Kritik an Yanis Varoufakis „Athen produziert Gläubigerhass der widerlichsten Art“

Unter Anspielung auf die deutsche Geschichte hatte der griechische Finanzminister in Berlin um Unterstützung für sein Land geworben. Doch seine historischen Vergleiche kommen in der deutschen Politik nicht gut an.

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Mit historischen Vergleichen buhlt der neue griechische Finanzminister Varoufakis um eine Lockerung der Spar-Auflagen: In Berlin beißt er damit auf Granit. Quelle: dpa

Berlin Mit scharfer Kritik hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch darauf reagiert, dass Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis die Forderungen seines Landes mit dem Verweis auf die Hilfe für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg begründet hat. Er stelle sich „einen Merkel-Plan vor, nach dem Vorbild des Marshall-Plans“, hatte Varoufakis im Interview mit der „Zeit“ gesagt.

Willsch warf dem Minister nun vor, sich auf der Suche nach einer Rechtfertigung für weiteres Geld für Griechenland mittlerweile tief in die europäische Geschichte hinein zu graben. „Die historischen Vergleiche sind abstrus und die Rufe Griechenlands nach einem Marshallplan ungehörig“, sagte das Mitglied im Bundestags-Wirtschaftsausschuss dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „In der Europäischen Union ist bereits ein „Marshallplan“ verankert: Es sind die verschiedenen EU-Strukturfonds.“

Deutschland sei hier seit jeher Nettozahler. Seit der Einführung des Euro-Bargeldes am 1. Januar 2002 habe Deutschland 98,6 Milliarden Euro mehr in die EU einbezahlt, als es später herausbekommen habe. Auf der anderen Seite sei Griechenland mit fast 53 Milliarden Euro seit 2002 der zweitgrößte Nettoempfänger. „Das ist auf die heutige Kaufkraft umgerechnet fünfmal so viel wie der gesamte Marshallplan von 1948.“ Griechenland habe nach dem Krieg im Übrigen auch Marshallplan-Gelder bekommen. Das Programm habe nicht allein auf Deutschland gezielt.

Athen macht vor allem Deutschland für harte Sparauflagen verantwortlich, die Griechenland wegen der Euro-Krise erfüllen soll. Varoufakis hatte daher am Mittwoch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Art Wiederaufbauplan gefordert, wie ihn die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Marshallplan aufgelegt hatten. Zugleich versicherte er mehrfach, dass sein Land nicht zur Schuldenpolitik früherer Jahre zurückkehren wolle.


„Athen müsste für Deutschland jeden Morgen eine Kerze anzünden“

Varoufakis nahm auch Bezug zum Friedensvertrag von Versailles nach dem Ersten Weltkrieg. Darin musste das damalige Deutsche Reich 1919 Reparationszahlungen, Abrüstungen und Gebietsabtretungen zustimmen. Der Vertrag gilt als ein Grund für das spätere Erstarken der Nationalsozialisten in Deutschland.

Auf den Hinweis in dem „Zeit“-Interview, dass Griechenland die Auflagen der Geldgeber akzeptiert habe und auch die Haltung Berlin sei, dass Abmachungen eingehalten werden müssten, sagte Varoufakis: „Wenn ich so etwas höre, denke ich manchmal, dass Europa aus der Geschichte nichts gelernt hat.“ Deutschland habe nach dem Ersten Weltkrieg den Vertrag von Versailles unterschrieben. „Aber dieser Vertrag war schlecht“, betonte der Minister.

„Europa wäre viel Leid erspart geblieben, wenn er gebrochen worden wäre.“ Selbst der berühmte britische Ökonom John Maynard Keynes habe damals schon gewarnt, dass es keine nachhaltige Strategie sei, ein Land in den Ruin zu treiben. „Wenn wir glauben, dass die Rettungspolitik ein Fehler war, müssen wir sie ändern“, sagte Varoufakis.

