Jahreswirtschaftsbericht Ein Luxusproblem namens Arbeitskräftemangel

Die gute Konjunktur stellt Deutschland vor ein Problem, das es so seit Jahrzehnten nicht gegeben hat: In einigen Branchen wird es für Arbeitgeber immer schwerer, freie Stellen zu besetzen. Doch nicht alle profitieren vom Boom.

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Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) hat am Mittwoch den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vorgestellt. Quelle: dpa

Berlin Deutschland steht vor einem Luxusproblem, dass es hierzulande seit den 1970er-Jahren nicht mehr gegeben hat: Es gibt zu wenig Arbeitskräfte, jedenfalls in einigen Bereichen. „In der Bauwirtschaft, im Verarbeitenden Gewerbe sowie im Gesundheits- und Pflegebereich macht sich Knappheit bemerkbar“, heißt es im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung. „Der Fachkräftemangel wird ein ernstzunehmendes Problem in dieser Legislaturperiode“, sagte die geschäftsführende Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) am Mittwoch bei der Vorstellung des Berichts in Berlin.

Die positive Kehrseite des Problems mancher Arbeitgeber zeigt sich allerdings für viele Arbeitnehmer: Die Löhne und Gehälter werden in diesem Jahr voraussichtlich mit vier Prozent stärker steigen als die durchschnittlich 1,6 Prozent in den vergangenen fünf Jahren. Dass Arbeitskräfte knapper werden, zeigt sich nach dem Bericht etwa darin, dass es länger dauert, freie Stellen zu besetzen: Die Vakanz-Zeit ist von 50 Tagen im Jahr 2010 auf 100 Tage im vergangenen Jahr gestiegen. Softwareingenieure etwa werden überall gesucht und immer seltener gefunden.

In der Bauwirtschaft allerdings zeigt sich ein gemischtes Bild, wie das DIW festgestellt hat. „Etliche Betriebe zögern, ihre Kapazitäten auszuweiten und mehr Leute einzustellen“, sagt DIW-Bauexperte Claus Michelsen. Die Erfahrung der 1990er-Jahre sitzt in der Branche offenbar tief: Damals gab es nach der Wiedervereinigung einen Bauboom, der 1993 abrupt abbrach und die Baubranche in eine tiefe und lange Rezession stürzte. Michelsen fordert deshalb ein mehrjähriges öffentliches Investitionsprogramm von der neuen Bundesregierung: Dies würde Baufirmen die Sicherheit geben, dass sie auch in den nächsten Jahren noch Aufträge bekommen können.

Der Bau ist eine der wenigen Branchen, in der auch niedrig qualifizierte Menschen eine Jobchance haben. Für sie bleibt es trotz Fachkräftemangel schwer, einen Arbeitsplatz zu finden, heißt es im Jahreswirtschaftsbericht. Auch wenn die Zahl der Beschäftigten vom Allzeithoch von 44,3 Millionen in diesem Jahr auf 45 Millionen steigt, wird es noch bei einer Arbeitslosenquote von 5,3 Prozent bleiben: Denn neben den schlecht Qualifizierten werden auch Ältere nach wie vor ungern neu eingestellt. „Es muss endlich bessere Weiterbildungsmöglichkeiten geben“, verlangt DIW-Chef Marcel Fratzscher.

Ursache für das Luxusproblem Arbeitskräftemangel ist die überaus gut laufende Konjunktur. Nach 2,2 Prozent Wirtschaftswachstum im letzten Jahr soll sich der Aufschwung in diesem Jahr laut Regierungsprognose auf 2,4 Prozent beschleunigen. Der Grund: Nach der in Deutschland seit Jahren gut laufenden Binnenkonjunktur legen seit vergangenem Jahr auch die Exporte kräftig zu: Die Krise im Euro-Raum ist überwunden, die Wirtschaft wächst auch in den Nachbarländern immer stärker. Auch Asien und USA verzeichnen solides Wachstum und der Welthandel legt wieder kräftig zu, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) vergangene Woche feststellte.

All dies führt in Deutschland zu einer Lage, in der die Unternehmen immer mehr, sogar zu höheren Preisen, weltweit verkaufen können. Aber weil es auch in den anderen EU-Ländern gut läuft, sinkt die Einwanderung von Europäern nach Deutschland. „Der Beschäftigungsaufbau der letzten zehn Jahre war in diesem Umfang nur durch Zuwanderung aus der EU möglich“, heißt es im Jahreswirtschaftsbericht. Wenn die europäische Einwanderung ab jetzt ausbleibt, werde sich der Fachkräftemangel verschärfen.

Bisher warnt allerdings erst eines der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, das IfW in Kiel, vor Überhitzungsgefahren, die dazu führen können, dass der Boom schnell in sich zusammenfällt. Die Wirtschaftsweisen etwa sehen das dafür relevante Potenzialwachstum erst leicht überschritten. Eine Lohn-Preis-Spirale, bei der stark steigende Löhne die Inflation anheizen, was wiederum die Löhne treibt, ist bisher nicht zu erkennen. Die Bundesregierung rechnet mit einer Preissteigerungsrate von 1,7 Prozent in diesem Jahr, nach 1,8 Prozent im Jahr 2017. „Die Löhne steigen bislang nicht schneller als die Produktivität und die Inflationsrate ist niedrig“, sagt etwa Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Es kann durchaus sein, dass es im Laufe des Jahres 2018 oder 2019 zu Überhitzungstendenzen kommt, aber wir sind noch nicht so weit“, schätzt er die Lage ein.

Für die neue Bundesregierung heißt dies: Sie muss eine intelligente Einwanderungspolitik betreiben und mehr für Bildung und Weiterbildung tun. Dann bleibt das Problem Fachkräftemangel, was es bislang ist: Ein Luxusproblem.

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