Um kurz nach elf Uhr am Vormittag empfängt Johanna Wanka ihre Ernennungsurkunde von Bundespräsident Joachim Gauck. Nur zwei Stunden später, pünktlich zum ersten öffentlichen Auftritt im neuen Amt, hängt in der Schauvitrine ihres neuen Ministeriumssitzes in Berlin-Mitte bereits ihr Foto. Politik kann manchmal sehr zügig sein.
So voll war es im Pressesaal des Bildungsministeriums schon lange nicht mehr. Weiter so, lautet die unsichtbare Überschrift ihres kurzen Statements. Johannes Wanka (CDU) ist voll des Lobes für ihre Parteifreundin und Vorgängerin: Annette Schavan habe „Wichtiges erreicht“ und hinterließe „große Schuhe, in die ich versuche, zu treten“.
Wanka, studierte Mathematikerin, ehemalige Hochschulchefin und mehr als zehn Jahre lang Wissenschaftsministerin erst in Brandenburg und dann in Niedersachsen, ist von Fach. Eine lange Einarbeitungszeit wird sie kaum benötigen. Noch vor wenigen Tagen war sie als Koordinatorin der CDU-geführten Länder zu Verhandlungen in diesem Ministerium. Jetzt ist sie hier selber die Hausherrin.
Chronologie der Plagiatsaffäre um Annette Schavan
Annette Schavan reicht im Alter von 24 Jahren ihre erziehungswissenschaftliche Dissertation „Person und Gewissen“ an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf ein. Die Arbeit wird mit „sehr gut“ benotet.
Auf einer Internetplattform wird anonym der Vorwurf des Plagiats gegen Schavan erhoben.
Die Universität Düsseldorf beauftragt die zuständige Promotionskommission, die Vorwürfe zu prüfen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht Schavan ihr Vertrauen aus.
Der Vorsitzende des Promotionsausschusses, Professor Stefan Rohrbacher, legt intern einen Sachstandsbericht vor. Das Ergebnis: An zahlreichen Stellen der Arbeit sei plagiiert worden. Es liege eine systematische Vorgehensweise und damit eine Täuschungsabsicht vor.
Der „Spiegel“ zitiert aus dem vertraulichen Bericht Rohrbachers. Schavan weist eine Täuschungsabsicht zurück.
Merkel spricht Schavan erneut das Vertrauen aus. Rückendeckung bekommt sie auch von ihrem Doktorvater Gerhard Wehle. Auf der Suche nach der undichten Stelle erstattet die Universität Strafanzeige gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Weitergabe vertraulicher Informationen.
Die Prüfungskommission berät über den internen Bericht Rohrbachers.
Schavan reicht nach Informationen der „Rheinischen Post“ bei der Uni Düsseldorf eine schriftliche Stellungnahme ein, in der sie den Vorwurf des Plagiats bestreitet.
Die Promotionskommission empfiehlt nach Prüfung der Arbeit und Anhörung Schavans, ein Verfahren zur Aberkennung des Doktortitels zu eröffnen. Befinden muss darüber der Rat der Philosophischen Fakultät.
Der Fakultätsrat stimmt mit 14 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung für die Einleitung des Hauptverfahrens zur möglichen Aberkennung des Doktortitels. Für den 5. Februar setzt der Rat eine weitere Sitzung an.
Schavan räumt im „Zeitmagazin“ Flüchtigkeitsfehler in ihrer Doktorarbeit ein, weist den Vorwurf des Plagiats oder der Täuschung aber erneut zurück.
Der zuständige Fakultätsrat der Universität Düsseldorf stimmt im Plagiatsverfahren für die Aberkennung des Doktortitels. Schavan hält sich zu politischen Gesprächen in Südafrika auf.
Kanzlerin Merkel spricht ihr erneut „volles Vertrauen“ aus. Der Druck aus Politik und Wissenschaft nimmt zu.
Die Bundesbildungsministerin tritt nach einer Aussprache mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel zurück.
