Wulff will einen glasklaren Freispruch, kein Gemauschel Geld gegen Wohlwollen. Das alles ist sein gutes Recht. Und wenn er früher auch immer so geradlinig gewesen wäre, hätte es all seine Probleme nie gegeben.
Das Beharren auf seiner Unschuld ist eine juristische Kategorie, keine politische. Denn ob er sich wirklich nichts hat zu Schulden kommen lassen, wie seine Anwälte für ihn sagen? Ob das strafrechtlich zutrifft, wird das Gericht feststellen. Politisch-moralisch dagegen lassen sich die Zweifel auch mit einem Freispruch nicht ausräumen. Denn es handelte sich Ende 2011/Anfang 2012 nicht um eine aus der Luft gegriffene Medienkampagne, wie nun bisweilen nahegelegt wird (auch wenn es in der Berichterstattung peinliche Ausrutscher wie die vermeintliche „Bobby-Car-Affäre“ der Berliner Zeitung gab). Auch dass der frühere Bundespräsident inzwischen aufgrund seines familiären Pechs Mitleid erfährt, ändert nichts an der Bewertung seines Verhaltens, um das es bei der Frage seines Rücktritts ging.
Chronologie der Wulff-Affäre
Christian Wulff, damals Ministerpräsident von Niedersachsen, bekommt von der Unternehmergattin Edith Geerkens einen Privatkredit über 500.000 Euro zum Kauf eines Hauses in Burgwedel bei Hannover.
Die Grünen im niedersächsischen Landtag wollen vom damaligen Ministerpräsidenten Wulff unter anderem wissen, welche Spenden beziehungsweise Sponsoringleistungen er oder die CDU in den vergangenen zehn Jahren vom Unternehmer Egon Geerkens erhalten haben und ob es geschäftliche Beziehungen zu Geerkens gab. Wulff verneint dies.
Die im Dezember 2009 aufgenommenen Gespräche mit der Stuttgarter BW-Bank führen zur Unterzeichnung eines kurzfristigen günstigen Geldmarktdarlehens, mit dem Wulff das Geerkens-Darlehen ablöst. Der Zinssatz beträgt 2,1 Prozent. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vermutet Ende 2011 einen Zusammenhang zwischen dem sehr günstigen Darlehen und dem Einsatz Wulffs als niedersächsischer Ministerpräsident für den Einstieg des VW-Konzerns bei Porsche.
Der Bundesgerichtshof (BGH) entscheidet, dass Journalisten das Grundbuch von Wulffs Haus einsehen dürfen, wenn dies für eine journalistische Recherche erforderlich ist. Mehrere Medien recherchieren zu dem Fall.
Bundespräsident Wulff besucht die Golfregion und versucht Medienberichten zufolge, den „Bild“-Chefredakteur Kai Dieckmann zu erreichen, um auf die anstehende Berichterstattung über seinen Privatkredit Einfluss zu nehmen. Er spricht Diekmann auf die Mailbox und droht den „endgültigen Bruch“ mit dem Springer-Verlag für den Fall an, dass diese „unglaubliche“ Geschichte tatsächlich erscheine.
Die „Bild“-Zeitung berichtet erstmals über das Darlehen und fragt, ob Wulff das Landesparlament getäuscht habe. Sein Sprecher Olaf Glaeseker teilt mit, Wulff habe die damalige Anfrage korrekt beantwortet. Es habe keine geschäftlichen Beziehungen zu Egon Geerkens gegeben und gebe sie nicht.
Wulff tritt erstmals persönlich in der Affäre an die Öffentlichkeit und entschuldigt sich für seinen Umgang mit den Vorwürfen. Er bekräftigt jedoch, im Amt bleiben zu wollen. „Ich habe zu keinem Zeitpunkt in einem meiner öffentlichen Ämter jemandem einen unberechtigten Vorteil gewährt“, versichert das Staatsoberhaupt. Kurz vor seiner Erklärung im Schloss Bellevue entlässt Wulff seinen langjährigen Sprecher Olaf Glaeseker ohne Angabe von Gründen.
Der Bundespräsident bricht sein Schweigen. In einem Fernseh-Interview zur besten Sendezeit beantwortet Christian Wulff Fragen zur Kredit-Affäre. Im Gespräch mit ARD und ZDF räumte Wulff ein, dass der Drohanruf bei „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann „ein schwerer Fehler“ gewesen sei, der mit seinem eigenen Amtsverständnis nicht vereinbar sei. Der Fehler tue ihm leid und er habe sich auch entschuldigt. Zugleich betonte Wulff, er wolle nicht Präsident in einem Land sein, in dem man sich kein Geld von Freunden leihen könne. Ungeachtet des anhaltenden Drucks in der Kredit- und Medienaffäre machte der Bundespräsident in dem Interview auch klar, dass er nicht zurücktreten wolle. „Ich nehme meine Verantwortung gerne wahr“, sagte Wulff. Mit Blick auf das Darlehen der BW Bank sagte er, es handele sich um normale und übliche Konditionen. Das gesamte Risiko der Zinsentwicklung liege bei ihm, so Wulff. Er habe keine Vorteile genossen, es handele sich um ein Angebot wie für andere auch.
