismus“ des Münchner Theologen Friedrich Wilhelm Graf: Hier sitzt wie immer jedes Wort, jedes Argument - ein Genuss.

Zweitens: „Kampfplätze der Philosophie“ des brillanten Philosophie-Historikers Kurt Flasch, dessen Werke, etwa über Augustin und Meister Eckhart, Legende sind und der sich mit „Warum ich kein Christ bin“ auch eine breitere Leserschaft erschrieben hat: Flasch schildert in seinen „Kampfplätzen“ auch die Kontroverse zwischen Luther und Erasmus über den freien Willen - vielleicht die historisch wichtigste Debatte über „individuelle Freiheit“ vor dem 18. Jahrhundert.

Und drittens: Hermann Barge und seine knapp 60-seitige Schrift „Luther und der Frühkapitalismus“ aus dem Jahre 1937/38 - nur antiquarisch in einer Ausgabe aus dem Jahre 1951 erhältlich. Darin stellt uns der Autor Martin Luther als einen Mann vor Augen, dem „Mammonismus und Evangelium als unversöhnliche Gegensätze“ erschienen - und der zeit seines Lebens an einer Differenzierung von (zu billigender) Zinsnahme und (zu verurteilendem) Wucher arbeitete.

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