Schavan habe „ein Haus hinterlassen, das wohlbestellt ist“, sagt Wanka. Höflichkeit und Respekt sind in solchen Momenten angezeigt. Tatsächlich aber warten auf die neue Bildungsministerin in den wenigen Monaten bis zur Bundestagswahl zahlreiche Probleme:
Kita-Ausbau
Es dürfte das explosivste Bildungsthema der kommenden Wochen werden – und die Bundesbildungsministerin ist dafür nicht einmal zuständig, sondern die Familienministerin. Trotzdem sollte sich die neue Ressortchefin in dieser Sache zu Wort melden. Noch immer fehlen etwa 150000 Kitaplätze und 15000 Erzieher, um den ab 1. August in Kraft tretenden Rechtsanspruch auf Betreuung zu erfüllen, schätzen der Deutsche Städte- und Gemeindebund und die Uni Dortmund.
In der frühkindlichen Bildung und Betreuung werden die Weichen für die ganze Schulzeit gelegt, vom Sprachvermögen bis zur Sozialkompetenz. Die Grundschule kann kaum noch reparieren, was zuvor versäumt wurde. Umso wichtiger, dass die Verantwortlichen in Bund und Ländern neben der kurzfristigen Quantität auch auf die mittelfristige Qualität Wert legen: mit besser ausgebildeten Erziehern und hohen Anforderungen an Tageseltern. Wenn eine Bildungsministerin das nicht kümmert, was dann?
Lehrerbildung und Hochschulfinanzierung
Um das Problem zu verstehen, genügt die Lektüre eine aktuelle Ankündigung: Bayern, Niedersachsen und Sachsen wollen ihre Lehrer-Abschlüsse per Staatsvertrag gegenseitig anerkennen. Was klingt wie eine Selbstverständlichkeit ist das glatte Gegenteil. Bayern setzt weiter auf das Staatsexamen, Baden-Württemberg pflegt pädagogische Hochschulen, fast alle anderen setzen auf Bachelor- und Masterabschlüsse. Wechsel zwischen den Ländern sind schwierig, die Standards und Ansprüche im föderalen Flickenteppich höchst verschieden. Was ein guter Lehrer lernen und können soll, darüber herrscht zwischen Nord- und Bodensee noch immer keine Einigkeit.
Annette Schavan hatte die Ländern bereits zu mehr Kooperation überreden wollen: mittels einer „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, dotiert mit 500 Millionen Euro. Passiert ist bisher noch nichts. Einige Länder sträuben sich vehement gegen inhaltliche Einmischung aus Berlin. Dabei hat der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft die Lehrerbildung in einer Studie gerade erst als „größte Baustelle“ im Bildungswesen gerügt. Nun muss Wanka vermitteln.
Hochschulfinanzierung
Immer Studienanfänger strömen an die Hochschulen, die Zahl der Studenten hat mit rund 2,5 Millionen einen Rekordwert erreicht. Nun müsse dringend der Hochschulpakt aufgestockt werden, fordern die Länder. Im Pakt werden zusätzliche Plätze von Bund und Ländern gemeinsam finanziert, um die Wucht der Welle in Seminaren und Hörsälen aufzufangen. Weil der Run aber noch größer sei, als prognostiziert, müssten allein bis 2015 noch einmal sieben Milliarden Euro mehr investiert werden – vier davon vom Bund. So jedenfalls wollen es die Bundesländer. Johanna Wanka kennt als ehemalige Landesministerin die Nöte. Aber der Bund steckt schon jetzt rund 4,7 Milliarden in den Pakt. Weitere vier dürften niemals zu stemmen sein.
Ein gewisses finanzielles Update des Hochschulpaktes könnte jedoch als Faustpfand für parallel laufende Verhandlungen zwischen Bund und Land herhalten: der Reform des Kooperationsverbotes im Grundgesetz. Denn in der Frage, ob der Bund dauerhaft in die Finanzierung der Unis einsteigen kann, scheiden sich noch immer die Geister. Auch hier geht es vor allem um das Geld und die Mitbestimmung des Bundes. Schavan hatte die Gespräche vor zwei Wochen ergebnislos vertagt. Nun darf die Nachfolgerin ran.