„Wir haben da ein Werkzeug geschaffen, mit dem jeder arbeiten kann, wenn es nötig ist“, erklärt Masseida. „Wenn Sie eine Kettensäge kaufen, laufen Sie ja auch nicht gleich in den Wald und machen alle Bäume platt.“ Schon recht, und dennoch zeigen gerade diese banalen Beispiele, dass die allumfassende Transparenz etwas Grundsätzliches verändern könnte im Umgang zwischen Bürgern und Staat. Vertrauen in die Arbeit der Behörden wird durch die Illusion umfassender Kontrolle ersetzt.
Die Überwachungspraktiken der NSA
Die Überwachungspraktiken des US-Auslandsgeheimdiensts NSA stehen seit der Enthüllung durch den Informanten und IT-Experten Edward Snowden in der Kritik. Einige Beispiele, über die Medien berichtet haben.
Nach Snowdens Enthüllungen zapfen die USA die Rechner von Internet-Firmen an, um sich Zugang zu Videos, Fotos, E-Mails und Kontaktdaten zu verschaffen. Der Datenhunger betrifft auch die Kommunikation in Europa, darunter Deutschland und Frankreich. Die Möglichkeit dazu bietet unter anderem das Spionageprogramm „Prism“.
Der Geheimdienst NSA und sein britischer Gegenpart GCHQ sollen in der Lage sein, einen Teil der Verschlüsselung und der Datentunnel im Internet zu knacken. Das soll nicht nur Online-Banking und Internet-Shops betreffen, sondern auch Internet-Dienstleister wie Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, AOL, YouTube, Skype, AOL und Apple.
Telefon- und Videoverbindungen gelten ebenfalls als nicht sicher. So soll die NSA die Vereinten in New York abgehört und deren Videokonferenzanlage angezapft haben. Betroffen sei auch die EU-Vertretung bei der Uno.
Der Geheimdienst soll auch Millionen chinesischer Mobilfunknachrichten sowie wichtige Datenübertragungsleitungen der Tsinghua-Universität in Peking ausspioniert haben. In Frankreich sollen Wirtschaft, Politik und Verwaltung betroffen sein - allein Ende 2012 und Anfang 2013 rund 70,3 Millionen Datensätze von Telefonverbindungen. In Mexiko sollen Regierungsmitglieder bespitzelt worden sein.
Die Kontrolle des Staats durch seine Bürger ist ein hehres Ziel, für das es bereits einige Instrumente gibt. Das Informationsfreiheitsgesetz garantiert, dass auf konkrete Anfragen ziemlich umfassende Antworten folgen müssen. „Wir müssen wegkommen von dieser Rolle als Bittsteller, wo der Bürger im Prinzip als Querulant gesehen wird“, sagt Masseida. Bisher musste der Bürger sich rechtfertigen, warum er etwas wissen will. Ab jetzt soll der Staat begründen, wenn er Dinge nicht verraten will.
Unternehmer haben Angst vor ihrer Konkurrenz
Das ist mit dem Gesetz zweifellos gelungen. Doch vor lauter Begeisterung über die Vorzüge der Offenheit wurde wohl vergessen, dass diese auch jemanden bloßstellen kann: den Menschen dahinter. „Wenn ich eine Ausschreibung der Stadt gewinne, kann ab sofort jeder Konkurrent sehen, mit welchen Preisen ich kalkuliere“, sagt Tobias Bergmann, Geschäftsführer des Hamburger Beratungsunternehmens nordlicht consultants.
Zwar gilt das Transparenzgesetz für alle Aufträge in gleicher Weise, aber eben nur innerhalb Hamburgs. „Ein Unternehmer aus Bayern kann seine Kalkulation darauf abstimmen, ohne dass ich Ähnliches über seine Angebote wüsste“, sagt Bergmann. Zwar dürfen Unternehmen der Verwaltung vorschlagen, was in einem Vertrag geschwärzt werden soll, die Entscheidung aber verbleibt bei den Beamten. So erfährt man auf dem Transparenzportal, dass das Ingenieurbüro WKC Hamburg für die „Instandsetzungsplanung für die 85 Meter lange Kaimauer am Lotsekai“ insgesamt 130.827 Euro erhalten hat. Wäre es ein Wunder, wenn bei der nächsten Kaimauer einer 129.000 Euro bietet?
Selbst wenn es nicht zu solchen direkten Folgen kommt, ändern wird sich der Geist, der durch die Behördenflure weht. Am Dienstag folgte das Dokument „Hausordnung der Behörde für Justiz und Gleichstellung“. Punkt 11.3.2: „Das Abstellen von Fahrrädern in Büros oder auf Verkehrsflächen innerhalb des Dienstgebäudes ist untersagt.“ Oder 11.4: „In die Papierkörbe sind nur Papierabfälle zu entsorgen.“ Geht jetzt ein Bürger hin und schwärzt einen Mitarbeiter wegen solcher Verstöße an, wenn der sein Begehren ablehnt? Wer zur Blockwartmentalität neigt, dem eröffnen sich ganz neue Betätigungsfelder.
Bis auf Weiteres scheint der Hamburger im Allgemeinen noch recht harmlose Ziele zu verfolgen: Der meistgesuchte Begriff in den ersten Tagen lautete „Baumkataster“.