Es ist zwar kein Trost, aber dieser Befund betrifft dieser Tage nicht nur das BAMF. Unter dem Andrang Hunderttausender Flüchtlinge hat sich eine deutsche Stärke, die nüchterne Bürokratie mit ihrer Ordnung und Sachlichkeit, in eine Schwäche verwandelt: Das System ist zu kompliziert, zu langsam, zu unflexibel, um der historischen Lage Herr werden zu können. Öffentliche Stellen, die unkoordiniert nebeneinander her arbeiten, Datenbanken, die sich nicht vernetzen lassen, Bundesländer, die alle ihr eigenes Ding machen – das ist die Realität anno 2015.
Schon bei der Registrierung und erkennungsdienstlichen Behandlung von Flüchtlingen regieren Willkür und Wahnwitz: Für diese Aufgabe ist in der Bundesrepublik nämlich nicht nur das BAMF zuständig, sondern gleich fünf Institutionen. Je nachdem, wo ein Flüchtling sich meldet oder aufgegriffen wird, wird die Prozedur von der Bundes- oder der Landespolizei, von der örtlichen Ausländerbehörde, der Erstaufnahmeeinrichtung oder eben auch vom BAMF selbst vorgenommen.
Somit entscheidet der Zufall darüber, ob Informationen wie Fingerabdrücke und Passbild zuerst in der Datenbank Afis-A des Bundeskriminalamtes (BKA) landen, in den Maris und Eurodac genannten Sammlungen des BAMF, im Ausländerzentralregister oder in den jeweiligen landeseigenen Asyldatenbanken, die etwa Migvis (Baden-Württemberg) oder AVU-Asyl (NRW ) heißen.
Das wäre zwar unübersichtlich, aber nicht weiter schlimm, würde es einen Informationsaustausch zwischen all diesen Datensätzen geben – den gibt es aber kaum. Das BAMF nimmt via Eurodac den Abgleich mit den europäischen Partnern wahr, darf aber nicht auf das nationale BKA-Material zugreifen und andersherum.
Ausländerbehörden und BKA verfügen über keinerlei Schnittstellen, um Personalien und Informationen zu teilen, ebenso wenig können BKA und Erstaufnahmeeinrichtungen digital miteinander kommunizieren. Im Angesicht der historisch hohen Zahl von Asylbewerbern muss man deshalb konstatieren: Dank Föderalismus und deutschem Datenschutz wird Arbeit gleich zu Beginn der Flüchtlingsverwaltung nicht verteilt, sondern mehrfach erledigt.
So viel Geld bekommen Flüchtlinge in den europäischen Ländern
800 Euro zahlt das Land im Monat pro Flüchtling. Die Summe muss allerdings versteuert werden.
Quelle: EU-Kommission / Frontex, Stand: 18. September 2015
Die Spanne, die der Inselstaat für einen Asylbewerber zahlt, liegt zwischen 85 und 452 Euro pro Monat.
400 Euro pro Flüchtling / Monat.
352 Euro pro Flüchtling / Monat.
330,30 Euro pro Flüchtling / Monat.
zwischen 85 und 290 Euro pro Flüchtling / Monat.
zwischen 176 und 276 Euro pro Flüchtling / Monat.
232 Euro pro Flüchtling / Monat.
225 Euro pro Flüchtling / Monat.
187 Euro pro Flüchtling / Monat.
177 Euro pro Flüchtling / Monat.
66 Euro pro Flüchtling / Monat.
33,23 Euro pro Flüchtling / Monat.
20 Euro pro Flüchtling / Monat.
18 Euro pro Flüchtling / Monat.
12 Euro pro Flüchtling / Monat.
0 Euro pro Flüchtling / Monat.
Dieses verheerende Urteil erstreckt sich leider bis auf die Politik. Anfang November hatten die drei Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) nach einem der vielen Krisentreffen mit großer Entschlossenheit „eine Datenbank“ für Asylbewerber in Aussicht gestellt. Was sie verschwiegen: Sehr Ähnliches hatte die Kanzlerin gemeinsam mit den Bundesländern bereits Ende September versprochen. Damals war nur etwas komplizierter von „einer gemeinsamen Softwarelösung“ zur „medienbruchfreien Kommunikation“ und baldigen „Digitalisierung des Asylverfahrens“ die Rede.
Seitdem ist jedoch wenig passiert. „Der gesetzlich vorgeschriebene Datenaustausch zwischen den an den Asyl- und Dublinverfahren beteiligten Behörden ist bisher noch nicht in allen Zweigen der Kommunikation medienbruchfrei möglich“, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesinnenministeriums auf Anfrage der WirtschaftsWoche. Automatische Datenabrufe und Schnittstellen bestünden nur „teilweise“.
Deutsche Verwaltung nicht auf dem Stand der Technik
Zum Stand des demnach dringend benötigten einheitlichen IT-Systems, in dem Bund und Länder ihre Asylbürokratie bündeln können, lässt das Innenressort lediglich ausrichten: „An einer Realisierung wird gearbeitet.“ Falls erforderlich, würden „dafür geeignete öffentliche Ausschreibungen durchgeführt“.
Zunächst muss ohnehin das Gesetz fertig werden und den Bundestag passieren. Danach müsste der Auftrag wohl EU-weit ausgeschrieben werden. Das, so heißt es aus Regierungskreisen, könnte einen bis zu anderthalb Jahre dauernden Vergabeprozess nach sich ziehen. Im Klartext: Die deutsche Verwaltung wäre frühestens im Laufe des Jahres 2017 auf dem Stand der Technik, die sie eigentlich 2015 bräuchte.