Der CDU-Politiker Willsch widerspricht. „Griechenland hat sich mit seiner Schuldenorgie selbst einen Morgenthau-Plan verordnet“, sagte er in Anspielung auf den ehemaligen US- Finanzminister Henry Morgenthau, der vorgeschlagen hatte, nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschlands Industrie zu zerschlagen. „Die Patente, die zum Beispiel in Griechenland jährlich angemeldet werden, kann man an einer Hand abzählen“, so Willsch. Und selbst die griechische Landwirtschaft sei trotz hervorragender klimatischer Bedingungen nicht konkurrenzfähig. „Lieber ruft man laut nach Hilfe und beschimpft dann den Retter. Das produziert Gläubigerhass der widerlichsten Art und vergiftet das Klima in Europa“, sagte Willsch.

Die griechische Regierung müsse daher endlich verstehen, dass die Lösung ihres Finanzproblems alleine in Griechenland liege. „In der Geschichte hat es noch nie so große Hilfszahlungen gegeben wie von der europäischen Staatengemeinschaft an Griechenland“, betonte der CDU-Politiker. Rechne man zu den 53 Milliarden Euro Strukturmitteln für Griechenland noch die etwa 236 Milliarden Euro aus den verschiedenen Rettungspaketen hinzu, habe Griechenland in den letzten Jahren knapp 290 Milliarden Euro bekommen. Das seien 160 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts (BIP), die aus anderen Ländern nach Griechenland geflossen seien.

„Eigentlich müsste man in Athen jeden Morgen eine Kerze anzünden, dass der deutsche Steuerzahler weiter fleißig Exportüberflüsse erarbeitet, um diese dann mit schlechtem Gewissen an die Defizitsünder weiterzuleiten. Verkehrte Welt“, so Willsch.


Euro-Gruppe beruft Griechenland-Sondergipfel ein

Die Euro-Partner wollen von der neuen Regierung in Athen rasch belastbare Vorschläge zur Lösung des Schuldendramas sehen. Die Euro-Finanzminister kommen an diesem Mittwoch (11.2.) unmittelbar vor dem EU-Gipfel zusammen, um Kompromisslinien auszuloten. Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem bestätigte am Freitag zwar das Extratreffen, nahm aber zu Inhalten keine Stellung.

In Athen berief derweil der für die Koordination der Finanz- und Wirtschaftspolitik zuständige Vize-Regierungschef Yanis Dragasakis am Freitag eine Dringlichkeitssitzung mit Finanzminister Varoufakis und allen anderen betroffenen Ressortchefs ein. Dem Vernehmen nach soll Notenbankchef Ioannis Stournaras der vom Linksbündnis Syriza geführten Regierung geraten haben, der Euro-Gruppe „so schnell wie möglich“ ein „genaues Programm“ vorzulegen. Griechenland habe nur noch „wenige Tage Zeit“ soll der Banker der neuen Regierung mitgeteilt haben.

Die von den Euro-Partnern bevorzugte Option ist ein erneutes Verlängern des Rettungsprogramms. Dieses läuft Ende Monats aus. Im Gegenzug soll sich Athen verpflichten, Reformen voranzubringen und die Staatsfinanzen weiter zu sanieren. Sonst schaffe es die Verlängerung nicht durch nationale Parlamente von Euro-Ländern, hieß es. Zustimmungen der Volksvertretungen sind in Finnland, Deutschland oder den Niederlanden nötig.

Es stehen äußerst schwierige Verhandlungen bevor, denn die Koalition von Premier Alexis Tsipras lehnt die Auflagen des Programms ab. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte bereits griechischen Banken den Zugang zu frischem Geld erschwert und damit den Druck verstärkt.

An diesem Donnerstag (12.2.) werden die EU-Staats- und Regierungschefs zu ihrem Gipfeltreffen in Brüssel erwartet. EU-Ratspräsident Donald Tusk machte bereits deutlich, dass er die Zusammenkunft nicht zu einem Griechenland-Krisentreffen umwidmen will. Die Lösung des griechischen Schuldenproblems ist Aufgabe der Euro-Gruppe, lautet das Credo des Polen. Athen will vor allem Zugeständnisse der Euro-Partner beim Abbau seines riesigen Schuldenbergs erreichen.

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