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Globaler Fachkräftemangel "Kluge Köpfe werden wichtiger als Kapital"

Rainer Strack, Personalexperte bei der Boston Consulting Group, über den drohenden globalen Fachkräftemangel – und wie deutsche Politik und Unternehmen ihm begegnen sollten.

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Die Internet-Riesen suchen Mitarbeiter
Der Pharmahersteller Sanofi-Aventis will einem Bericht zufolge in Frankfurt rund 1000 neue Stellen schaffen. Noch in diesem Jahr wolle der Konzern 500 zusätzliche Mitarbeiter an seinem Standort in Frankfurt-Höchst einstellen, berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Samstag) unter Berufung auf „informierte Kreise“. Bis 2017 sei ein weiterer Personalaufbau um 500 Arbeitsplätze geplant. Für die Produktion von Medikamenten für Zuckerkranke werde mehr Personal benötigt, schreibt die Zeitung. Eine Sprecherin des Unternehmens wollte den Bericht am Samstag nicht kommentieren. Das Frankfurter Werk ist laut Sanofi der weltweit größte Produktionsstandort für Insulin. Quelle: dpa
Der Gabelstapler-Hersteller Kion will kräftig in seine Forschung und Entwicklung investieren. In China sollen in den nächsten eineinhalb Jahren bis zu 150 neue Entwickler eingestellt werden, sagte Vorstandschef Gordon Riske in einem dpa-Interview in Wiesbaden. Der weltweit zweitgrößte Gabelstapler-Hersteller hat insgesamt elf Entwicklungszentren mit rund 950 Beschäftigten, davon vier in den Wachstumsmärkten China, Indien und Brasilien. Alleine etwa 300 Entwickler arbeiten in China. Mit den neuen Jobs will Kion vor allem Fahrzeuge für den asiatischen Raum entwickeln, aber auch Produktplattformen für andere Wachstumsmärkte entwerfen. Quelle: dpa
Der Autobauer Daimler übernimmt an seinem größten Produktionsstandort Sindelfingen 200 Leiharbeiter in eine Festanstellung. Dies teilte der Betriebsrat mit. Hundert von ihnen bekommen zunächst allerdings auf ein Jahr befristete Verträge. „Daimler wächst weltweit“, erklärte ein Sprecher. „Deshalb schaffen wir im Konzern neue Stellen.“ Der Autobauer steht derzeit wegen seiner Werkverträge in der Kritik und bemüht sich nun um eine Besserstellung der nicht fest angestellten Arbeitskräfte. Zuletzt hatte der Dax-Konzern bereits zahlreiche Werkverträge in bessergestellte Leiharbeitsverhältnisse geändert. Für diese gelten Tarifrechte wie der Anspruch auf eine feste Stelle nach 24 Monaten. Quelle: REUTERS
Dank guter Auslastung in seinen deutschen Werken übernimmt der Volkswagen-Konzern zum Jahreswechsel rund 1500 Leiharbeiter. 912 Zeitarbeitskräfte im Wolfsburger Stammwerk und 572 Zeitarbeitskollegen aus den anderen deutschen VW-Fabriken werden fest angestellt. Die Regelung gelte für alle VW-Leiharbeiter, die im Dezember, Januar oder Februar seit drei Jahren durchgehend in den deutschen VW-Werken gearbeitet haben werden. Eine neue Befristung wäre für die rund 1500 auf Zeit Angestellten gesetzlich verboten gewesen - VW hätte sie also entlassen oder, wie nun geplant, fest übernehmen müssen. Quelle: AP
Bosch stellt in Deutschland, Italien, Portugal und Spanien zusätzlich 100 Ausbildungsplätze für Jugendliche aus Südeuropa zur Verfügung. Hintergrund der Maßnahme ist die dort hohe Jugendarbeitslosigkeit. Das Projekt soll mit Ausbildungsjahr 2014 starten. Zusätzliche 50 Ausbildungsplätze in Deutschland werden mit Bewerbern aus Spanien besetzt. Für die Initiative werden rund 7,5 Millionen Euro über die nächsten vier Jahre zur Verfügung. Quelle: dpa
Der Sportwagenbauer Porsche hat im vergangenen Jahr seinen Mitarbeiterstamm deutlich ausgebaut. Ende September beschäftigte die VW-Tochter 18.882 Mitarbeiter nach 17.066 im Vorjahr, wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte. Rund 700 Stellen seien im neuen Macan-Werk in Leipzig geschaffen worden, sagte ein Sprecher, der Rest am Porsche-Stammsitz in Zuffenhausen und im Entwicklungszentrum in Weissach nahe Stuttgart. Bis 2018 will Porsche seine Belegschaft auf gut 20.000 ausbauen. Der operative Gewinn der Sportwagenschmiede stagnierte allerdings in den ersten neun Monaten bei 1,89 Milliarden Euro. Grund seien die hohen Investitionen, sagte Porsche-Chef Matthias Müller. Porsche investiert in diesem Jahr rund 1,3 Milliarden Euro - unter anderem in die neue Macan-Produktion in Leipzig und rechnet deshalb 2013 mit einem Gewinn auf Vorjahresniveau. Bei Umsatz und Absatz ist der Sportwagenbauer dagegen auf dem Weg zu neuen Rekordwerten. Die Erlöse steigerte Porsche in den ersten neun Monaten um drei Prozent auf 10,4 Milliarden Euro. Dabei lieferte der Sportwagenbauer von Januar bis September fast 120.000 Fahrzeuge an Kunden aus - ein Plus von 15 Prozent. Quelle: dpa
BNP Paribas wird ihr Geschäft in Deutschland ausbauen und rund 500 Menschen einstellen. Es ist eine der führenden Geschäftsbanken in Frankreich - und eine der größten Banken Europas. Sie wird damit zum Konkurrenten der Deutschen Bank. Mit der Aufstockung der Mitarbeiter hat BNP Paribas dann rund 4000 Mitarbeiter in Deutschland. Quelle: REUTERS

