Klimapolitik Das Dilemma der Ölindustrie

Saudi Aramco Quelle: REUTERS

Verschärfte Klimaziele bringen die Ölindustrie weltweit in Zugzwang. Der Veränderungsdruck ist aber nicht gleichmäßig verteilt, warnen Lukas Daubner und Thomas Frisch in einem Gastbeitrag. Konzerne aus autokratisch regierten Staaten gehen eine riskante Wette ein – und halten wohl länger als die westliche Konkurrenz am Öl fest.

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Thomas Frisch ist Soziologe an der Universität Hamburg und Mitarbeiter des Exzellenzclusters „Climate, Climatic Change and Society“ (CLICCS). Lukas Daubner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentrum Liberale Moderne, einem Thinktank in Berlin.

Die Ölproduzenten haben ein Problem: Öffentlichkeitswirksam bekennen sie sich zum Ziel, bis Mitte des Jahrhunderts eine ausgeglichene Treibhausgasbilanz vorzuweisen. Gleichzeitig müssen sie bis auf Weiteres ihr klimaschädliches Geschäft aufrechterhalten, um zu überleben. Die Erschließung neuer lukrativer Geschäftsfelder braucht Zeit. Wie passt das mit den Zielen des Pariser Abkommens zusammen, die menschengemachte Klimaerwärmung möglichst im Korridor von 1,5 und 2 Grad Celsius aufzuhalten? Und wie könnte ein post-fossiles Geschäftsmodell aussehen?

Shell, Total, BP – alles Unternehmen mit Sitz in demokratisch regierten Ländern – reagieren inzwischen auf den wachsenden Druck zur Transformation. Nicht nur die kritische Öffentlichkeit fordert Veränderungen. Auch Banken und Großinvestoren fragen zunehmend kritisch nach der Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells. Der Konkurrenz in autokratisch geführten Ländern fehlt dieser Druck. Meistens fehlt es auch an Anreizen, andere Geschäftsfelder zu erschließen.

Bis vor kurzem waren Ölgiganten wie ExxonMobile, Saudi Aramco, Total, PB, Shell, Chevron oder Rosneft wahre Gelddruckmaschinen. Das Geschäft lief fast von selbst, die Öffentlichkeit war dankbar für die sichere und günstige Energieversorgung, Behörden ermöglichten fast alle Wünsche, man war ein beliebterer Arbeitgeber. Der Klimawandel konnte weitestgehend ignoriert oder gar geleugnet werden. Besonders ExxonMobile aus den USA bleibt hier in schlechter Erinnerung.

Zumindest im liberalen Teil der Welt hat sich der Wind aber gedreht: Die Öffentlichkeit ist kritischer geworden, Klimawandel ist ein zentrales Wahlkampfthema. Wichtiger noch: Da Klimarisiken immer mehr als finanzielle Risiken wahrgenommen werden, stellen Banken und institutionelle Investoren zunehmend Fragen zur Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells. Die Abstürze der Börsenwerte von Shell oder ExxonMobile haben bereits gezeigt, dass das Vertrauen der Märkte in viele fossile Unternehmen begrenzt ist. Die an Fahrt aufnehmende E-Mobilität, die Verbreitung moderner Heizungen, steigende CO2-Preise, sinkende Kosten von Erneuerbaren sowie die Verschärfung von Klimazielen bedrohen das Geschäft mit dem schwarzen Gold –wenn nicht kurzfristig, so doch mittelfristig.

Europäische und nordamerikanische Unternehmen können sich dem nicht entziehen. Auch international operierende Ölkonzerne in autokratisch regierten Ländern wie Russland, China oder den arabischen Staaten geraten unter Druck. Das Ziel lautet meistens: Klimaneutralität bis 2050.  Wie viel von diesen Plänen lediglich mehr oder weniger geschicktes Greenwashing ist, ist nicht immer leicht zu entscheiden. Glaubwürdigkeit und Reichweite der angekündigten Veränderungen sind zudem ungleich verteilt: Europäische Unternehmen haben bisher transparentere und ernsthafterer Transformationsstrategien vorgelegt als die Konkurrenz aus autokratisch regierten Staaten.



