Demokratie braucht Außenseiter "Donald Trump ist ein tückischer Störenfried"

Der Philosoph Dieter Thomä huldigt dem guten Störenfried in Politik, Kunst und Wirtschaft – und rechnet mit bösen Störenfrieden wie AfD-Wählern und Donald Trump ab.

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Dieter Thomä Quelle: Malte Jäger

WirtschaftsWoche: Herr Thomä, auch der Störenfried ist nicht mehr das, was er mal war. Ein Künstler, der die bestehende Ordnung herausfordert. Ein Unternehmer, der die Welt mit Innovationen umpflügt. Heute heißen die Störenfriede Frauke Petry und Donald Trump.
Dieter Thomä: Trump ist ein tückischer Störenfried. Er ist seit Jahrzehnten auf einem Ego-Trip und brüstet sich damit, dass er keine Steuern zahlt. Er versucht das Gemeinwesen für seine Zwecke zu benutzen und manchmal auch auszutricksen. Besonders tückisch ist, dass dieser selbstbezogene Typ sich jetzt zum Häuptling macht in einem Feldzug gegen „das System“. Er macht sich damit zum Sprecher eines Aufstands, den ich als gestörte Störung bezeichne. 

Gestörte Störung? Was meinen Sie damit?
Der Störenfried ist normalerweise jemand, der am Rand steht und Unruhe in eine Ordnung trägt. Trump, die Rechtspopulisten in Europa, auch die AfD-Wähler hierzulande verstehen sich in diesem Sinne als Störer: Sie stinken gegen etwas an. Aber die eigentliche Triebkraft hinter ihrer Störung ist der Wunsch, dass wieder totale Ordnung herrscht. Gestörte Störung also. Dahinter steckt das Ziel, die Welt so übersichtlich zu machen wie den eigenen Vorgarten. Ein Welt, in der nichts Unerwartetes passiert und alles Irritierende zum Hassobjekt wird.

Die Sehnsucht dieser Störenfriede zielt also paradoxerweise darauf ab, den Störenfried ein für alle Mal zum Verstummen zu bringen? Das ist totalitäre Denken.
Ja. Aber Vorsicht. Das Streben nach totaler Ordnung ist etwas anderes als die Sehnsucht nach Ruhe, der Wunsch nach Frieden. Er kann einen ehrenwerten Hintergrund haben. Woher kommt dieser Wunsch? Nun, unsere westlichen Gesellschaften schaffen permanent viel Neues. Sie halten uns in Unruhe. Wir sind in ihnen ständig unterwegs. Anders gesagt: Unsere Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass Störungen in ihr eingebaut sind, ja: dass Störungen sie schmücken. Sie soll eine Schutzzone sein. Aber auch ein Kraftfeld. Dazu muss man stehen. Das muss man aushalten.

Und wenn nicht? Welche Wege stehen dem Ruhebedürftigen offen?
Es gibt da eine riesige Bandbreite. Das eine Extrem ist der Typ, der sich in eine Nische zurückzieht. Dem wird der Gartenzwerg zum Goldjungen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Eine solche Rückzugshaltung ist nicht totalitär. Wohl aber schade, weil sich Menschen selbst Unbeweglichkeit auferlegen. Das andere Extrem ist der Schläfer, der im sterilen Zelt der reinen Lehre von einer heilen Welt träumt, die er dann in der Wirklichkeit herbeibomben will. Das ist dann die radikalste Form der gestörten Störung. Bei diesem grausigen Gesellen wäre es schon fast ein Kompliment, ihn Störenfried zu nennen.

Und zwischen dem harmlosen Nischenbewohner und dem terroristischen Schläfer tummelt sich der dritte Typ, der AfD-Wähler?
Er wird von einer unheimlichen Angst vor Unsicherheit getrieben und will sich mit autoritären Mitteln in eine heile Welt zurückversetzen. Das heißt häufig auch: in eine Welt, in der Besitzstände gewahrt oder Verlustängste vertrieben werden. Die Populisten hierzulande sind ja nicht denkbar ohne das Bewusstsein: Ich gehöre auf die Sonnenseite des Lebens – und die Sonne soll hier bitte auch in Zukunft nur für mich leuchten.

Auffällig an diesen Störenfrieden ist, dass sie nie allein auftreten. Dass sie als Randständige eine Masse repräsentieren wollen.
Der massive Störenfried ist kein Individualist. Er braucht die Vorstellung, dass viele gleich ticken. Der terroristische Schläfer etwa imaginiert sich zum Mitglied einer weltumspannenden Gemeinschaft. Der frustrierte Typ, der in Deutschland eine rechtspopulistische Partei wählt, ist getrieben vom Willen, eine Front zu bilden. Seine Parole ist: Bleiben wir unter uns.

Und mit Hilfe von Facebook finden solche Typen lauter kleine Öffentlichkeiten, um ihre Fronten zu bilden?
Eher Feedbackschleifen der gegenseitigen Selbstbestätigung. Sie sind bequem, weil sie eine Art Normalität generieren: Wenn andere auch meine Meinung haben, scheint sie okay zu sein. Mit dem Daueraufenthalt in der eigenen „community“ zieht man eine Isolierschicht um das eigene Leben, weil man keinen Irritationen mehr ausgesetzt ist und sich auf sehr billige Weise selbst bejaht. Die sozialen Netzwerke generieren Mini-Massen, in denen sich Individuen wechselseitig applaudieren.

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