Auf den ersten Blick scheinen der Dieselskandal und der schleppende Breitbandausbau in Deutschland nicht allzu viel gemeinsam zu haben. Und doch, so zeigt sich bei genauerem Hinsehen, hat in beiden Fällen die zu große Nähe von Politikern und Managern dazu geführt, dass Deutschland bei den wichtigsten Zukunftsthemen – Mobilität und Digitalisierung – hinterherhinkt.
Den Autobossen gewährte die Bundesregierung Begünstigungen und Subventionen für den Diesel, schaute aber weg, als sich der größte Betrug der deutschen Industriegeschichte anbahnte. Die Deutsche Telekom in Bonn, einstiger Monopolist im Geschäft mit Telefon- und Internetanschlüssen, wurde davon verschont, den teuren Ausbau schneller Glasfasernetze voranzutreiben. Stattdessen durfte der Konzern an der Konkurrenz vorbei viel zu lange eine verquere Technologie namens Vectoring ausbauen. Dabei motzt die Telekom vorhandene alte Kupferkabel auf, statt teure neue – und vor allem: schnellere und stabilere – Glasfaserleitungen zu legen. Dies werde reichen, um Deutschland auf die nächste Revolutionsstufe der Industrialisierung zu hieven, versprach Telekom-Chef Tim Höttges in Berlin – ähnlich wie die Automanager vom „Clean Diesel“ schwärmten.
Beides hat sich als Illusion entzaubert: Der Sonderstatus für die Telekom, an der der Bund über direkte und indirekte Beteiligungen 32 Prozent hält, führte freilich nicht zu Schummeleien und Betrug wie in der Autoindustrie. Doch der technologische Sprung in die Zukunft, den Höttges versprach, ist ausgeblieben. Der Konzern hing an Kupferkabeln wie die Autoindustrie am Diesel – beides Technologien der Vergangenheit. Der Glasfaserausbau soll, endlich ist die Erkenntnis da, nun in den kommenden Jahren forciert werden.
Die Verzögerungstaktik hat verheerende Folgen: Die derzeitige Infrastruktur reicht nicht aus, um es etwa Unternehmen in Deutschland zu ermöglichen, ihre Fabriken zu vernetzen oder neue digitale Dienstleistungen ruckelfrei an die Kunden zu bringen.
Seit Jahren zieht sich der Ausbau der Netze hin: Deutschland, wo man sich doch als führende Wirtschaftsnation versteht, steht auf Platz 29 von 35 OECD-Ländern, wenn es um die Versorgung mit Glasfaser geht. 23 000 Gewerbegebiete haben hierzulande überhaupt keinen Anschluss ans schnelle Glasfasernetz. Ob die Start-up-Gründerin im Hinterhof in Berlin oder der Mittelständler auf der Schwäbischen Alb – sie alle fühlen sich mit ihrem Problem, einem viel zu lahmen Netz, von Internetanbietern wie Politikern allein gelassen. Auch dies ist eine Parallele zum Dieseldesaster.
Einklagbares Internet
Statt zuzusehen, wie die wichtigsten Unternehmen des Landes technologisch auf Irrwege gelangen, sollte die Politik die Weichen für eine bessere Zukunft stellen. Für die Gewinner der Bundestagswahl gibt es dafür nur einen Weg: Das Thema schnelles Internet muss radikal neu gedacht werden.
Deutschland wird abgehängt
Der Zugang zum Breitbandnetz muss zum Grundrecht erhoben werden. Ähnlich wie es beim Anspruch auf einen Kita-Platz heute schon ist, muss dieses Recht einklagbar werden. In den kommenden vier Jahren muss die neue Bundesregierung zunächst jedem Unternehmen das Recht auf einen Internetanschluss mit einer Power von mindestens einem Gigabit pro Sekunde einräumen – dem Goldstandard in der Branche. In einer späteren Stufe sollte dieses Grundrecht dann auch Verbrauchern gewährt werden.
Zu teuer? Nicht realisierbar? Solche Ausreden gelten nicht. Denn nirgendwo wären die Überschüsse in diesem Land besser investiert als in den Ausbau einer modernen Netzinfrastruktur.
Dem nach der vergangenen Bundestagswahl von der Regierung selbst gesetzten Ziel, bis 2018 jeden deutschen Haushalt mit Breitband von 50 Megabit pro Sekunde zu versorgen, hinkt Deutschland ohnehin hinterher. Für die nächste Regierung ist nun also der richtige Moment, mit den alten Versprechen ganz zu brechen, sich ambitioniertere Ziele zu setzen und zugleich dafür zu sorgen, dass diese auch erreicht werden. So säßen auch mal in Berlin jene Vordenker und Neumacher, die man sonst so gerne auf Trips ins Silicon Valley bestaunt.
Vorbild Schweden
Wie das gelingen kann, zeigt ein Blick nach Schweden. Das Land gilt in Europa als Vorreiter beim Ausbau schneller Netze. Dort ist der Glasfaseranschluss zentraler Bestandteil der Daseinsversorgung, die eine Kommune bereitstellt – wie Straßen, Wasser und Strom. Denn wenn Unternehmen wie die Telekom durchaus schlüssig vorrechnen, sie könnten den Ausbau moderner Netze nicht stemmen, dann muss eben der Staat diese errichten und ihr Eigentümer sein. Hier sollte dem Bund erlaubt sein, den Kommunen beim Ausbau finanziell zur Seite zu stehen. Und wie im Norden kann der Staat seine Leitungen dann an die privaten Telekom-Gesellschaften vermieten. Diese verkaufen Glasfaseranschlüsse weiter, in Schweden machen sie dabei sogar noch Gewinn.
Klar, Deutschland hat mehr Einwohner als Schweden. Mit seinem über das ganze Land verstreuten Mittelstand hat es aber auch mehr zu verlieren. Die Autobranche ist schon als wichtigster Zukunftsantrieb des Landes ausgefallen.