Unsere Studie zeigt die unterschiedliche Vorgehensweise in der Branche, bei der sich zwei grundsätzliche Strategien unterscheiden lassen. Die einen Ölkonzerne versuchen möglichst lange am perspektivisch kleiner werdenden Markt zu bestehen und Gewinne mitzunehmen. Die anderen beginnen, ihr Geschäft zu diversifizieren. Das Ölgeschäft bleibt bei allen Unternehmen das Standbein. Es wird weithin – wenn auch teilweise in geringerem Umfang – in die Exploration von Ölvorkommen investiert. Mittelfristig sollen aber integrierte Energiekonzerne mit einem diversen Portfolio entstehen.

Der französische Total-Konzern hat in den Bereichen Erneuerbare Energien und transparente Berichterstattung eine Vorreiterrolle eingenommen. Zugleich ist allerdings geplant, die Ölförderung weiter zu steigern. Das Unternehmen wagt einen ähnlichen Spagat wie Equinor aus Norwegen. Die langfristige Transformation in ein diversifiziertes Energieunternehmen soll über Ölgewinne finanziert werden. BP hat 2020 einen ähnlichen Weg beschritten und ambitioniertere Ziele als Total formuliert, aber in Sachen Transparenz noch Nachholbedarf. Mit einem neuen CEO soll eine strategische Neuausrichtung erfolgen: Es ist geplant, weniger Öl zu fördern, den Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben und neue Produkte wie Wasserstoff oder Biokraftstoffe zu erschließen. Auch Shell reiht sich hier mit ambitionierten Plänen ein.

Der Wandel der Unternehmen wird durch eine Umlenkung der Investitionsströme, einen Umbau des Managements sowie der Personalstruktur flankiert. Bei BP wurde beispielsweise die Abteilung, die für die Erschließung neuer Ölfelder zuständig ist, stark zusammengestrichen. Dafür entstehen Abteilungen für die neuen Tätigkeitsfelder.

Der Umbau der riesigen Ölfirmen zu integrierten Energiekonzernen ist allerdings deutlich schwieriger, als es die Firmen darstellen. Die Unternehmenskultur und -struktur muss sich grundlegend ändern, das Personal umgeschult und neue Partner gefunden werden. Neben dem finanziellen Kraftakt einer Transformation muss das Management Konflikte zwischen den alten und den neuen Betätigungsfeldern schlichten.

Wo das fossile Geschäft nicht durch politische Restriktionen gebremst wird, machen die Unternehmen dagegen kaum Anzeichen, sich ernsthaft vom schwarzen Gold loszumachen. Beispielsweise wurde das US-Schwergewicht ExxonMobil in den vergangenen Jahren von der Trump-Administration protegiert und veröffentlichte erst in Erwartung eines Politikwechsels der neuen Regierung 2020 eigene Klimaziele. Die Glaubwürdigkeit solcher Unternehmensziele ist meist eng mit den Zielen ihrer Heimatländer verbunden. Exxon forderte etwa angesichts der neuen US-Klimapolitik einen CO2-Preis und versprach Milliardeninvestitionen in das Abscheiden und Speichern von Treibhausgasen. Bei Unternehmen in fossilen Autokratien sind Klimaziele und -initiativen dementsprechend gering ausgeprägt.

Dass der Reichtum an fossilen oder mineralischen Ressourcen mehr ein Fluch als ein Segen ist, haben die Ökonomen Jeffrey D. Sachs und Andrew M. Warner bereits vor über 25 Jahren festgehalten: Ressourcenreiche Staaten haben sehr oft überdurchschnittlich arme Bevölkerungen und dafür eine kleine, sehr reiche und korrupte Elite. Aufgrund der hohen Einnahmen aus dem Geschäft mit den fossilen Ressourcen bestehen nur geringe Anreize für politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Reformen.

Staatliche Ölkonzerne (National Oil Companies – NOCs) verfügen über mehr als die Hälfte der weltweiten Ölreserven und stehen für fast die Hälfte der weltweiten Ölproduktion. Die wichtigsten NOCs kommen aus China (Sinopec, China Petroleum), Russland (Rosneft) und Saudi-Arabien (Saudi Aramco). Da diese Länder im hohen Maße von den Einnahmen durch Ölgeschäfte abhängig sind, ergibt sich hier kaum ein Druck zur Dekarbonisierung. Der regulatorische Druck, den europäische und mittlerweile auch US-amerikanische Unternehmen unterliegen, fehlt.