WirtschaftsWoche: Herr Strack, in einer neuen Studie analysieren Sie, wie sich der Fachkräftebedarf in den 25 wirtschaftsstärksten Ländern der Welt bis 2030 entwickeln wird. Was hat Sie an den Ergebnissen selbst am meisten überrascht?

Rainer Strack: Die Alterung unserer Bevölkerung ist ein Megatrend der Megatrends, auch wenn er derzeit durch akute Herausforderungen wie die Schuldenkrise überlagert wird. Dass es einen immensen demografischen Druck geben wird, der auf die Arbeitsmärkte übergeht, hat mich nicht überrascht. Aber: Das globale Ausmaß der Unterdeckung ist tatsächlich dramatisch.

Zur Person

Gilt diese Diagnose für alle Länder gleichermaßen?

Nein, die Demografie schlägt nicht überall mit der gleichen Wucht zu. Im Jahr 2020 ist die Lage noch gemischt, mit Überhängen etwa in Frankreich, Spanien oder Italien, aber 2030 sehen wir fast überall Personalmangel. Länder mit Personalüberhang gibt es nur wenige, etwa die USA oder Südafrika. Europa hingegen droht abgehängt zu werden. Die gern gebrauchte Losung, dass die EU aus der Eurokrise herauswachsen will, muss mit einem dicken demografischen Fragezeichen versehen werden.

Rainer Strack Quelle: Presse

Nun ist der Mangel oder Überschuss an Arbeitskräften nur ein erster Anhaltspunkt. Die eigentliche Frage ist, doch wie qualifiziert die Leute sind.

Das Füllen der Lücken wird in jedem Fall Schwerstarbeit. Bildung und Qualifikation sind ein wichtiger Schlüssel, um Produktivitätsreserven zu heben. Mindestens ebenso wichtig sind andere politische Stellschrauben: Zuwanderung auf hohem Niveau, mehr Frauen in Vollzeitstellen zu bringen, ebenso mehr Ältere auf dem Arbeitsmarkt zu halten.

Was bedeutet das konkret für das stark alternde Deutschland?

Nach unseren Prognosen werden uns bereits 2020 rund 2,4 Millionen und im Jahr 2030 sogar bis zu zehn Millionen Arbeitskräfte fehlen, nur um das durchschnittliche Wachstum der vergangenen 20 Jahre in Zukunft zu halten. Ein Hebel alleine reicht da nicht, um gegenzusteuern. So müsste sich der Anteil der Arbeitnehmer über 65 Jahre mehr als verdoppeln. Die Frauen-Erwerbsquote müsste von 71 Prozent auf 80 Prozent steigen. Und: Wir bräuchten eine Netto-Zuwanderung von rund 460.000 Menschen, Jahr für Jahr. Und zusätzlich müsste die Arbeitsproduktivität signifikant erhöht werden. Andernfalls wird Deutschland sein BIP- Wachstum der vergangenen Jahre nicht halten können und könnte in ein Japan-Szenario abdriften.

Derzeit erleben wir einen Run nach Deutschland, aber der ist vor allem krisenbedingt und eher nicht nachhaltig.

Deshalb benötigt die Bundesrepublik dringend eine Talent-Strategie. Der globale Wettbewerb um Fachkräfte hat begonnen, es wird weltweit um eine Ressource gerungen, die immer knapper wird. Dänemark beispielsweise hat ein „Work in Denmark Center“ in Neu Delhi aufgemacht, um sehr offensiv neue Talente anzuwerben.

Politik ist das eine. Was bedeutet der Fachkräftemangel für Unternehmen?

Personalmanagement wird zur zentralen Herausforderung. Wir werden bald erleben, dass der Personalvorstand  deutlich an Bedeutung gewinnt. Es wird um Köpfe gehen und weniger um Kapital. Denn es ist der Personaler, der die knappste Ressource managt. Strategische Personalplanung, Recruiting-Strategien, Bindungs- und Motivationsprogramme werden der Schlüssel für die erfolgreichen Unternehmen sein.

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