Im Auftrag Wullfs stellt sein Anwalt nun doch Journalisten-Anfragen und Antworten auf knapp 240 Seiten online.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart sieht keine Anhaltspunkte gegen Wulff wegen seines Hauskredites bei der BW-Bank zu ermitteln.
Die Staatsanwaltschaft durchsucht das Haus und Büro von Wulffs Ex-Sprecher Olaf Glaeseker und die Räumlichkeiten des Eventmanagers Manfred Schmidt. Ermittelt wird wegen Korruptionsverdacht. Glaeseker soll die private Lobby-Veranstaltung Nord-Süd-Dialog „gefällig gefördert“ haben.
Die Bild-Zeitung berichtet, dass der Filmunternehmer David Groenewold für Wulff und seine spätere Frau Bettina einen Urlaub auf Sylt gebucht und bezahlt habe. Wulffs Anwalt erklärt, dass der damalige Ministerpräsident die Kosten später in bar beglichen habe. Groenewold soll vor drei Wochen das Sylter Hotel angerufen und zum Stillschweigen verpflichtet haben. Im gleichen Jahr gab das Land Niedersachsen dem Filmunternehmen eine Bürgschaftszusage.
Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragt beim Bundestag die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten. Es bestehe ein Anfangsverdacht auf Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung, so die Staatsanwaltschaft. Der Bundestag entscheidet nun, ob gegen Wulff strafrechtlich ermittelt wird.
Wulff soll als Ministerpräsident Kontakte zu dem Filmfonds-Manager David Groenewold gehabt haben. Auch gegen Groenewold wird ermittelt. Der Antrag zur Aufhebung der Immunität gegen einen Bundespräsidenten ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik.
Wulff erklärt seinen Rücktritt, woraufhin die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen beginnt.
Fünf Beamte des niedersächsischen Landeskriminalamts und ein Staatsanwalt durchsuchen das Wohnhaus von Wulff in Großburgwedel.
Denn Wulff hat nicht jene Distanz gewahrt, die schon für einen Ministerpräsidenten angemessen, für ein Staatsoberhaupt aber zwingend ist. Gern hat er als Landesvater in Niedersachsen persönliche Freunde zu Delegationsreisen ins Ausland mitgenommen – im Falle seines väterlichen Freundes Egon Geerkens zu einem Zeitpunkt, als der weder geschäftlich aktiv war, noch in Niedersachsen wohnte. Auch wenn alle Delegationsteilnehmer die Reisekosten selber tragen (wie Journalisten auf solchen Touren auch), ist der Vorteil offensichtlich – von der perfekten Organisation bis zum Zugang zu Gesprächspartnern, die man sonst nicht so einfach treffen würde.
Üblich ist es auch durchaus, dass sich Ministerpräsidenten für Projekte von heimischen Unternehmern einsetzen; das können im Einzelfall sogar persönliche Freunde sein, wenn diese Freundschaft nicht gerade aus rein geschäftlichen Zwecken erst begründet wird. Nur einladen lassen sollte man sich dann eben nicht.
Nicht zu vergessen: Im Landtag zu Hannover hat Christian Wulff nicht die Wahrheit über seine privat-geschäftlichen Beziehungen zu seinem väterlichen Freund gesagt, als nach der Finanzierung des Privathauses gefragt wurde. Bei der Organisation der umstrittenen Veranstaltungen des „Nord-Süd-Dialogs“ zwischen Niedersachsen und Baden-Württemberg lief nicht alles sauber. Noch wird ermittelt, wer wie die Sponsoren-Beiträge von fördernden Unternehmen eingeworben hat. Von der Beteiligung seines engsten Vertrauten und früheren Regierungssprechers, den Wulff einst als seinen Zwilling bezeichnete, wollte der frühere Regierungschef aber später nichts gewusst haben.
Das Einleiten des Ermittlungsverfahrens, um dessen Ende es nun geht, war nur der Anlass für den Rücktritt Christian Wulffs als Bundespräsident. Der Grund war sein fehlendes Gefühl dafür, was ein Repräsentant eines Landes sich erlauben kann, auch wenn die kritisierten Vorfälle in seine Zeit in Niedersachsen fallen. Gerade das Staatsoberhaupt soll Vorbild sein. Ja, da wird mehr verlangt als vom Normalbürger – es ist aber auch niemand verpflichtet, sich zum Bundespräsidenten wählen zu lassen. Nur prüfen sollte man sich halt vorher.