Zwar werben auch russische, chinesische oder saudi-arabische Unternehmen damit, dass sie die ESG – also Environmental Social Governance – Kriterien einhalten. Doch oftmals ist die Berichterstattung lückenhaft, es werden schwache Industriestandards genutzt und es fehlt an einer kritischen Öffentlichkeit, die ein hörbares Korrektiv bilden könnte. In diesen Ländern fehlen kritische Investorenvereinigungen, Umweltaktivistinnen und -aktivisten werden ruhiggestellt und Behörden decken ökologische und soziale Missstände.

Da die Agenda der Vorstandsetagen, von Investoren-Meetings oder Technikmessen sich mit dem globalen Diskurs in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit verschoben hat, haben auch Top-Verschmutzer wie Saudi Aramco oder Rosneft einzelne Erneuerbare Energie- oder Wasserstoff-Projekte in ihr Portfolio aufgenommen.

Bei Veranstaltungen über die Zukunft der Branche gibt man sich grundsätzlich gelassen. Die Vorstände der Unternehmen verweisen auf die ‚grünen‘ Initiativen oder Effizienzbemühungen. Werden die Fragen kritischer, verweisen die Branchenvertreter auf die Möglichkeit, Treibhausgasemissionen abzuscheiden und zu speichern, beziehungsweise für industrielle Prozesse zur Verfügung zu stellen. Neben den technischen Lösungen, bei denen sich etwa Saudi Aramco engagiert, wird vielfach das Aufforsten als eine Lösung betrachtet, die Treibhausgasbilanz zu verbessern. Total engagiert sich hier mit großen Aufforstungsprojekten in Südamerika. Wie US-amerikanische, forschen und investieren auch chinesische Firmen im großen Stil an der Speicherung von Treibhausgasen.  Die russischen Konkurrenten träumen ebenfalls von der Anwendung dieser Technologien, zeigen aber nur wenig Interesse, auch in diese zu investieren.

Dass die fossile Wirtschaft weiter machen kann wie bisher, indem die riesigen Treibhausgasmengen einfach weggespeichert werden und sich das Klimaproblem damit erledigt, ist eine äußerst riskante Wette auf die Zukunft: Zum einen ist bisher weitgehend unklar, in welchem Umfang Treibhausgase aus der Atmosphäre gezogen oder im Boden gespeichert werden können. Zum anderen werden die zukünftig zur Verfügung stehenden Kapazitäten für andere, nicht zu vermeidende Emissionen benötigt, etwa aus der Zementindustrie oder der Landwirtschaft.

Nehmen Europa, die USA, China und Japan ihre Ankündigungen ernst, bis Mitte des Jahrhunderts ihre Treibhausgasemissionen gegen Null zu reduzieren, wird sich das Umfeld für Ölunternehmen weiter verschlechtern. Gerade diejenigen Unternehmen und Staaten, die hoffen, durch eine technologische Wunderwaffe riesige Mengen Treibhausgase abscheiden und speichern zu können, gehen eine sowohl ökologische als auch wirtschaftliche riskante Wette ein. Aber auch die europäischen Ölunternehmen wandeln sich zu langsam und setzen zu sehr aufs Öl.

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Anders als lange geglaubt, stellt nicht das Zuneigegehen der Vorkommen die Begrenzung der Ölwirtschaft dar, sondern eine schrumpfende Nachfrage: Das Pariser Klimaschutzabkommen und die darauf aufbauenden staatlichen Ziele haben perspektivisch zur Folge, dass der globale Ölmarkt zunächst langsamer wächst, dann stagniert und dann schrumpft. Die sinkende Nachfrage Europas kann allenfalls vorübergehend durch die aufstrebenden Märkte in Asien und Afrika kompensiert werden.

Insbesondere die Ölkonzerne, die sich im Besitz autokratischer Staaten befinden, werden sich erst in eine post-fossile Richtung bewegen, wenn sich das fossile Geschäft nicht mehr lohnt. Demnach muss es das Ziel sein, möglichst rasch die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Wer Autokraten ärgern will, steigt also möglichst schnell auf den Bus oder ein E-Auto um, schafft sich eine moderne Heizung an und unterstützt diejenigen, die eine ökologische Modernisierung der Gesellschaft vorantreiben.

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