Die Reaktion war heftig, der Spott kreativ. Junge Union und Junge Liberale veranstalteten vor der Parteizentrale der Grünen ein Protestgrillen mit Slogans wie "Burgerrechte für alle" oder "Mein Bauch gehört mir". Empörte Twitterer wetterten: "Was kommt als Nächstes: donnerstags kein Fleisch und mittwochs nur gleichgeschlechtlicher Sex?" Witzbolde passten Filmtitel vegetarisch korrekt an: "Das Schweigen der Schlemmer", "Vom Rinde verweht" und "Kill Dill". Und der Münsteraner CDU-Mann Josef Rickfelder verglich gar schon im Januar den von den Grünen propagierten "Veggieday" mit dem Eintopftag der Nazis. Das Geld, das beim Verzicht auf den Sonntagsbraten gespart wurde, sammelten nach 1.933 Freiwillige an der Haustür für das Winterhilfswerk ein.
Moralischer Gemüsezwang
Der grüne Regierungsanspruch bis in Topf und Teller hat den Bundestagswahlkampf - anders als Drohnendebakel und NSA-Abhörpraktiken - erstmals zum Kochen gebracht. Zwar beeilte sich Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt klarzustellen, die Grünen wollten das Fleischessen nicht verbieten, sondern nur für den Verzicht auf Wurst, Steak und Schnitzel werben (und natürlich jene Kantinen und Restaurants "fördern", die donnerstags ihren Speisezettel ethisch säubern). Das ist gut für die eigene Gesundheit und mindert das Leid der Massenhaltungstiere. Doch die siedende Stimmung entspringt nicht nur deutscher Fleischeslust, sondern auch dem Gefühl, dass der moralische Gemüsezwang exemplarisch steht für die Grundlinie der Ökopartei: das Land umzuwandeln in ein Umerziehungslager, in dem Gutmenschen aus ihren Mitbürgern Bessermenschen machen wollen.
Im Bionade-Biedermeier darf der mündige Kunde nicht frei entscheiden. "VerbraucherInnen haben die Verantwortung, durch ihr Konsumverhalten ein Zeichen für mehr Nachhaltigkeit zu setzen", verlangt das Grünen-Wahlprogramm. Mit der Anmaßung, in nahezu jeden Lebensbereich der Bürger eingreifen zu müssen, lassen sich sogar die diversen von den Grünen geplanten Steuererhöhungen rechtfertigen. Und nicht nur, um externe Kosten beispielsweise für Umweltschäden einzupreisen und über höhere Preise Ungeliebtes zu ächten und zu verdrängen. Auf Seite 76 des Wahlprogramms heißt es in schönster Offenheit: "Eine solide Finanzpolitik eröffnet demokratische Gestaltungsspielräume und macht so Einmischung erst möglich."
Wer ein Gefühl für grüne Regelungswut entwickeln möchte, arbeitet sich durch 319 Seiten Bundestagswahlprogramm. Keine andere Partei kommt auf so viel Text. Union und SPD begnügen sich für ihre "Regierungsprogramme" mit 128 beziehungsweise 118 Seiten. Das "Bürgerprogramm" der FDP findet auf 95 Seiten statt, die Linkspartei braucht gar nur 86.
Der Wurzelwahn, der nach Gender- nun auch Gemüse-Mainstreaming verlangt, ist nur die Spitze des Eisbergsalats. Gestartet sind die Grünen einst als Protestbewegung mündiger Bürger gegen die Obrigkeit. Inzwischen weiß das Matriarchat in schönstem Paternalismus, was für die Bürger das Beste ist (was die eben selbst noch nicht wissen, die Dummchen). Das Wahlprogramm wartet mit einer ganzen Reihe von Verboten und gesellschaftlichen Benimmregeln auf.
"Solide Finanzpolitik macht Einmischung erst möglich"
An öffentlichen Orten soll auf "unnötige Beschallung verzichtet werden" (eine Ethikkommission "Viel Nichts um Lärm" könnte vermutlich einen Leitfaden erstellen, was ein guter, was ein böser Ton ist). Tierversuche, von der Industrie meist ohnehin durch andere Verfahren ersetzt, sollen weitgehend verboten werden. Die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen wird auf 120 Stundenkilometer begrenzt, auf zweispurigen Landstraßen darf nicht schneller als 80 km/h gefahren werden. Per Rahmengesetz sollen die Kommunen ermächtigt werden, auf allen Stadtstraßen Tempo 30 einzuführen. Nachtflüge werden generell untersagt. Ab 2015 ist der Einbau von Ölheizungen verboten. Dass jeder nach seiner Facon selig werden möge, wie es einst Friedrich II. postulierte, rückt da in weite Ferne. Aufgeklärter Absolutismus war gestern.
Der Umerziehungsanspruch hat Tradition. Einst wollten Grünen-Abgeordnete Ferienflüge nur noch alle paar Jahre genehmigen (vielleicht mittels eines Sperrstempels im Reisepass?), mal wollten sie Zirkustiere verbieten und Weichmacher in Sexspielzeug; dann kamen Motorroller auf den Index, später Limonade in Schulen. Außerdem: Computerspiele, Paintball, Standby-Funktion an Elektrogeräten, Süßigkeiten-Werbung im Fernsehen (aber nur vor 20 Uhr, Spätfilm-Kinder dürfen naschen). Auch Plastiktüten könnten verboten werden - aber nur, wenn die geplante Tütensteuer von 22 Cent pro Stück nicht wirkt. Das Dosenpfand lässt grüßen.
Eine Abgaben- oder Steuerlösung wäre ja zumindest die marktwirtschaftliche Variante. Denn dann kann der Konsument wenigstens selbst entscheiden, ob er zum verdammten Produkt greifen möchte, falls er es sich dann noch leisten kann.
Krude Logik
Dieses Privileg freilich ist umstritten. Denn auch Gleichmacherei gehört zum Repertoire. Wer geglaubt hatte, die Forderung nach Abschaffung der 1. Klasse in Regionalzügen sei nur der Spleen der Grünen Jugend Schleswig-Holstein, sah sich getäuscht. Schneller als ein ICE vorbeirauscht, erkannte die Landesvorsitzende der Mutterpartei, dass derlei Klassengesellschaft unzeitgemäß ist. Die krude Logik: Allen gehe es besser, wenn es einigen schlechter geht. Die Bahn verlöre aber vielleicht gut zahlende Kunden.
Der nächste logische Schritt ist das Einheitsauto. Denn warum sollte sich jemand mit mehr Geld einfach so ein größeres, schnelleres, luxuriöseres Fahrzeug leisten dürfen? Der Trabi lässt grüßen. Aber auch bei anderen Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge spielt das Geld eine Rolle. Ja, der Reiche kann den Wasserhahn Stunden lang laufen lassen und daheim die Festbeleuchtung einschalten, was dem Normalverdiener nicht vergönnt ist. Aber muss man das verbieten?
Immerhin, bei Drogen heißt es klar und deutlich im Wahlprogramm: "Wir setzen dabei auf das Selbstbestimmungsrecht der Menschen." Deshalb wollen die Grünen auch "den Eigenverbrauch und privaten Anbau von Canabis legalisieren". Freunde des Rausches sollten sich jedoch nicht zu früh freuen. Denn auch hier heißt es, wie so oft bei den Grünen: Was noch erlaubt ist - wird besteuert.